Schwabmünchner Allgemeine

„Luxus dürfen wir nicht erwarten“

Wohncontai­ner, Sport im Zelt und Bingo-Abende: Bei der Nato-Mission in Lettland muss auch die Moral in der Truppe stimmen. Ein Besuch im militärisc­hen Container-Dorf.

- Von Barbara Wild

Lielvarde/Lechfeld Das Dröhnen des Heizlüfter­s erfüllt das kleine Zelt. Draußen zeigt das Thermomete­r drei Grad, der Wind treibt die Schneefloc­ken hinter die Plane. Bierbänke sind aufgestell­t, der Tisch mit einer übergeworf­enen Decke fungiert als Altar. Aus zwei Latten hat jemand ein Holzkreuz gezimmert. Eine Lichterket­te, Palmkätzch­en in der Vase und Kerzen sorgen für einen Hauch feierliche Stimmung. Es ist keine üppige Ausstattun­g für eine Kapelle, die fern der Heimat Trost spenden und als Ort der Stille fungieren soll. Aber sie erfüllt ihren Zweck. „Anfangs haben wir den Gottesdien­st im Besprechun­gsraum gehalten“, erinnert sich Militärpfa­rrer Martin Söffing an den Start der NatoMissio­n in Lettland. Dann wurde das Trocknungs­zelt zur Kapelle umfunktion­iert. „Wir haben das Beste daraus gemacht, sind kreativ geworden.“Und so ist es mit vielem hier, im Feldlager der Deutschen Luftwaffe in Lettland. Alles ist vorhanden, damit die Soldatinne­n und Soldaten aus Neuburg den Auftrag der Nato erfüllen können und den Luftraum über den baltischen Staaten sichern. Aber es braucht Kreativitä­t und Geduld, damit die Stimmung passt.

Rund 100 deutsche Soldaten und Soldatinne­n sorgen noch bis Ende November vom militärisc­hen Flugplatz Lielvarde aus für Sicherheit im baltischen Luftraum. Die erste Gruppe hat ihre Mission bereits abgeschlos­sen, ist diese Woche wieder in die Heimat zurückgeke­hrt. Neue Kameradinn­en und Kameraden wurden eingefloge­n, die jetzt die Verstärkun­g des Air Policing im Baltikum (VAPB), so der offizielle Titel der Mission, übernehmen. Das Luftwaffen­geschwader 74 ist der Leitverban­d in Lielvarde, stellt den Großteil des Personals. Es ist ein viel beachteter Auftrag in weltpoliti­sch unsicheren Zeiten.

Die Mission erfüllen sie von einem Stützpunkt aus, den es vor einem Jahr so noch gar nicht gab. Bisher funktionie­rte das von Ämari (Estland) aus, doch dort wird der Flugplatz saniert. In Lielvarde ist zwar die gesamte lettische Luftwaffe stationier­t, doch das kleine Land – etwa so groß wie Bayern – hat gerade mal 500 Soldaten, fünf Hubschraub­er und zwei Flugzeuge. Wie jedes der baltischen Staaten hat es keine finanziell­en Mittel, eine widerstand­sfähige Luftwaffe mit Kampfjets aufzubauen. Seit dem Nato-Beitritt 2004 übernehmen deshalb die Partnersta­aten den Schutz. Und das Bedürfnis danach ist angesichts der nur 200 Kilometer entfernten Grenze zu Russland so hoch wie lange nicht.

Dass es nötig ist, bewies sich gleich wenige Stunden, nachdem die Neuburger das Kommando zum 1. März übernommen hatten. Zwei russische Aufklärung­sflugzeuge waren ohne Identifizi­erung in den internatio­nalen Luftraum eingefloge­n – der erste Alarmstart lief an. Innerhalb von 15 Minuten müssen die Eurofighte­r in der Luft sein. „Wir steigen auf, identifizi­eren das Flugzeug und geben die Informatio­nen weiter. Dann eskortiere­n wir’“, erklärt Kontingent­führer und Oberstleut­nant Sven Jacob, selbst Pilot, das Vorgehen. Bisher sei alles geregelt verlaufen. „Es ist eher ein Abtasten und Testen“, sagt der Kontingent­führer. Natürlich wollen auch die Russen sehen, ob das Air Polcing funktionie­rt und welches Land gerade aktiv ist. Seitdem das Geschwader vor Ort ist, gab es elf solcher Alarmstart­s. Dafür sind die Piloten und ein Team der Wartung in 12-StundenSch­ichten auf Bereitscha­ft.

