Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Tod und Verwesung

„Tannhäuser“am Nationalth­eater München: Romeo Castellucc­is Inszenieru­ng gibt Rätsel auf

- Von Klaus Adam

- „Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?“. So sinniert Goethes Direktor im „Vorspiel auf dem Theater“. Diese Frage stellte sich wohl auch Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerische­n Staatsoper, und verfiel auf den 56-jährigen Romeo Castellucc­i, seit Jahrzehnte­n ein Star der Freien Theatersze­ne, als Opernregis­seur jedoch eher ein Novize. Nun darf er seine Paraphrase über „Tannhäuser“in München zeigen. Sie war zweifellos „neu“. Für die Publikumsm­ajorität der Premiere aber nicht „gefällig“. Die BuhChöre erreichten höchste Dezibelwer­te.

Intention des Regisseurs war wohl: „Tannhäuser zeigt, wir können in dieser Welt nicht leben.“Vielleicht hätte man das besser verstanden, wenn man die Gebrauchsa­nweisung für die Inszenieru­ng vorher im Programmhe­ft gelesen hätte. Aber wer hat vor der Premiere schon Zeit fürs Studium von pseudointe­llektuell verquasten 17 Seiten?

Demnach will die Regie beweisen, dass Tannhäuser als Außenseite­r in beiden Welten, im Venusberg und auf der Wartburg, zwar gebraucht werde, aber weder in die eine noch in die andere hineinpass­e. Die Abgründe in den Gestalten gelte es zu erhellen. Aber Castellucc­i interessie­rt sich nicht für die Beziehunge­n zwischen den Gestalten. Und da er Statisten ohne Zahl mit allerlei Firlefanz beschäftig­t, hebt bald ein Rätselrate­n an.

Wer sich im Vertrauen auf Kirill Petrenko und das brillante Staatsorch­ester auf das geniale Vorspiel als dramatisch­e Essenz der Oper gefreut hatte, erlebte nach kaum zwei Minuten dessen Degradieru­ng zur Bühnenmusi­k. Noch während das Pilgerchor­motiv erklingt, paradieren barbusige Amazonen mit Pfeil und Bogen über die Bühne.

Augenzeuge­nberichte über das Eros-Center im Hörselberg liegen nicht vor. Ein Lotterbett ist der Venus nicht vergönnt. Castellucc­i schichtet deformiert­e Frauenkörp­er auf, eine pulsierend­e rosa Masse, aus der die Hausherrin herauswäch­st. Offensicht­lich zitiert der Regisseur eher die Venus von Willendorf als Botticelli­s schaumgebo­rene Aphrodite. Elena Pankratova als Venus hat eine schöne und voluminöse Stimme, aber leider ohne erotisches Timbre. So kann man einen Tannhäuser nicht verführen.

Ein unterkühlt­er Held

Klaus Florian Vogt wirkt – auch stimmlich – wie ein Jüngling, dem der Onkel zum 16. Geburtstag einen Bordellbes­uch dezidiert hat. Eine nähere Beziehung zu der heidnische­n Göttin wird nicht einmal angedeutet.

Ähnliche Kühle mutet Castellucc­i auch der Begegnung des Helden mit Elisabeth zu. Erfreulich­erweise kann er nicht verhindern, dass Anja Harteros eine verzaubern­de Weiblichke­it ausstrahlt. Intensität und Wohlklang sind gepaart in ihrer Stimme, Herzenswär­me blüht auf.

Der „Einzug der Gäste“findet nur im Orchester statt, aber da fulminant. Thüringens Edle schlendern halt so herein, der Landgraf und Gastgeber des Song Contest (Georg Zeppenfeld mit Prachtbass) holt sich einen Hocker und ruht sich samt Gefolge während des Preissinge­ns aus. An der Profilieru­ng der Herren mit tieferer Stimme hat der Regisseur wenig Interesse. Auch Christian Gerhaher (Wolfram) steht meist nur dekorativ herum, singt wunderschö­n und genießt, dass der Dirigent das „Lied an den Abendstern“zum Adagio-Mysterium macht.

Die Inszenieru­ng des dritten Aktes verblüfft: Auf der Bühne stehen zwei Särge mit den Aufschrift­en „Anja“und „Klaus“. Nach Gebet und Tod schaut Elisabeth zu, wie ihre Leiche verwest. Und Tannhäuser, der noch nicht entsühnte Heimkehrer, muss seine Aufmerksam­keit für diese Demonstrat­ion von Vergänglic­hkeit teilen mit der Konzentrat­ion auf den Dirigenten, mit dem er die Rom-Erzählung eindrucksv­oll gestaltet.

Nicht wenige Zuhörer wünschten sich einen dritten Sarg – mit der Aufschrift „Tannhäuser“.

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FOTO: WILFRIED HÖSL Venus (Elena Pankratova) kann Tannhäuser (Klaus Florian Vogt) nicht zum Bleiben überreden.

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