„Luxus dürfen wir nicht erwarten“
Wohncontainer, Sport im Zelt und Bingo-Abende: Bei der Nato-Mission in Lettland muss auch die Moral in der Truppe stimmen. Ein Besuch im militärischen Container-Dorf.
Lielvarde/Lechfeld Das Dröhnen des Heizlüfters erfüllt das kleine Zelt. Draußen zeigt das Thermometer drei Grad, der Wind treibt die Schneeflocken hinter die Plane. Bierbänke sind aufgestellt, der Tisch mit einer übergeworfenen Decke fungiert als Altar. Aus zwei Latten hat jemand ein Holzkreuz gezimmert. Eine Lichterkette, Palmkätzchen in der Vase und Kerzen sorgen für einen Hauch feierliche Stimmung. Es ist keine üppige Ausstattung für eine Kapelle, die fern der Heimat Trost spenden und als Ort der Stille fungieren soll. Aber sie erfüllt ihren Zweck. „Anfangs haben wir den Gottesdienst im Besprechungsraum gehalten“, erinnert sich Militärpfarrer Martin Söffing an den Start der NatoMission in Lettland. Dann wurde das Trocknungszelt zur Kapelle umfunktioniert. „Wir haben das Beste daraus gemacht, sind kreativ geworden.“Und so ist es mit vielem hier, im Feldlager der Deutschen Luftwaffe in Lettland. Alles ist vorhanden, damit die Soldatinnen und Soldaten aus Neuburg den Auftrag der Nato erfüllen können und den Luftraum über den baltischen Staaten sichern. Aber es braucht Kreativität und Geduld, damit die Stimmung passt.
Rund 100 deutsche Soldaten und Soldatinnen sorgen noch bis Ende November vom militärischen Flugplatz Lielvarde aus für Sicherheit im baltischen Luftraum. Die erste Gruppe hat ihre Mission bereits abgeschlossen, ist diese Woche wieder in die Heimat zurückgekehrt. Neue Kameradinnen und Kameraden wurden eingeflogen, die jetzt die Verstärkung des Air Policing im Baltikum (VAPB), so der offizielle Titel der Mission, übernehmen. Das Luftwaffengeschwader 74 ist der Leitverband in Lielvarde, stellt den Großteil des Personals. Es ist ein viel beachteter Auftrag in weltpolitisch unsicheren Zeiten.
Die Mission erfüllen sie von einem Stützpunkt aus, den es vor einem Jahr so noch gar nicht gab. Bisher funktionierte das von Ämari (Estland) aus, doch dort wird der Flugplatz saniert. In Lielvarde ist zwar die gesamte lettische Luftwaffe stationiert, doch das kleine Land – etwa so groß wie Bayern – hat gerade mal 500 Soldaten, fünf Hubschrauber und zwei Flugzeuge. Wie jedes der baltischen Staaten hat es keine finanziellen Mittel, eine widerstandsfähige Luftwaffe mit Kampfjets aufzubauen. Seit dem Nato-Beitritt 2004 übernehmen deshalb die Partnerstaaten den Schutz. Und das Bedürfnis danach ist angesichts der nur 200 Kilometer entfernten Grenze zu Russland so hoch wie lange nicht.
Dass es nötig ist, bewies sich gleich wenige Stunden, nachdem die Neuburger das Kommando zum 1. März übernommen hatten. Zwei russische Aufklärungsflugzeuge waren ohne Identifizierung in den internationalen Luftraum eingeflogen – der erste Alarmstart lief an. Innerhalb von 15 Minuten müssen die Eurofighter in der Luft sein. „Wir steigen auf, identifizieren das Flugzeug und geben die Informationen weiter. Dann eskortieren wir’“, erklärt Kontingentführer und Oberstleutnant Sven Jacob, selbst Pilot, das Vorgehen. Bisher sei alles geregelt verlaufen. „Es ist eher ein Abtasten und Testen“, sagt der Kontingentführer. Natürlich wollen auch die Russen sehen, ob das Air Polcing funktioniert und welches Land gerade aktiv ist. Seitdem das Geschwader vor Ort ist, gab es elf solcher Alarmstarts. Dafür sind die Piloten und ein Team der Wartung in 12-StundenSchichten auf Bereitschaft.
„Es gab nichts, was hier gar nicht funktioniert hat“, sagt Jacob über die Betriebsaufnahme des Standorts. Sicherlich musste nachgebessert werden. „Aber das sind eher die zwei bis drei Prozent zur Ideallösung“, formuliert es der stellvertretende Geschwader-Kommodore aus Neuburg: vegetarisches Essen, besseres WLAN für jeden Soldaten wäre schön. „Natürlich könnte man sagen, früher haben wir auch nur einmal die Woche zu Hause angerufen. Doch die Ansprüche haben sich verändert und dem muss der Dienstherr auch gerecht werden“, stellt sich Jacob klar hinter seine Truppe. Aber er macht auch klar:
„Wir haben alles, um den Auftrag zu erfüllen und grundsätzlich alles für ein angenehmes Leben. Luxus dürfen wir nicht erwarten.“
Zwölf Quadratmeter Wohncontainer sind wahrlich kein Luxus, zumal die Soldaten und elf Soldatinnen zu zweit darin untergebracht sind. Zwei Betten, zwei Schränke, zwei Klappstühle, ein Tisch. In der Ecke steht ein Besen und ein Wischmopp. Für Dusche und Toilette geht man zwanzig Schritte über den Hof – sie sind ebenfalls im Container. Noch mal 200 Meter weiter wird gearbeitet, im Bürocontainer. Das Leben und Arbeiten auf der Air Base ist rein räumlich eine kompakte Angelegenheit.
