Kreativ mit Coco
Eine Ausstellung im Schaezlerpalais schlägt eine Brücke zwischen Mensch und Tier: „Zeitlang“zeigt Arbeiten von Anja Güthoff und dem Schimpansen Coco. Ein Besuch im Zoo.
Ein wenig versonnen steht sie da, in der ersten Frühlingssonne. Ans Geländer gelehnt beobachtet sie die Onager, die von vielen Zoobesuchern missachtet werden, weil sie beim schnellen Anschauen leicht für Esel gehalten werden können. Aber wer sich mit der Künstlerin Anja Güthoff im Augsburger Zoo verabredet, kann nicht einfach an den Onagern vorbeigehen. „Zehn Minuten schaffen wir leicht“, sagt sie und setzt ihre Beobachtung fort. Registriert den Onager-Hengst, der wohl Interesse an den zwei Besucherinnen gefunden hat und sich ein Stück nähert, zieht ihr Brett mit dem Papier aus dem Plastikbeutel und setzt die braune Ölkreide auf. Ein Zoobesuch mit Anja Güthoff nimmt Zeit in Anspruch. Zeit zum Schauen, zum Interagieren mit den Tieren, zum Nachdenken über dies und das. „Zeitlang“ist deshalb passend der Titel ihrer neuen Ausstellung im Schaezlerpalais, in der vor allem ein Bewohner des Zoos im Mittelpunkt steht.
„Zeitlang“, dieses Wort mit oberbayerischer oder auch österreichischer Färbung, kann vieles bedeuten: Langeweile ebenso wie starke Sehnsucht, aber auch sich Zeit nehmen. So wie es Anja Güthoff jetzt für die Onager tut. Wenn der Onager-Hengst den Kopf ein wenig schüttelt, antwortet sie ihm mit einem Schütteln ihrer rötlichen Locken. Jede Bewegung nimmt sie wahr, das Klopfen mit den Vorderhufen, das Schlagen des Schwanzes, das Aufstellen der Ohren und nebenbei entstehen Skizzen des Tieres auf dem Zeichenbrett. „Zehn Minuten sind ja heute schon eine lange Zeit“, gibt sie zu, „aber es gibt so viele Kleinigkeiten, die man bemerken kann, wenn man hier steht. Es macht etwas mit einem selbst, wenn man hier so steht. Vielleicht macht es einen geduldig.“
Der Augsburger Zoo und Anja Güthoff, das ist eine Verbindung, die schon lange währt. Schon während ihres Grafikdesign-Studiums an der Hochschule Augsburg kam sie hierher, hat sie diesen Ort so lieben gelernt, dass sie mit ihrer Diplomarbeit an ihn anknüpfte: einen Zooführer für Kinder und Jugendliche, der das langsame Erforschen des Zoos und seiner Tiere lehrt. „Das ist mir gleich aufgefallen, dass viele Menschen hier durchhetzten, dass es ein Dauerlauf mit Tieren, Pommes und Spielplatz ist“, sagt sie. Deshalb hat die Künstlerin damals exemplarisch an den drei Tieren Pavian, Strauß und Elefant durchexerziert, wie man sich dem Zoo und seinen Bewohnern auch nähern kann. Zum Beispiel mit einem Gedicht oder eben Zeichnungen.
Gut möglich, dass sie damals schon ein Bild des kleinen Schimpansen Coco, der in der Familie des damaligen Zoodirektors aufwuchs, irgendwo gesehen hatte. Wirklich nähergekommen sind sie sich aber vor rund 20 Jahren, als sie die Elefanten Burma und Targa für eine ihrer ersten Ausstellungen zeichnete und die Affen mit im Elefantenhaus untergebracht waren. „Der erste Kontakt ging von ihm aus. Er klopfte an die Scheibe und zeigte großes Interesse an meinen Skizzen und Werkzeugen.“Also malte sie fortan für ihn, auch auf der Glasscheibe, durch die man die Schimpansen beobachten kann. Coco animierte sie mit entsprechenden Handbewegungen zu Linien und Kreisen, zu Punkten und Formen und fing schließlich selbst an, zu zeichnen – zunächst mit dem Finger in den Sand des Bodens, schließlich mit Ölkreide auf Papier.
In der Kunstgeschichte ist der malende Affe kein Unbekannter. „Picassos unter den Tieren“werden Schimpansen von Zoologen auch gern genannt, der berühmteste unter ihnen ist wohl Congo aus dem Londoner Zoo, der in den 1950er-Jahren über 400 Bilder malte. In diesen Zusammenhang möchte Anja Güthoff ihre künstlerische Partnerschaft mit Coco nicht gestellt wissen, auch wenn im Schaezlerpalais nun einige der „Werke“Cocos ausgestellt sind. „Die Tiere beeinflussen aber durch ihre Ernsthaftigkeit mein Zeichnen und das fließt in meine künstlerische Arbeit mit ein.“Es geht
Güthoff bei ihren Besuchen im Schimpansenhaus nicht darum, das künstlerische Potenzial des Tiers zu bewerten. „Mir geht es um den Moment des Kritzelns.“Ein Moment, der auf Wechselwirkung beruht. Denn nicht nur Coco zieht ja seine Linien, Kreise und Figuren, setzt seine Punkte aufs Blatt, auch die Künstlerin Anja Güthoff gerät beim Zusammensein mit dem Affen in „diesen Zustand des zweckfreien Kritzelns“. Eine Situation, wie sie Kinder erleben, wenn sie selbstvergessen spielen oder mit Farbe „batzeln“, erklärt Güthoff. Ein Zustand auch, den Künstler suchen, aber schwer erreichen, weil sie ein Werk schaffen wollen.
So besonders und intim ist dieser Moment, dass Anja Güthoff ihn nicht gestört wissen will durch Beobachtende. Zumal sie erlebt hat, dass Coco sehr sensibel darauf reagiert, wenn sie sich ablenken lässt. „Dann verliert er das Interesse.“Schnell dreht sie deshalb an diesem sonnigen Mittag in einen Seitenweg ab, als beim Rundgang durch den Zoo das Affengehege in Sichtweite kommt. Das vertrauensvolle Zusammenwirken zwischen Mensch und Tier im Zeichen der Kunst soll den Beteiligten vorbehalten bleiben.
Die Ausstellung „Zeitlang“mit Werken von Coco und Anja Güthoff ist im Café und Liebertzzimmer des Schaezlerpalais bis 16. Juni zu sehen; Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.