Die Welt als Labyrinth
Das Leben ist ein Computerspiel – oder ist die Wirklichkeit doch komplizierter? Das Duo Amy Stebbins und Hauke Berheide bringt am Staatstheater seine neue Kammeroper zur Uraufführung. Ein Gespräch vorab, bei einer Probe.
Der Titel dieser Oper führt in einen Irrgarten: „C:\> title Labyrinth“, das klingt ziemlich rätselhaft und digital, vernetzt und verlinkt – und so ist das Werk auch gebaut. Die Inszenierung beginnt trotzdem ganz analog, in einer halbverlassenen Industriekulisse. Im alten Kühlergebäude am Augsburger Gaswerk betritt die Heldin der Oper den Raum. Blaue Haare, rote Teufelshörnlein, ein Teenie im Comic-Kostüm. Sie blickt sich staunend um: Denn an den Wänden blinken jetzt Nullen und Einsen, digitale Codes rattern auf und ab. Der Saal verwandelt sich zum Inneren eines Computers – der die Heldin dazu auffordert, in ein großes Computerspiel einzusteigen. Bald treten auch andere Spielfiguren ins Bild. Ein Polarforscher. Ein Bergmann. Ein Maya-Priester. Mysteriös? Und mit den Figuren begibt sich auch das Publikum in eine zweite Welt. Virtual-RealityBrillen liegen auf den Stühlen bereit: schnell aufgesetzt und angeknipst, dann steht man selbst im ewigen Eis. Dieses Labyrinth von einer Oper haben Hauke Berheide und Amy Stebbins geschaffen. Sie bilden ein deutsch-amerikanisches Künstler-Duo, er komponiert, sie schreibt das Libretto. Ihr Werk „C:\> title Labyrinth“erlebt jetzt am Staatstheater Augsburg, im Kühlergebäude, seine Uraufführung.
Dieses Duo arbeitet seit elf Jahren gemeinsam und schraubt dabei kräftig am traditionellen Format der Oper. Ihren Durchbruch feierten Amy Stebbins und Hauke Berheide mit „Mauerschau“. Das Werk baute auf Heinrich von Kleists „Penthesilea“auf, Berheide gewann für diese Musik im Jahr 2016 den Festspielpreis der Opernfestspiele München. Was verbindet die beiden? Hauke Berheide erklärt ihre Philosophie als Team: „Oper bedeutete schon immer: Nehmt alles, was ihr kriegen könnt!“Die Oper stand bisher für Kulissenund Kostümschlachten in der Guckkastenbühne – gemeinsam mit Stebbins will er dieses Format
öffnen, auch in die virtuelle Wirklichkeit vergrößern. „Was wir hier planen, sprengt eigentlich den üblichen Rahmen an einem deutschen Staatstheater“, sagt seine Kollegin.
Aber am Anfang der Arbeit stehe nicht die Technik, sondern die Philosophie: „Wir wollen mit diesem Werk einen bestimmten Gegenwartsgeist einfangen“, erklärt Berheide. Stebbins wird konkreter: „Die Vergangenheit, so wie wir sie bisher kannten, scheint heute zu verschwinden.“Ihre Theorie: Das digitale Zeitalter bringt Chaos in unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum. Der Mensch lebte bisher in seiner Gegenwart, hier und jetzt. Hinter ihm lag schon eine abgeschlossene Vergangenheit – „und vor ihm eine Zukunft, mit dem Versprechen: Das wird meine
Welt, die gestalte ich“. Aber heute schwappt die Vergangenheit immer wieder in die Gegenwart, in Wellen von Videos, Sounds, Pixeln, in vorgegaukelten Erinnerungen. Habe ich diesen alten Film damals im Kino gesehen? Wie habe ich den Mauerfall erlebt? Den 11. September? Diese Limonaden-Werbung aus den 60er-Jahren – warum kommt sie mir so bekannt vor? Stebbins sucht nach Worten für dieses Gefühl: „Ein Kollege hat das so formuliert: Ich lebe in einem Brei ohne Zeit und Raum.“
Berheide findet: „Unsere Zeit ist geprägt von einem Mangel an Geschichtsbewusstsein. An historischer Analyse. Da werden Dinge gleichgesetzt, die nicht gleich sind.“Und was bleibt noch von diesem Wunsch, die Welt zu gestalten? Klimakatastrophe. Artensterben.
Atomare Bedrohung. Was kann man in dieser Szenerie schon gestalten wollen. Ja, Berheide und Stebbins räumen ein, dass die Apokalypse immer wieder ein Motiv ist in ihren Gemeinschaftswerken. In „C:\> title Labyrinth“wollen sie aber weder Hoffnungen zerstören – noch Problemlösungen servieren. „Das ist nicht unsere Aufgabe“, findet Stebbins. „Das Werk ist auch vielmehr ein musiktheatrales Gedicht“, sagt Berheide. Oder auch: eine Oper aus der ErfinderWerkstatt. Mit dem 3-D-Drucker hat das Team hinter den Kulissen neue Musikinstrumente gebaut. Auch alte Sprungfedern und Blechwannen werden zum Klangkörper, aus allen Ecken des Raumes klingt es, dort spielen Mitglieder der Augsburger Philharmoniker nicht nur Cello oder Posaune.
Hören bleibt für Berheide ein sinnlicher Akt, ein körperlicher – auch im digitalen Zeitalter. „Die Klänge, die uns morgens wecken, sind heute synthetisch-künstlich. Und somit entkörperlicht. In diesem Werk will ich die Klänge wieder ins Analoge zurückholen.“So tröpfelt die Realität in die digitale Oper. Und das darf man wörtlich nehmen: „Wir haben da etwas erfunden“, erklärt Stebbins, „wir nennen es: die Drei-Plopp-Maschine.“Denn die Schale dieser Computer-Kulisse hat ein Leck. Ist Gott ein schlechter Programmierer? Oder der Mensch der Programmierer der Welt? Die Welt bleibt labyrinthisch.
Info: „C:\> title Labyrinth“, Uraufführung am Freitag, 22. März, um 19.30 Uhr im Kühlergebäude des Gaswerks bei der Brechtbühne.