Das Feldlager, die Gemeinschaftsräume, Verpflegung und vor allem alles, was für einen gesicherten Flugbetrieb nötig ist, wurde in Lielvarde aus dem Boden gestampft. Der Stützpunkt gleicht einem übergroßen Containerdorf, das auf einer neu geteerten Fläche aufgestellt wurde. Die Mission muss laufen, das ist das, was zählt. Zehn Wochen täglich Dienst fern der Heimat, damit die Eurofighter starten können. Aber natürlich muss auch die Moral der Truppe aufrechterhalten werden.
Seit wenigen Tagen haben die Letten die lang erwartete, eigens gebaute Kantine in Betrieb genommen. Frühstück, Mittagessen, Abendessen – das gibt es jetzt nicht mehr im zugigen Zelt, auf Klappstühlen. Die deftige Küche des Gastgeberlandes wird nun in einem modernen Gebäude ausgegeben. Die ebenfalls am Stützpunkt stationierten Soldaten der spanischen und lettischen Luftwaffe sowie der US Army löffeln hier Tisch an Tisch Putengulasch und Blumenkohlsalat.
Ebenfalls noch aufgebaut wurde ein großes Sportzelt, in dem sich die Männer und Frauen zwischen den Dienstzeiten an den Geräten auspowern können. Dienstags gibt es Rückenfit, Mittwoch steht eine Fahrt ins nächste Hallenbad auf dem Plan. Wer möchte, kann aufs Laufband gehen oder mit dem Sportoffizier trainieren.
Im Gemeinschaftszelt spielen die Soldaten Dart, Kicker, Billard. Wer länger in den abgewetzten Sesseln ein Päuschen macht, bekommt mit, dass auch jeder für sich vorgesorgt hat. Da wird mal eine Spielekonsole an den Flachbildfernseher angestöpselt und gezockt. Für 50 Cent gibt es dazu eine Cola aus dem Shop, in dem das Wichtigste für den Alltag verkauft wird: Rasierschaum, Gummibärchen, Tütensuppe. Alkohol ist auf Geheiß der Letten auf der Air Base verboten, was kurz vor Start der Mission für Unmut sorgte, doch es gab keine Diskussionen. „Wir halten uns hier an die Vorgaben des Gastgebers“, macht Kontingentführer Jacob klar. Und diese lauten: kein Alkohol auf dem Flugplatz. In Estland waren zwei Dosen Bier pro Tag noch erlaubt.
Oberstabsfeldwebel Horst Keller ist für die Betreuung zuständig und sein BüroContainer gleicht einer Tourist-Info. Auf den Tischen liegen Flyer, Broschüren und Listen. „Wenn wir schon hier sind, sollen die Soldaten auch die Chance haben, etwas vom Land zu sehen“, sagt der erfahrene Offizier, der sich selbst Eventmanager des Feldlagers nennt. Wer doch mal einen Tag „Dienstunterbrechung“hat, fährt nach Riga oder ins Hinterland auf eine Wandertour. Keller organisiert aber auch Spieleund Filmabende oder ein Kickerturnier. Bingo kommt auch gut an. Wenn dienstags der Nachschub aus der Heimat per Lkw eintrifft, dann hat der auch mal ein paar
Überraschungen dabei: Weißwürste für ein besonderes Frühstück am Sonntag etwa. Osterpost der Familie oder das, was man für einen internationalen Abend mit den anderen Nationen am Standort braucht.
Für die meisten hier ist es eine intensive Dienstzeit und viel Arbeit. Die Prämie für die Auslandsverwendung haben die meisten schon für einen Urlaub mit der Familie verplant. Nach acht Wochen war die Freude groß, es geschafft zu haben. Aber nicht für jeden ist die Auslandsverwendung eine harte Zeit fern der Heimat und Familie. Für die Stabsunteroffizierinnen Maria und Luise geht nach zwei Monaten in Lettland „eine richtig gute Zeit“zu Ende, erzählten sie bei einer letzten Zigarette vor dem Heimflug. „Das könnte gerne noch länger gehen“, sagt Luise. Hier sei alles geregelt, die Stimmung in der Truppe gut gewesen. Mit Marie, mit der sie den Wohncontainer geteilt hat, verbindet sie eine Freundschaft. „Zuhause wartet wieder viel Arbeit, Haushalt, private Verpflichtungen“, sagt die Stabsunteroffizierin.
Auch Militärpfarrer Martin Söffing, der eine letzte Abschiedsandacht im KapellenZelt hält, bevor der erste Trupp wieder nach Neuburg fliegt, richtet den Blick auf das Positive. „Wir sollten ohne Bauchgrummeln nach Hause fliegen“, so der evangelische Pfarrer, der aus Bochum stammt, und zugleich als Seelsorger für die Truppe fungierte. „Natürlich gab es vieles, was nicht so gelaufen ist oder noch besser werden kann.“Und gelegentlich hadere eben schon der eine oder andere mit seinem Dienst und seinem Auftrag. Aber der Flieger fliegt. Darum gehe es am Ende. „Und es braucht hier jeden, damit es funktioniert.“
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