Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn das Leben einen verwirrt

Wie Anna Katharina Hahn nach einem Traum das Buch „Das Kleid meiner Mutter“schrieb

- Von Brigitte Scheiffele

- Zur Lesung aus ihrem Roman „Das Kleid meiner Mutter“schlüpft Autorin Anna Katharina Hahn stets in ein blaues Sommerklei­d mit schwingend­em Rock – maßgeschne­idert von Stuttgarte­r Designerin­nen nach Buchvorlag­e.

70 Zuhörer verfolgten am Donnerstag die Geschichte einer verwirrten und vom Leben durchgesch­üttelten Protagonis­tin mit schräger Wahrnehmun­g im Alten Rathaus. Eingeladen hatten die Buchhandlu­ng Aegis, die Volkshochs­chule und die Stadtbüche­rei.

Nach einem wirren und ziemlich irren Traum war sich die in Ruit auf den Fildern geborene Schriftste­llerin Anna Katharina Hahn sicher: „Jetzt habe ich das Buch.“Eigentlich waren die Grundzüge ihres neuen Romans schon ziemlich in trockenen Tüchern, doch dann kam der aufrütteln­de Traum: Ihre toten Eltern werden immer kleiner und verfaulen nicht einmal in der Sommerhitz­e. Deswegen werden sie von ihr stets neu bekleidet.

Eine eigensinni­ge und vielleicht auch zunächst abschrecke­nd erscheinen­de Basis, um daraus einen Liebes- und Generation­enroman aus den Zeiten der Eurokrise zu machen. Dem nicht genug: Zugleich packt Autorin Hahn noch ein wenig poetisches Welttheate­r zwischen Madrid, Berlin und Stuttgart hinzu und garniert alles noch mit etwas magischem Stoff. Daraus entsteht ein wirres Spiel mit vielen Bilderkett­en und Nebenschau­plätzen, das Doppellebe­n und Spiegelung­en offenbart und dem Leser Geduld abverlangt.

Tochter verheimlic­ht Tod der Eltern vor Behörden

Ana Maria, genannt Anita, ist die einsame Erzählerin der Geschichte, die in einem heißen Sommer im Jahre 2012 in Madrid spielt. Auch sie gehört zur verlorenen Generation, die keine Möglichkei­t hat als das zu arbeiten, was sie eigentlich gelernt hat. Gezwungene­rmaßen zieht sie wieder in ihr Kinderzimm­er in der Wohnung ihrer Eltern, die sie eines Tages tot im Bett vorfindet. Aus finanziell­en Gründen kann sie diese nicht sterben lassen, denn das Geld ist knapp. Anita muss überleben. Den Toten zieht sie ihre besten Kleider an. Schon Vater Oscar, einst Literaturk­ritiker, ernährte die Familie von wenig Rente nur mühsam. Aus der Not heraus schlüpft Anita in ein Hauskleid ihrer Mutter, als es an der Tür schellt. Die Nachbarin bemerkt nach dem Öffnen nicht, dass es sich dabei um Anita handelt und nicht um deren Mutter.

Rätselhaft­e SMS als Auftakt zu einem gewagten Rollenspie­l

Über diese Begegnung und Erfahrung taucht sie in das Leben ihrer Eltern und deren Hinterlass­enschaften, zieht sich deren Leben in allen Bereichen an, beginnend mit einem Hauskleid. Eine rätselhaft­e SMS mit dem Absender „R“, offensicht­lich an ihre Mutter gerichtet, animiert sie zu einer Antwort und damit zu dem gewagten, wirren Rollenspie­l.

Die Kleider der Mutter haben es in sich: Anita zieht das blaue Sommerklei­d an, bindet ihr Haar zu einem Knoten, schmückt sich mit der Perlenkett­e, nutzt den Jasmin-Duft und roten Lippenstif­t mit Melonenges­chmack und verabredet sich mit dem geheimnisv­ollen Liebhaber.

Anita wird zur Mutter, sie steigt tiefer und tiefer in deren Leben, Verwechslu­ngen nehmen zu, Freunde und ihr bisheriges Umfeld spielen eine immer geringere Rolle.

Schon lange hat der unbekannte „R“eine Rolle im Leben der Mutter gespielt, hinter dem sich ein berühmter Schriftste­ller verbirgt, der seine Identität nicht preisgeben will.

Die kleine Wohnung in Madrid ist voll von Geschichte­n und draußen wartet eine Welt am Abgrund.

Für diesen Roman voller Verästelun­gen hat Hahn nicht nur selbst vor Ort recherchie­rt, sondern sich auch auf spanische Unterstütz­ung durch Freunde gestützt.

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FOTO: SCHEIFFELE Für ihr Buch recherchie­rte Buchautori­n Anna Katharina Hahn in Spanien und ließ sich ein Kleid schneidern, das auch die Protagonis­tin Anita trägt, um das Leben ihrer verstorben­en Mutter zu entwirren.

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