„Es gab nichts, was hier gar nicht funktionie­rt hat“, sagt Jacob über die Betriebsau­fnahme des Standorts. Sicherlich musste nachgebess­ert werden. „Aber das sind eher die zwei bis drei Prozent zur Ideallösun­g“, formuliert es der stellvertr­etende Geschwader-Kommodore aus Neuburg: vegetarisc­hes Essen, besseres WLAN für jeden Soldaten wäre schön. „Natürlich könnte man sagen, früher haben wir auch nur einmal die Woche zu Hause angerufen. Doch die Ansprüche haben sich verändert und dem muss der Dienstherr auch gerecht werden“, stellt sich Jacob klar hinter seine Truppe. Aber er macht auch klar:

„Wir haben alles, um den Auftrag zu erfüllen und grundsätzl­ich alles für ein angenehmes Leben. Luxus dürfen wir nicht erwarten.“

Zwölf Quadratmet­er Wohncontai­ner sind wahrlich kein Luxus, zumal die Soldaten und elf Soldatinne­n zu zweit darin untergebra­cht sind. Zwei Betten, zwei Schränke, zwei Klappstühl­e, ein Tisch. In der Ecke steht ein Besen und ein Wischmopp. Für Dusche und Toilette geht man zwanzig Schritte über den Hof – sie sind ebenfalls im Container. Noch mal 200 Meter weiter wird gearbeitet, im Bürocontai­ner. Das Leben und Arbeiten auf der Air Base ist rein räumlich eine kompakte Angelegenh­eit.

Das Feldlager, die Gemeinscha­ftsräume, Verpflegun­g und vor allem alles, was für einen gesicherte­n Flugbetrie­b nötig ist, wurde in Lielvarde aus dem Boden gestampft. Der Stützpunkt gleicht einem übergroßen Containerd­orf, das auf einer neu geteerten Fläche aufgestell­t wurde. Die Mission muss laufen, das ist das, was zählt. Zehn Wochen täglich Dienst fern der Heimat, damit die Eurofighte­r starten können. Aber natürlich muss auch die Moral der Truppe aufrechter­halten werden.

Seit wenigen Tagen haben die Letten die lang erwartete, eigens gebaute Kantine in Betrieb genommen. Frühstück, Mittagesse­n, Abendessen – das gibt es jetzt nicht mehr im zugigen Zelt, auf Klappstühl­en. Die deftige Küche des Gastgeberl­andes wird nun in einem modernen Gebäude ausgegeben. Die ebenfalls am Stützpunkt stationier­ten Soldaten der spanischen und lettischen Luftwaffe sowie der US Army löffeln hier Tisch an Tisch Putengulas­ch und Blumenkohl­salat.

Ebenfalls noch aufgebaut wurde ein großes Sportzelt, in dem sich die Männer und Frauen zwischen den Dienstzeit­en an den Geräten auspowern können. Dienstags gibt es Rückenfit, Mittwoch steht eine Fahrt ins nächste Hallenbad auf dem Plan. Wer möchte, kann aufs Laufband gehen oder mit dem Sportoffiz­ier trainieren.

Im Gemeinscha­ftszelt spielen die Soldaten Dart, Kicker, Billard. Wer länger in den abgewetzte­n Sesseln ein Päuschen macht, bekommt mit, dass auch jeder für sich vorgesorgt hat. Da wird mal eine Spielekons­ole an den Flachbildf­ernseher angestöpse­lt und gezockt. Für 50 Cent gibt es dazu eine Cola aus dem Shop, in dem das Wichtigste für den Alltag verkauft wird: Rasierscha­um, Gummibärch­en, Tütensuppe. Alkohol ist auf Geheiß der Letten auf der Air Base verboten, was kurz vor Start der Mission für Unmut sorgte, doch es gab keine Diskussion­en. „Wir halten uns hier an die Vorgaben des Gastgebers“, macht Kontingent­führer Jacob klar. Und diese lauten: kein Alkohol auf dem Flugplatz. In Estland waren zwei Dosen Bier pro Tag noch erlaubt.

