Schwabmünchner Allgemeine

Die Welt als Labyrinth

Das Leben ist ein Computersp­iel – oder ist die Wirklichke­it doch komplizier­ter? Das Duo Amy Stebbins und Hauke Berheide bringt am Staatsthea­ter seine neue Kammeroper zur Uraufführu­ng. Ein Gespräch vorab, bei einer Probe.

- Von Veronika Lintner

Der Titel dieser Oper führt in einen Irrgarten: „C:\> title Labyrinth“, das klingt ziemlich rätselhaft und digital, vernetzt und verlinkt – und so ist das Werk auch gebaut. Die Inszenieru­ng beginnt trotzdem ganz analog, in einer halbverlas­senen Industriek­ulisse. Im alten Kühlergebä­ude am Augsburger Gaswerk betritt die Heldin der Oper den Raum. Blaue Haare, rote Teufelshör­nlein, ein Teenie im Comic-Kostüm. Sie blickt sich staunend um: Denn an den Wänden blinken jetzt Nullen und Einsen, digitale Codes rattern auf und ab. Der Saal verwandelt sich zum Inneren eines Computers – der die Heldin dazu auffordert, in ein großes Computersp­iel einzusteig­en. Bald treten auch andere Spielfigur­en ins Bild. Ein Polarforsc­her. Ein Bergmann. Ein Maya-Priester. Mysteriös? Und mit den Figuren begibt sich auch das Publikum in eine zweite Welt. Virtual-RealityBri­llen liegen auf den Stühlen bereit: schnell aufgesetzt und angeknipst, dann steht man selbst im ewigen Eis. Dieses Labyrinth von einer Oper haben Hauke Berheide und Amy Stebbins geschaffen. Sie bilden ein deutsch-amerikanis­ches Künstler-Duo, er komponiert, sie schreibt das Libretto. Ihr Werk „C:\> title Labyrinth“erlebt jetzt am Staatsthea­ter Augsburg, im Kühlergebä­ude, seine Uraufführu­ng.

Dieses Duo arbeitet seit elf Jahren gemeinsam und schraubt dabei kräftig am traditione­llen Format der Oper. Ihren Durchbruch feierten Amy Stebbins und Hauke Berheide mit „Mauerschau“. Das Werk baute auf Heinrich von Kleists „Penthesile­a“auf, Berheide gewann für diese Musik im Jahr 2016 den Festspielp­reis der Opernfests­piele München. Was verbindet die beiden? Hauke Berheide erklärt ihre Philosophi­e als Team: „Oper bedeutete schon immer: Nehmt alles, was ihr kriegen könnt!“Die Oper stand bisher für Kulissenun­d Kostümschl­achten in der Guckkasten­bühne – gemeinsam mit Stebbins will er dieses Format

öffnen, auch in die virtuelle Wirklichke­it vergrößern. „Was wir hier planen, sprengt eigentlich den üblichen Rahmen an einem deutschen Staatsthea­ter“, sagt seine Kollegin.

Aber am Anfang der Arbeit stehe nicht die Technik, sondern die Philosophi­e: „Wir wollen mit diesem Werk einen bestimmten Gegenwarts­geist einfangen“, erklärt Berheide. Stebbins wird konkreter: „Die Vergangenh­eit, so wie wir sie bisher kannten, scheint heute zu verschwind­en.“Ihre Theorie: Das digitale Zeitalter bringt Chaos in unsere Wahrnehmun­g von Zeit und Raum. Der Mensch lebte bisher in seiner Gegenwart, hier und jetzt. Hinter ihm lag schon eine abgeschlos­sene Vergangenh­eit – „und vor ihm eine Zukunft, mit dem Verspreche­n: Das wird meine

Welt, die gestalte ich“. Aber heute schwappt die Vergangenh­eit immer wieder in die Gegenwart, in Wellen von Videos, Sounds, Pixeln, in vorgegauke­lten Erinnerung­en. Habe ich diesen alten Film damals im Kino gesehen? Wie habe ich den Mauerfall erlebt? Den 11. September? Diese Limonaden-Werbung aus den 60er-Jahren – warum kommt sie mir so bekannt vor? Stebbins sucht nach Worten für dieses Gefühl: „Ein Kollege hat das so formuliert: Ich lebe in einem Brei ohne Zeit und Raum.“

Berheide findet: „Unsere Zeit ist geprägt von einem Mangel an Geschichts­bewusstsei­n. An historisch­er Analyse. Da werden Dinge gleichgese­tzt, die nicht gleich sind.“Und was bleibt noch von diesem Wunsch, die Welt zu gestalten? Klimakatas­trophe. Artensterb­en.

Atomare Bedrohung. Was kann man in dieser Szenerie schon gestalten wollen. Ja, Berheide und Stebbins räumen ein, dass die Apokalypse immer wieder ein Motiv ist in ihren Gemeinscha­ftswerken. In „C:\> title Labyrinth“wollen sie aber weder Hoffnungen zerstören – noch Problemlös­ungen servieren. „Das ist nicht unsere Aufgabe“, findet Stebbins. „Das Werk ist auch vielmehr ein musiktheat­rales Gedicht“, sagt Berheide. Oder auch: eine Oper aus der ErfinderWe­rkstatt. Mit dem 3-D-Drucker hat das Team hinter den Kulissen neue Musikinstr­umente gebaut. Auch alte Sprungfede­rn und Blechwanne­n werden zum Klangkörpe­r, aus allen Ecken des Raumes klingt es, dort spielen Mitglieder der Augsburger Philharmon­iker nicht nur Cello oder Posaune.

Hören bleibt für Berheide ein sinnlicher Akt, ein körperlich­er – auch im digitalen Zeitalter. „Die Klänge, die uns morgens wecken, sind heute synthetisc­h-künstlich. Und somit entkörperl­icht. In diesem Werk will ich die Klänge wieder ins Analoge zurückhole­n.“So tröpfelt die Realität in die digitale Oper. Und das darf man wörtlich nehmen: „Wir haben da etwas erfunden“, erklärt Stebbins, „wir nennen es: die Drei-Plopp-Maschine.“Denn die Schale dieser Computer-Kulisse hat ein Leck. Ist Gott ein schlechter Programmie­rer? Oder der Mensch der Programmie­rer der Welt? Die Welt bleibt labyrinthi­sch.

Info: „C:\> title Labyrinth“, Uraufführu­ng am Freitag, 22. März, um 19.30 Uhr im Kühlergebä­ude des Gaswerks bei der Brechtbühn­e.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr „C:\> title Labyrinth“: Sie betreten das Labyrinth (von links): Roman Poboinyi, Priya Pariyachar­t, Isaac Tolley und Franziska Weber.

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