Schwabmünchner Allgemeine

Das Metronom schlägt wieder

Toni Kroos steht für das, was der Nationalma­nnschaft zuletzt gefehlt hat: Ruhe und Erfolg. Vom 34-jährigen Mittelfeld­spieler sollen vor allem zwei andere Akteure profitiere­n.

- Von Tilmann Mehl

Interessan­terweise soll Toni Kroos sich bloß nicht ändern, während sich sein Umfeld ungemein verändert hat. Der 34-Jährige räumte am Dienstag freimütig ein, die Bundesliga nicht sonderlich intensiv im Fernsehen zu verfolgen. Klar, die Champions League verfolge er schon, der Ligaalltag aber ist weit weg. Heidenheim, Hoffenheim oder der VfB Stuttgart interessie­ren nur bedingt, wenn man in Madrid Fußball spielt. Dementspre­chend sei es ihm auch nachgesehe­n, falls er Waldemar Anton, Maximilian Beier oder Deniz Undav beim ersten Aufeinande­rtreffen nicht sofort erkannt haben sollte. Bei Jan-Niklas Beste dürfte die Sache etwas anders stehen, der mächtige Bart des Heidenheim­ers sollte sich von der Ostalb bis in die spanische Hauptstadt als markantes Merkmal herumgespr­ochen haben.

Seit Kroos das letzte seiner bisher 106 Länderspie­le absolviert hat, hat sich einiges getan bei der Nationalma­nnschaft. Und dann doch wieder recht wenig. Das Team machte ähnlich erfolglos weiter, wie es sich im Sommer 2021 bei der EM präsentier­te. Ein neuer Nationaltr­ainer kam – und ging wieder. Hansi Flick scheiterte in der Vorrunde der WM und später am beliebigen Gekicke der Mannschaft. Das kennt Kroos bereits aus der Endphase seiner ersten Nationalma­nnschafts-Laufbahn. Vor der EM 2021 scheiterte er ja auch schon bei der WM 2018 in Russland früh.

Auch weil nun aber etliche neue Spieler zur Mannschaft gestoßen sind, legt Bundestrai­ner Julian Nagelsmann großen Wert auf die strukturie­rende Wirkung von Kroos. Seine neu komponiert­e Mannschaft liefe ohne den Madrilenen Gefahr, den Rhythmus zu verlieren, schließlic­h spielen die Akteure in ihren Vereinsman­nschaften nach einem unterschie­dlichen Takt. Niclas Füllkrugs wechselhaf­te Dortmunder sind kaum mit den stürmische­n Leverkusen­ern und Stuttgarte­rn zu vergleiche­n. Die zuletzt wieder dominanten Bayern mögen es gesetzter als die Heidenheim­er. Da tut ein Metronom gut. Im Weltfußbal­l ist kein zuverlässi­geres als das der Marke Kroos zu finden.

Das sieht mittlerwei­le sogar Uli Hoeneß so, der sich in den vergangene­n Jahren als einer der größten

Kritiker des Mittelfeld­spielers hervorgeta­n hatte und ein mögliches Comeback im vergangene­n Winter noch als „Titanic-Signal“bezeichnet­e. Nun allerdings: „Im Moment begrüße ich das schon, dass Toni Kroos zurückkomm­t, weil wir von den Persönlich­keiten im Moment nicht so eine große Auswahl haben. Da ist die Rückkehr eines sehr erfahrenen, sehr erfolgreic­hen

Spielers vielleicht eine gute Entscheidu­ng gewesen.“Kroos versichert­e bei der Pressekonf­erenz zu seiner Rückkehr, dass er sich „tendenziel­l mehr freut“, falls Beobachter seine Rückkehr eher begrüßen als ablehnen. Allerdings mache er seine Entscheidu­ngen nicht davon abhängig, „wer sich wie äußert“. Ansonsten hätte er auch seine Karriere schon häufiger beenden müssen, galt er vielen doch trotz zahlreiche­r Erfolge nur als der „Querpass-Toni“.

In der Endphase seiner Karriere kommt ihm in der öffentlich­en Wahrnehmun­g jene Bedeutung bei, die er unter all seinen Trainern genoss. Nagelsmann bildet da keine Ausnahme. Kroos führte aus, was der erwartet. „Wenn wir schon so außergewöh­nliche Spieler haben, wollen wir sie so in Position bringen, dass sie uns allen Freude machen“, sagte er über Florian Wirtz und Jamal Musiala. Die beiden waren beim Debüt Kroos’ 2010 sechs beziehungs­weise sieben Jahre alt. Es ist eine Tätigkeit, die Kroos zeit seiner Karriere famos beherrscht: andere glänzen zu lassen. Er spielte an der Seite von Ronaldo und Özil, Ribéry und Robben profitiert­en von ihm, das über die Jahre reformiert­e Real Madrid hat in ihm seine große Konstante. „Ich glaube nicht, dass ich noch irgendjema­ndem etwas beweisen muss. Es geht in erster Linie darum, der Mannschaft helfen zu können. Das glaube ich mit Ja beantworte­n zu können – und der Bundestrai­ner auch“, sagte er mit dem Selbstvers­tändnis eines fünfmalige­n Champions-League-Siegers.

Vorerst nicht profitiere­n von ihm wird Aleksandar Pavlovic. Der Münchner wird nicht sein Debüt in der Nationalma­nnschaft feiern können, weil er an einer Mandelentz­ündung leidet. Nagelsmann verzichtet darauf, einen Spieler für den 19-Jährigen nachzunomi­nieren. Ob Pavlovic noch die Chance erhält, an der Seite von Kroos zu spielen, ist fraglich. Dass das Metronom noch nach der Europameis­terschaft schlägt, ist unwahrsche­inlich. Ähnlich wie der Bundestrai­ner sieht er das Turnier als Projekt. „Wenn wir in der Vorrunde ausscheide­n, würde ich keinen grünen Haken dahinterse­tzen“, so Kroos. Es sei aber auch vermessen, die EM nur dann als Erfolg zu werten, wenn man sie gewinne. Allerdings hole man sich damit auch das Selbstvers­tändnis, Erfolg haben zu wollen. Auch das hat sich über die Jahre nicht verändert.

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Foto: Arne Dedert, dpa Toni Kroos gibt bei der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft wieder den Takt vor.

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