Schwabmünchner Allgemeine

„Aber Sie müssen doch miteinande­r reden“

Der Nachbarsch­aftsstreit zwischen den Ettringer Großuntern­ehmen Papierfabr­ik Lang/UPM und Aviretta findet auch vor dem Verwaltung­sgericht Augsburg kein Ende – vorerst zumindest.

- Von Alf Geiger

Wenn Nachbarn streiten, geht es manchmal um lärmende Kinder, wucherndes Unkraut und andere Kleinigkei­ten. Und doch müssen selbst solche Streitigke­iten häufig von einem deutschen Gericht geschlicht­et werden – auch wenn Außenstehe­nde darüber nur verwundert den Kopf schütteln. Im Streit der beiden Ettringer Großuntern­ehmen Papierfabr­ik Lang/UPM und Aviretta geht es weder um Lärm noch um Unkraut – es klingt erst mal viel komplizier­ter, wenn sich die 9. Kammer des Augsburger Verwaltung­sgerichts unter Vorsitz von Richterin Verena Hueck um die immissions­schutzrech­tliche Genehmigun­g einer neuen Dampfkesse­lanlage der Firma Aviretta bemüht.

Und doch scheint es sich auch in diesem Fall ganz einfach um das inzwischen zerrüttete Verhältnis unter zänkischen Nachbarn zu handeln, das aus unerklärli­chen Gründen eskaliert zu sein scheint. Wie vor dem Verwaltung­sgericht deutlich wurde, kommunizie­ren die beiden Nachbarunt­ernehmen offenbar nur noch über Rechtsanwä­lte und Gerichte miteinande­r, mehrere Verfahren seien anhängig, unter anderem auch Zivilklage­n beim Landgerich­t Augsburg. Warum? Das sagte auch die Verwaltung­srichterin nicht. Sie gab den Firmenvert­retern aber einen gut gemeinten Rat mit auf den Heimweg.

Der Nachbar von Aviretta, das Traditions­unternehme­n Papierfabr­ik Lang/UPM, hat gegen einen entspreche­nden Genehmigun­gsbescheid des Landratsam­tes geklagt und will damit verhindern, dass Aviretta seine geplante neue Anlage zur Dampferzeu­gung erst mal sechs Monate lang im Probebetri­eb testen kann. Denn laut Papierfabr­ik Lang/UPM drohen der firmeneige­nen Dampfanlag­e schwere und teure Schäden, wenn der Aviretta-Probebetri­eb wie geplant durchgefüh­rt wird.

Das klingt nicht nur komplizier­t – das ist es auch. Begriffe wie „Dampfspezi­fikation“oder „Probebetri­ebszyklus“sind selbst für hart gesottene Verwaltung­sexperten wie die Richter der 9. Kammer des Augsburger Verwaltung­sgerichts alles andere als Alltag. Zudem befinde sich Aviretta ja mitten auf dem Betriebsge­lände von Lang/UPM, also „mitten auf feindliche­m Gebiet“, wie es Richterin Verena Hueck scherzhaft bezeichnet­e. Dementspre­chend dauerte es mehr als eine halbe Stunde, in der die Richterin händeringe­nd versuchte, die schwierige Sachlage einigermaß­en allgemein verständli­ch aufzudröse­ln.

Demzufolge stemmt sich die Papierfabr­ik Lang/UPM mit allen juristisch­en Mittel gegen den geplanten Probebetri­eb der neuen, mit extra leichtem Heizöl betriebene­n Dampfkesse­lanlage von Aviretta. Beide Firmen haben tiefe gemeinsame Wurzeln und gingen aus der früheren Papierfabr­ik Lang hervor. Aviretta-Geschäftsf­ührer Carl Pawlowsky kaufte vor mehreren Jahren eine der Papiermasc­hinen aus dem Stammunter­nehmen heraus. Bei Aviretta werden seither auf der Papiermasc­hine 4 rund 150.000 Tonnen „braunes Papier“hergestell­t. Die Papierfabr­ik Lang ist Teil des finnischen UPM-Konzerns und produziert am Standort Ettringen jährlich bis zu 300.000 Tonnen grafische Papiere. Weil beide Unternehme­n aus der im Jahr 1897 gegründete­n Holzstoff-Fabrik der Gebrüder Lang hervorging­en, verbindet sie nicht nur eine gemeinsame Historie – auch manche Produktion­sabläufe sind aufs Engste miteinande­r verwoben, nicht zuletzt bei der bislang gemeinsame­n Energieerz­eugung.

Angesichts der weltpoliti­schen Lage und des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine habe sich Aviretta dann nach einer Möglichkei­t umgesehen, um vom Gas unabhängig­er zu werden, nannte Richterin Hueck die Gründe. Das hätte dann auch zur Folge, dass Aviretta nicht mehr für den Dampf aus dem UPM-Kraftwerk bezahlen müsste und somit auch von Lang/ UPM unabhängig sein werde. Ob genau dies der Knackpunkt sein könnte, der Auslöser für die Eskalation der Auseinande­rsetzung?

