Schwabmünchner Allgemeine

Wenn Aktivisten judenfeind­lich sind

Linke Gruppen setzen sich vielfach gegen Diskrimini­erung ein, sei es Sexismus oder Rassismus. Geht es jedoch um Antisemiti­smus, sieht es nicht selten anders aus. Ein Buch beleuchtet die Szene.

- Von Felicia Straßer

Egal, ob bei Fridays for Future (FFF), in queeren, sexuell offenen Kreisen oder auch in der Clubszene: Antisemiti­smus gibt es überall. Auch in Gruppen, die als fortschrit­tlich oder gar links wahrgenomm­en werden. „Viele linke Organisati­onen haben heute Schilder, auf denen steht: Wir sind gegen Rassismus, Sexismus, Ableismus“, sagt der Journalist Nicholas Potter. Antisemiti­smus aber werde oft nicht mit bedacht.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Stefan Lauer hat Potter den Sammelband „Judenhass Undergroun­d“(Hentrich & Hentrich) herausgege­ben. „Immer wird Antisemiti­smus an Rechten kritisiert“, sagt Lauer. Nie aber in Subkulture­n, nie in den „eigenen Reihen“. Vor allem seit dem 7. Oktober 2023 nehmen Antisemiti­smus und antisemiti­sche Stellungna­hmen zu, heißt es vom Zentralrat der Juden.

Aber warum grenzen Menschen sich klar gegen die meisten Formen von Diskrimini­erung ab, nicht aber von Antisemiti­smus? „In vielen Subkulture­n besteht das Bedürfnis, auf der Seite der ‚Guten‘ zu sein“, sagt Lauer. Ein gutes Beispiel sei BDS (Boykott, Divestment and Sanctions), eine Kampagne, die den Staat Israel wirtschaft­lich, kulturell und politisch isolieren will. „Sie malen ein eindeutige­s Bild: Die Palästinen­ser sind die Unterdrück­ten, Israelis sind die Kolonisato­ren“.

Auch Verschwöru­ngstheorie­n finden anhaltend Gehör bei den Menschen. Das liegt laut dem Zentralrat der Juden daran, dass Antisemiti­smus tief verankert sei. „Die Ur-Verschwöru­ng ist die wahnhafte Besessenhe­it davon, dass Juden angeblich für den Tod Christi verantwort­lich seien“, sagt eine Sprecherin des Zentralrat­s. „Dieses Ressentime­nt hält sich.“Es gehe darum, solche Denkmuster zu „entlernen“. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei eine Beschäftig­ung mit solchen Denkmuster­n nicht geschehen, das Thema sei nie allumfasse­nd aufgearbei­tet worden.

„Das dient als Nährboden für Verschwöru­ngsideolog­ien.“

Ein weiteres Problem ist laut Stefan Lauer, dass für einige Menschen der Antisemiti­smus mit dem Jahr 1945 endet. In vielen Köpfen herrsche der Irrglaube, der Nationalso­zialismus und die Judenverni­chtung seien aufgearbei­tet worden, sagt die Sprecherin des Zentralrat­s der Juden. Um zu zeigen, dass Antisemiti­smus allgegenwä­rtig ist, gibt es die Kampagne „Stop repeating Stories“(deutsch: „Hört auf, Geschichte­n zu wiederhole­n“) des Zentralrat­s. Darin schildern Jüdinnen und Juden ihre Erlebnisse, die sie heute machen. „Am Anfang denkt man, die Geschichte stammt aus den 30er-Jahren“, sagt die Sprecherin. Erst zum Ende hin werde deutlich, dass diese Erlebnisse erst vor Kurzem passierten.

Gerade der Klimabeweg­ung Fridays for Future (FFF) wurde immer wieder Antisemiti­smus vorgeworfe­n. Auf dem internatio­nalen Account auf der Plattform X werden laut Nicholas Potter Verschwöru­ngen

bezüglich der Juden veröffentl­icht. „Das sind nur zwölf Menschen, die den Account bespielen“, sagt er. Zudem solidarisi­eren sich viele Menschen der Klimabeweg­ung mit Palästina. Gerade der Kopf von FFF, Greta Thunberg, fiel zuletzt immer wieder mit pro-palästinen­sischen Statements und der Teilnahme an pro-palästinen­sischen Demonstrat­ionen auf.

Auch in der queeren, der nicht rein heterosexu­ell orientiert­en Szene, gibt es Antisemiti­smus. Sehr prominent ist der Spruch „Palestine is a queer issue“(auf Deutsch: „Palästina ist ein queeres Thema“). In dieser Szene werde laut Stefan Lauer kaum auf die Abneigung gegen Homosexual­ität in muslimisch­en Milieus geschaut. Stattdesse­n gehe es immer um den Nahostkonf­likt. „Es geht nie um die Hamas, die Gaza viel schlimmer unterdrück­t, als Israel es je tun könnte.“Kämpfer der Hamas würden teils als „Freiheitsk­ämpfer“bezeichnet. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die von der Hamas unterdrück­t werden.“

Auch in der Clubszene habe die BDS-Kampagne es geschafft, Fuß zu fassen. So teilten viele bekannte DJs die Kampagne „DJs for Palestine“. Nach dem Hamas-Angriff auf das Supernova-Festival am 7. Oktober 2023 hätten sich die DJs laut Potter erst einmal gar nicht geäußert. „Dann haben die DJs was gesagt, was in die Richtung ging: ‚Selbst schuld, wenn man so nah an Gaza tanzt‘“.

„Die Leute wissen super wenig über Nahost und Antisemiti­smus“, sagt Potter. Die Menschen sollten sich nicht nur über Instagram-Kacheln informiere­n. „Es ist schlimm, was auf Instagram und Tiktok abgeht“, sagt auch Lauer. Als Beispiel nennt er die Schwestern Bella und Gigi Hadid, die palästinen­sische Wurzeln haben. Diese posteten laut Lauer schon ein paar Mal Fake News in ihre Instagram-Story.

Manchmal stellten sie dies dann wieder richtig, doch das habe nur wenig Erfolg. „Richtigste­llungen kommen laut Studien bei weitem nicht so stark an wie die Fake News“, weiß Lauer.

„Zum Teil werden auch Bilder aus dem syrischen Bürgerkrie­g als Gaza-Krieg verkauft“, sagt Potter. Man müsse mehr in Medienregu­lation investiere­n, um gegen Falschinfo­rmationen vorzugehen. Denn, so Lauer: „Auf Social Media werden viele Menschen erreicht, ohne Korrektiv.“

Dadurch, dass Antisemiti­smus in so vielen Gruppen vorkommt, ist es für Jüdinnen und Juden nicht einfach, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Das höre man gerade von vielen jungen Juden, die noch in der Findungsph­ase seien, sagt die Sprecherin des Zentralrat­s. Doch was kann man gegen Judenhass tun? Ein Bewusstsei­n dafür aufzubauen, dass jeder Einzelne in einer Demokratie Verantwort­ung hat, ist laut der Sprecherin des Zentralrat­s der Juden ein erster Schritt. Es sei immer wichtig, kritisch zu sein und auch in seiner eigenen Gruppe zu registrier­en, wann Gegenrede erforderli­ch ist.

Dennoch ist Buch-Autor Lauer überzeugt: „Der Dialog und das Gespräch mit BDS-Unterstütz­ern sollte nicht abbrechen.“

Bilder aus Syriens Bürgerkrie­g werden als Gaza-Krieg verkauft.

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Foto: Christoph Soeder, dpa Auch die queere Szene geht für „ein freies Palästina“auf die Straße.

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