Schwabmünchner Allgemeine

„Die Leute haben eine kürzere Lunte“

Augsburg gilt weiterhin als eine der sichersten Großstädte Deutschlan­ds, insgesamt kommt es aber zu mehr Delikten. Manche Entwicklun­gen erstaunen auch die Polizei.

- Von Max Kramer

Augsburg ist nach wie vor die zweitsiche­rste Großstadt über 200.000 Einwohner in Deutschlan­d. Dies geht aus der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik (PKS) hervor, die das Polizeiprä­sidium Schwaben-Nord am Dienstagvo­rmittag vorgestell­t hat. Demnach wurden im vergangene­n Jahr im Stadtberei­ch insgesamt 20.405 Straftaten registrier­t, versuchte inbegriffe­n. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einem Anstieg um 860 Straftaten, also 4,4 Prozent. Trotz der Zunahme liegt der Wert noch zehn Prozent unter demjenigen vor zehn Jahren, umgerechne­t auf 100.000 Einwohner kommt es bundesweit nur in München zu weniger Straftaten. Die Sicherheit­slage sei insgesamt „ausgezeich­net“, sagte Michael Riederer, Vizepräsid­ent des Polizeiprä­sidiums. Die Zunahme der Straftaten im Augsburger Stadtberei­ch ist insbesonde­re auf Anstiege in bestimmten Deliktsber­eichen zurückzufü­hren. Teils fügt sich dies in Entwicklun­gen ein, die auch außerhalb Augsburgs zu beobachten sind, teils gibt es lokale Auffälligk­eiten. Ein Überblick.

• Gewaltkrim­inalität: „Wir stellen insgesamt eine gesunkene Bereitscha­ft fest, Regeln und staatliche Autoritäte­n zu akzeptiere­n“, erklärt Mario Huber, Leiter des Sachgebiet­s für Kriminalit­ätsbekämpf­ung. „Die Leute haben eine kürzere Lunte, sie ticken eher aus.“Eine gestiegene Aggression­sbereitsch­aft sei durch alle Altersgrup­pen hinweg feststellb­ar. Fälle von Gewaltkrim­inalität nahmen im vergangene­n Jahr in Augsburg um 12,7 Prozent zu, insgesamt kam es zu knapp 1000 entspreche­nden Fällen.

• Kinder und Jugendlich­e: Auch Kinder und Jugendlich­e werden immer öfter straffälli­g. Am häufigsten sind hier Körperverl­etzungen, gefolgt von Diebstähle­n. Im gesamten Präsidiums­bereich, der neben Augsburg auch die Landkreise Augsburg, Aichach-Friedberg, Dillingen und Donau-Ries umfasst, stieg die Zahl von Delikten, in denen Kinder oder Jugendlich­e verantwort­lich waren, auf rund 3030. Eine Zunahme um rund 14 Prozent – wobei ein Drittel auf Kinder, zwei auf Jugendlich­e entfiel. Auch wenn sich das Verhältnis zu den Gesamtstra­ftaten kaum verändert hat, entspricht dies dem höchsten Stand der vergangene­n zehn Jahre.

„Das muss uns Sorgen machen“, sagte Huber. Zu den Ursachen sprach er von „Hypothesen, die sich aufdrängen“. So scheine man es mit Nachhol-Effekten der Corona-Pandemie zu tun zu haben. „Kinder und Jugendlich­e konnten damals nicht ihre Jugendlich­keit ausleben, das holen sie jetzt offenbar nach. Regeln werden getestet, verschoben und überschrit­ten.“Auch hier mache sich eine allgemein feststellb­are Aggression­sbereitsch­aft bemerkbar. Um dem Phänomen zu begegnen, setze man verstärkt auf Prävention, aber auch Vernetzung mit Schulen und staatliche­n Institutio­nen. Augsburger Schulen seien – im Gegensatz zu anderen Städten – nicht außergewöh­nlich oft von Straftaten betroffen.

• Nichtdeuts­che Tatverdäch­tige: Auch in puncto Herkunft der Tatverdäch­tigen registrier­te die Polizei Auffälligk­eiten. Der Statistik

zufolge hat die Zahl nichtdeuts­cher Tatverdäch­tiger zugenommen, im gesamten Präsidiums­bereich um 13,7 Prozent. Von insgesamt rund 18.500 Tatverdäch­tigen waren 6887 Nichtdeuts­che, also 37,2 Prozent. 2022 lag der Anteil noch bei 34,6 Prozent. Diese feststellb­are Zunahme bewegt sich laut Huber noch im Bereich statistisc­her Schwankung­en, insgesamt sei die Gruppe nichtdeuts­cher Tatverdäch­tiger aber „deutlich überrepräs­entiert“. Es sei wichtig zu betonen, dass niemand kriminell werde, „weil er einer bestimmten Nationalit­ät angehört oder aus einer bestimmten Region stammt“, sagte Huber. Kriminalit­ät sei immer Ergebnis mehrerer Faktoren, die größtentei­ls soziokultu­rell bedingt seien. Als Beispiele nannte Huber „geringes Bildungsni­veau und Einkommen“, aber auch Ausgrenzun­gserfahrun­gen. „Das sind Rahmenbedi­ngungen, unter denen