Warum der Streit unter den

Nachbar eskaliert ist, blieb auch nach der gut dreistündi­gen mündlichen Verhandlun­g weitgehend im Ungefähren. Wie es um das Nebeneinan­der der Unternehme­n aber tatsächlic­h bestellt ist, beschrieb ein leitender Mitarbeite­r von Lang/UPM vor Gericht dann doch ziemlich unmissvers­tändlich: „Das Verhältnis ist nicht gut …“Dies habe zur Folge, dass – wenn überhaupt – nur verzögert oder

eben gar nicht miteinande­r kommunizie­rt werde.

Und jetzt habe Lang/UPM eben Bedenken, dass schon der Probebetri­eb der neuen Aviretta-Anlage und damit verbundene Schwankung­en in der Menge des abgenommen­en Dampfes die offenbar sehr in die Jahre gekommene Anlage von Lang/UPM so stark beeinträch­tigen könnte, dass diese „irreversib­le Schäden“nehmen könnte,

wie es vor Gericht hieß. Die Anlage sei inzwischen so alt, dass kaum noch Ersatzteil­e zu bekommen seien – Schwankung­en in der Produktion könnten daher teure Folgen für Lang/UPM haben.

Wie zerrüttet das Verhältnis der Unternehme­nsvertrete­r zu sein scheint, zeigte auch das Verhalten der beiden Parteien vor dem Verwaltung­sgericht – kaum einer der anwesenden Geschäftsf­ührer würdigte den anderen eines Blickes. Gelassener konnten es da die Vertreter des beklagten Freistaate­s Bayern nehmen, die das Landratsam­t Unterallgä­u vertraten. Sehr schnell machte Verwaltung­srichterin Verena Hueck deutlich, dass ihre Kammer am Bescheid des Landratsam­ts im Grunde nichts auszusetze­n habe. Schließlic­h gehe es zunächst ja erst mal nur darum, die neue Anlage bei Aviretta zu testen und in einem Probebetri­eb mögliche Schwachste­llen oder Verbesseru­ngsmöglich­keiten zu suchen.

Das allein habe das immissions­schutzrech­tliche Verfahren zu beurteilen – mögliche Schadenser­satzforder­ungen spielten daher in ihrer Betrachtun­g keine Rolle, so Hueck: „Das müssen Sie schon untereinan­der klären“, schrieb die Richterin den anwesenden Unternehme­nsvertrete­rn in die Akten. Die wirtschaft­liche Situation und mögliche Folgen seien ja auch in einem Liefervert­rag zwischen Lang/UPM und Aviretta festgeschr­ieben, wunderte sie sich. Gewundert habe sich das Gericht dann aber auch, als es kurzfristi­g davon erfuhr, dass Lang/UPM zum Ende dieses Jahres genau diesen Dampf-Liefervert­rag mit Aviretta seinerseit­s aufgekündi­gt habe.

„Wieso reden Sie denn nicht miteinande­r?“, wurde die Richterin dann auch energisch und machte ein ums andere Mal deutlich, dass sie diese Eskalation dieses Nachbarsch­aftsstreit­s so gar nicht nachvollzi­ehen könne: „Sie sind doch alles vernünftig­e Menschen, das müssen Sie doch gemeinsam klären können? Das kann man doch miteinande­r besprechen!“, so Hueck achselzuck­end. Und spätestens jetzt fühlten sich die interessie­rten Zuhörer im Gerichtssa­al doch an einen merkwürdig­en Nachbarsch­aftszwist um lärmende Kinder oder wucherndes Unkraut erinnert …

Bis Ende April wird das Verwaltung­sgericht dann alle Anträge noch prüfen und dann ohne weitere öffentlich­e Verhandlun­g seine Entscheidu­ng bekannt geben. Wie es dann weitergehe­n wird? Das müssen wohl Gerichte entscheide­n.

 ?? Foto: Alf Geiger ?? Die beiden Ettringer Unternehme­n Papierfabr­ik Lang/UPM und Aviretta sind nicht allzu gut aufeinande­r zu sprechen und kommunizie­ren offenbar vorwiegend über Rechtsanwä­lte und Gerichte miteinande­r. Jetzt hat Lang/UPM vor dem Verwaltung­sgericht Augsburg gegen den Probebetri­eb der neuen Aviretta-Dampfkesse­lanlage geklagt.
Foto: Alf Geiger Die beiden Ettringer Unternehme­n Papierfabr­ik Lang/UPM und Aviretta sind nicht allzu gut aufeinande­r zu sprechen und kommunizie­ren offenbar vorwiegend über Rechtsanwä­lte und Gerichte miteinande­r. Jetzt hat Lang/UPM vor dem Verwaltung­sgericht Augsburg gegen den Probebetri­eb der neuen Aviretta-Dampfkesse­lanlage geklagt.

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