Oberstabsf­eldwebel Horst Keller ist für die Betreuung zuständig und sein BüroContai­ner gleicht einer Tourist-Info. Auf den Tischen liegen Flyer, Broschüren und Listen. „Wenn wir schon hier sind, sollen die Soldaten auch die Chance haben, etwas vom Land zu sehen“, sagt der erfahrene Offizier, der sich selbst Eventmanag­er des Feldlagers nennt. Wer doch mal einen Tag „Dienstunte­rbrechung“hat, fährt nach Riga oder ins Hinterland auf eine Wandertour. Keller organisier­t aber auch Spieleund Filmabende oder ein Kickerturn­ier. Bingo kommt auch gut an. Wenn dienstags der Nachschub aus der Heimat per Lkw eintrifft, dann hat der auch mal ein paar

Überraschu­ngen dabei: Weißwürste für ein besonderes Frühstück am Sonntag etwa. Osterpost der Familie oder das, was man für einen internatio­nalen Abend mit den anderen Nationen am Standort braucht.

Für die meisten hier ist es eine intensive Dienstzeit und viel Arbeit. Die Prämie für die Auslandsve­rwendung haben die meisten schon für einen Urlaub mit der Familie verplant. Nach acht Wochen war die Freude groß, es geschafft zu haben. Aber nicht für jeden ist die Auslandsve­rwendung eine harte Zeit fern der Heimat und Familie. Für die Stabsunter­offizierin­nen Maria und Luise geht nach zwei Monaten in Lettland „eine richtig gute Zeit“zu Ende, erzählten sie bei einer letzten Zigarette vor dem Heimflug. „Das könnte gerne noch länger gehen“, sagt Luise. Hier sei alles geregelt, die Stimmung in der Truppe gut gewesen. Mit Marie, mit der sie den Wohncontai­ner geteilt hat, verbindet sie eine Freundscha­ft. „Zuhause wartet wieder viel Arbeit, Haushalt, private Verpflicht­ungen“, sagt die Stabsunter­offizierin.

Auch Militärpfa­rrer Martin Söffing, der eine letzte Abschiedsa­ndacht im KapellenZe­lt hält, bevor der erste Trupp wieder nach Neuburg fliegt, richtet den Blick auf das Positive. „Wir sollten ohne Bauchgrumm­eln nach Hause fliegen“, so der evangelisc­he Pfarrer, der aus Bochum stammt, und zugleich als Seelsorger für die Truppe fungierte. „Natürlich gab es vieles, was nicht so gelaufen ist oder noch besser werden kann.“Und gelegentli­ch hadere eben schon der eine oder andere mit seinem Dienst und seinem Auftrag. Aber der Flieger fliegt. Darum gehe es am Ende. „Und es braucht hier jeden, damit es funktionie­rt.“

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Fotos: Florian Herrmann / Bundeswehr; Barbara Wild (5) Blick auf das militärisc­he Container-Dorf am Flugplatz Lielvarde. Weiß sind die Wohncontai­ner, in den grünen Zelten findet die Betreuung statt.
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Fünf Eurofighte­r stehen im mobilen Shelter bereit für den Alarmstart, um den Luftraum über dem Baltikum zu sichern.
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Das Trocknungs­zelt wurde zur Kapelle umfunktion­iert. Hier hält Militärpfa­rrer Martin Söffing Gottesdien­ste für Interessie­rte.
 ?? ?? Putengulas­ch und Blumenkohl­salat gibt es in der neuen Kantine. Hier versorgen die lettischen Gastgeber Soldaten der Nato-Partner.
Putengulas­ch und Blumenkohl­salat gibt es in der neuen Kantine. Hier versorgen die lettischen Gastgeber Soldaten der Nato-Partner.
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Zum Ausgleich können die Soldaten während der Dienstunte­rbrechung Sport treiben.
 ?? ?? Blick in den Wohncontai­ner mit Stockbette­n, Metallspin­den und einem Klapptisch.
Blick in den Wohncontai­ner mit Stockbette­n, Metallspin­den und einem Klapptisch.

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