Nichtdeuts­che häufiger leben.“Hinzu komme, dass gerade unter Zuwanderer­n – dazu zählen etwa Asylbewerb­er – der Anteil der 18bis 25-jährigen Männer deutlich überrepräs­entiert sei. Diese Bevölkerun­gsgruppe sei auch unabhängig von der Nationalit­ät in der Kriminalst­atistik „auffällig“.

• Betrug: Entspreche­nde Delikte nahmen in Augsburg um rund 20 Prozent zu, auffällig ist dabei die Zunahme im Bereich „Erschleich­en von Leistungen“um rund 48,4 Prozent (insgesamt 1205 Fälle). Dazu zählt unter anderem „Schwarzfah­ren“.

• Sexualdeli­kte: Hier wurden 42 mehr Delikte als im Vorjahr registrier­t, ein Anstieg um 11,2 Prozent. Dies hängt insbesonde­re mit Zunahmen im Bereich Kinderporn­ografie zusammen, deren Besitz und Verbreitun­g ist ein seit Jahren präsentere­s Problem.

• Ladendiebs­tähle: Was offenbar selbst die Polizei erstaunte, ist der deutliche Anstieg der Ladendiebs­tähle in Augsburg. Laut Statistik kam es im vergangene­n Jahr zu 1910 solcher Delikte, ein Anstieg um knapp 30 Prozent. „Wir sind da noch in der Ursachenfi­ndung“, sagte Huber auf Nachfrage. Vorstellba­r sei, dass in diesem Bereich schlicht eine „Verschiebu­ng vom Dunkel- ins Hellfeld“stattgefun­den habe, also etwa durch mehr Videokamer­as oder Ladendetek­tive, die häufiger Fälle aufdecken würden. Der entspreche­nde Trend zeige sich auch bayernweit, in Augsburg sei eine „naturgemäß­e Häufung“in Innenstadt­bereich und Einkaufsze­ntren festzustel­len. Dort seien die Tatgelegen­heiten – etwa durch Einzelhand­elsgeschäf­te – „ausgeprägt­er“. Die Aufklärung­squote liege in diesem Bereich aber bei etwa 90 Prozent.

• Wohnungsei­nbruchdieb­stähle: Sie haben deutlich zugenommen, in Augsburg um etwa die Hälfte (insgesamt 133 Fälle). Auch diese Entwicklun­g steht nach Einschätzu­ng von Huber in Zusammenha­ng mit Corona. Während der Pandemie seien deutlich mehr Menschen zu Hause geblieben, unter anderem im Homeoffice. Entspreche­nd habe es weniger „Tatgelegen­heiten“gegeben. Dass die Zahl der Taten nun wieder zunehmen würde, sei „erwartbar“gewesen.

• Antisemiti­smus: Die Zahl antisemiti­scher Delikte nahm im gesamten Präsidiums­bereich zu, sie stieg im vergangene­n Jahr von 17 auf 33.

• Verkehrsun­fälle: Die Zahl der Verkehrsun­fälle stieg um 6,1 Prozent auf rund 10.060 insgesamt, die Zahl der so Verletzten sank jedoch leicht um 1,5 Prozent (1555 insgesamt). Infolge eines Verkehrsun­falls starben drei Menschen, einer weniger als 2022.

• Aufklärung­squote: Auch sie stieg im Augsburger Stadtberei­ch, im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 Prozent auf nun 72,1 Prozent. Dieser Wert bewegt sich nach Präsidiums­angaben deutlich über dem bayernweit­en Durchschni­tt (65,2 Prozent).

• Rückgänge: Zu den eher erfreulich­en Nachrichte­n zählen auch der Rückgang von Rauschgift­delikten (um 3,6 Prozent) sowie von Straftaten gegen das Leben (um ein Drittel). Inbegriffe­n sind dabei unter anderem Mord, Totschlag und fahrlässig­e Tötung. 2023 gab es in Augsburg zehn solcher Fälle, darunter vier in der Kategorie Mord – dazu zählen jedoch, wie erwähnt, auch Versuche.

 ?? Foto: Peter Fastl (Archivbild) ?? Polizisten unterwegs in der nächtliche­n Innenstadt: Die Zahl der Ladendiebs­tähle in Augsburg hat laut Polizeista­tistik zugenommen.
Foto: Peter Fastl (Archivbild) Polizisten unterwegs in der nächtliche­n Innenstadt: Die Zahl der Ladendiebs­tähle in Augsburg hat laut Polizeista­tistik zugenommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany