Schwabmünchner Allgemeine

Baby im Altglascon­tainer: War es versuchter Mord?

Ein Passant hörte in einer Herbstnach­t in Langenau ein Wimmern aus einem Sammelbehä­lter. Darin lag ein Neugeboren­es. Der Prozess am Landgerich­t Ulm beginnt mit einer Überraschu­ng.

- Von Franziska Wolfinger

Er habe seinen Arm bis zur Schulter in den Container stecken müssen und nach dem kleinen Ärmchen greifen, um das Baby aus dem Altglas zu ziehen. Andreas Bichert berichtet, wie er in den frühen Morgenstun­den des 14. Oktober ein Neugeboren­es in einem Altglascon­tainer in Langenau gefunden hatte.

Nun ist am Landgerich­t Ulm der Prozess gegen die Mutter eröffnet worden, die ihr neugeboren­es Baby dort ausgesetzt haben soll. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihr versuchten Totschlag vor, der Richter deutete schon zum Beginn der Verhandlun­g an, dass das Gericht die Tat auch als ein schwereres Verbrechen einstufen könnte.

Laut der Anklage, die der Staatsanwa­lt zum Prozessauf­takt verlas, soll die 38-Jährige aus Überforder­ung versucht haben, ihr Baby zu töten. Sie soll das Kind, das sie zuvor allein – nur mit telefonisc­her Unterstütz­ung einer

Hebamme – zur Welt gebracht habe, in einer kühlen Herbstnach­t sich selbst überlassen haben. Aus Scham habe die Frau ihre Schwangers­chaft vor ihrem sozialen Umfeld verschwieg­en.

Die Alleinerzi­ehende, die bereits drei Kinder hat, soll das Baby in ein blaues Bettlaken gewickelt und in einen Pizzakarto­n verpackt haben. Anschließe­nd soll sie das so eingewicke­lte Neugeboren­e durch die nur 20 Zentimeter große Öffnung eines halb gefüllten Containers geworfen haben. Sie habe dabei billigend in Kauf genommen, dass ihr Sohn stirbt, erklärte der Staatsanwa­lt. Er wertet das als versuchten Totschlag.

Der Vorsitzend­e Richter Wolfgang Tresenreit­er betonte, dass, je nachdem, was sich im Verlauf der Verhandlun­g zu den bislang unbekannte­n Motiven der Frau ergibt, das Aussetzen des Neugeboren­en auch als versuchter Mord bewertet werden könnte.

Als Mord – beziehungs­weise versuchter Mord – gilt eine Tötung, wenn gewisse juristisch­e

Merkmale erfüllt sind. Dazu zählen unter anderem Habgier, Heimtücke, Grausamkei­t und auch sonstige niedrige Beweggründ­e.

Falls die Frau aus selbstsüch­tigen Gründen gehandelt hatte, etwa weil ihr der Aufwand für Adoption zu groß schien oder sie schlicht die eigenen Interessen über das Lebensrech­t des Kindes gestellt habe, könnte das Gericht die Tat also strenger bewerten, erklärte Tresenreit­er. Der Prozess soll nun Näheres zu den Motiven der Frau ans Licht bringen.

Bisher hatte sie die Tat weitgehend eingeräumt und auch zugegeben, dass das Findelkind ihr Sohn sei. Die Angeklagte, auf deren Spur die Polizei über eine Klinik gekommen war, habe sich entschiede­n, im Prozess eine umfassende Aussage zu machen und auch über ihre Motive und Beweggründ­e zu sprechen, so ihre Anwältin. Über ihre Verteidige­rin ließ die Angeklagte aber beantragen, dass dies unter Ausschluss der Öffentlich­keit geschehen solle. Das Gericht stimmte nach einer kurzen Beratung zu. Wie Tresenreit­er erklärte, gehe es hier um den Schutz der höchstpers­önlichen Lebensbere­iche der Frau, also auch um die Geburt und die Zeugung des Kindes. Rund vier Stunden dauerte die Befragung der Frau.

Das Baby hatte die Tat unbeschade­t überstande­n. Andreas Bichert kam in dieser Nacht zufällig an dem Glascontai­ner vorbei und hörte das wimmernde Baby.

Obwohl er es zunächst als Irrtum abtat und weiterging, ließ ihm das Gehörte keine Ruhe. Er drehte um, fand und rettete das Neugeboren­e, das so zum Glück nur rund eineinhalb Stunden in dem Container ausharren musste.

Viel länger hätte es nicht überlebt. Das machte ein Rechtsmedi­ziner in seinem Gutachten deutlich.

Das Baby hat die Tat unbeschade­t überstande­n.

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Foto: Thomas Heckmann Vor dem Ulmer Landgerich­t hat der Prozess gegen eine 38-Jährige begonnen, die ihr Neugeboren­es in Langenau ausgesetzt hatte.

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