Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Kurzschluss im Südwesten
In der ersten Ausschreibungsrunde fallen alle baden-württembergischen Windprojekte durch – Stuttgart kritisiert Modus
- Die Windkraftbranche in Baden-Württemberg steht nach einem Rekordjahr 2016 vor einer schwierigen Zukunft. Der Grund: In der ersten Ausschreibungsrunde für Onshore-Windkraftprojekte, deren Ergebnisse vor einigen Tagen von der Bundesnetzagentur veröffentlicht wurden, ist der Südwesten komplett leer ausgegangen. Stattdessen wurde der Großteil der Projekte Akteuren in Norddeutschland zugeschlagen.
Seit diesem Jahr müssen sich Planer von Windparks im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens um die staatliche Förderung bewerben. Den Zuschlag bekommen die Projekte mit dem niedrigsten Angebot – also die Projekte, bei denen die staatliche Förderung am geringsten ist. In der jüngst abgeschlossenen ersten von drei Ausschreibungsrunden in diesem Jahr lag die Spanne der bezuschlagten Projekte zwischen 5,25 bis 5,78 Cent pro Kilowattstunde – ein Wert, mit dem sich Windparkprojekte im windärmeren Südwesten nicht rentabel darstellen lassen.
„So kann es nicht weitergehen. Die Ergebnisse der Ausschreibungsrunde zeigen, dass es im System hapert“, erklärte Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) auf dem neunten Windbranchentag Baden-Württemberg am Mittwoch in Stuttgart. Untersteller, der sich in der Vergangenheit für den Systemwechsel von festen Einspeisevergütungen hin zu einem Ausschreibungsverfahren starkgemacht hatte, forderte eine „zeitnahe Nachbesserung des Systems“. Sein Vorschlag: die Einführung einer Regionalisierungskomponente, über die ein Teil der ausgeschriebenen Mengen verpflichtend im Süden der Republik installiert werden müssen.
„Wenn wir die Klimaschutzziele der Bundesregierung erreichen wollen, brauchen wir auch den Ausbau der Windkraft im Süden“, sagte Untersteller, der ankündigte, dass sich die Landesregierung in den nächsten Wochen intensiv mit den Ausschreibungsmodalitäten befassen werde.
Das vergangene Jahr schloss die Windenergiebranche im Südwesten noch mit Rekordzahlen ab: Mit 124 neu installierten Windkraftanlagen und einer Leistung von mehr als einem Gigawatt in Betrieb ist BadenWürttemberg im innerdeutschen Ländervergleich auf Platz fünf vorgerückt. Hinzu kommen Genehmigungen für weitere 209 Windkrafträder oder 650 Megawatt, die in den kommenden zwei Jahren realisiert werden. Doch spätestens im Jahr 2019 läuft die Branche Gefahr, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, sollte das Ausschreibungssystem so bleiben wie es ist.
Deutliche Kritik am Verfahren äußerte auch Hartmut Brösamle, Vorstand der Wpd AG. Das Unternehmen aus Bremen hat unter anderem den Windpark Lauterstein im Landkreis Göppingen, den größten Windpark in Baden-Württemberg, gebaut. Der Manager verwies auf die Ergebnisse der Ausschreibungsrunde, nach denen mehr als 90 Prozent der Projekte Bürgerenergiegenossenschaften zugeschlagen wurden – ein Ergebnis, mit dem im Vorfeld keiner der Beteiligten gerechnet hatte. Vielmehr hieß es unisono, dass das neue Vergabedesign Bürgerenergienossenschaften aus dem Markt drängen würde.
Um das zu verhindern wurden Bürgerenergiegenossenschaften im Gegensatz zu professionellen Akteuren deutlich niedrigere Zugangshürden für den Ausschreibungsprozess eingeräumt. So haben sie vier Jahre Zeit, das Projekt umzusetzen, müssen keine Immissionschutzgutachten erstellen und können dadurch deutlich günstiger kalkulieren. Diese Vorteile haben allen Anschein auch etliche professionelle Akteure genutzt und sich hinter dem Deckmantel einer Bürgerenergiegenossenschaft am Ausschreibungsverfahren beteiligt. Brösamle sprach von „Preisdumping durch Bürgerenergiegenossenschaften“.
Von den 65 bezuschlagten Genossenschaften seien 45 erst im vergangenen Monat gegründet worden. Nur vier der Projekte hätten überhaupt eine Genehmigung. „Hier wird gepokert“, sagte Brösamle, der davon ausgeht, dass die Hälfte der Projekte gar nicht gebaut wird. „Wird das Gesetz nicht geändert, erleidet die Windkraftbranche das gleiche Schicksal wie die Solarenergie.“
Untersteller fordert Änderungen
Umweltminister Untersteller stellte die Erleichterungen für Bürgerenergiegenossenschaften infrage. „Ich habe den Eindruck, dass einige sehr kreativ unterwegs sind. Dass dadurch professionelle Anbieter leer ausgehen, kann so nicht bleiben“, erklärte Untersteller. Ob sich am Ausschreibungsdesign noch vor der Bundestagswahl etwas ändert, ist allerdings unwahrscheinlich. „Es besteht die Gefahr, dass die Politik im Wahljahr nicht mehr reagiert“, befürchtet Dirk Güsewell, Leiter des Geschäftsbereichs Erzeugung und damit verantwortlich für Erneuerbare Energien bei der Energieversorger EnBW. Damit wirkten sich die Verzerrungen auch auf die nächsten beiden Ausschreibungsrunden aus.
Für die Windkraftbranche im Südwesten wäre 2017 dann ein komplett verlorenes Jahr.