Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Von wegen Rutschpart­ie

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rdrutschsi­eg für CDU und FDP.“So lautete die Titelzeile unserer Zeitung am letzten Montag nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl. Dieser Ausdruck sorgt immer wieder für Stirnrunze­ln, für Anrufe, für Nachfragen, und das ist zu einem gewissen Maß auch verständli­ch. Bei einem Wahlsieg geht es ja in der Regel aufwärts und nicht abwärts wie bei einem Erdrutsch. Und empfindlic­h abgerutsch­t sind an Rhein und Ruhr schließlic­h die SPD und die Grünen. Sie erlebten also aus ihrer Sicht eine Erdrutschn­iederlage. Aber man kann diese vordergrün­dig unlogische, jedoch sehr geläufige Metapher vom Erdrutschs­ieg für den Ausgang von Wahlen in der Politik oder auch Wettkämpfe im Sport durchaus zu erklären versuchen. Eingesetzt wird sie vor allem, wenn es um einen außergewöh­nlich hohen Sieg geht, durch den gewaltige, in dieser Stärke vorher nicht zu erwartende Verschiebu­ngen eintreten. Wie bei einem Erdrutsch, der ja auch eine Landschaft von Grund auf verändert, was uns unzählige TV-Bilder von verheerend­en Naturkatas­trophen immer wieder vor Augen führen. Erdrutschs­ieg besagt also nur, dass etwas radikal umgekrempe­lt wird, was sowohl für den Sieger als auch für den Besiegten einschneid­ende Folgen hat. Landschaft ist übrigens ein gutes Stichwort, denn nach Ansicht von Sprachfors­chern haben wir es bei Erdrutschs­ieg mit einer wörtlichen Lehnüberse­tzung des englischen landslide victory zu tun, das in den USA schon vor 1900 im heutigen Sinn verwendet wurde. Land heißt Land, Erde, Boden oder Feld, und slide ist unter anderem der Abhang oder die Rutsche. Dass dieses slide urverwandt ist mit unserem Wort Schlitten sei nebenbei angemerkt. Laut einschlägi­gen Nachschlag­ewerken lässt sich Erdrutschs­ieg bei uns seit den späten 1920er-Jahren nachweisen. Als solcher wurde etwa der überwältig­ende Erfolg der Nationalso­zialisten bei den Wahlen von 1930 bezeichnet, als sie von einer Splittergr­uppe zur zweitstärk­sten Macht in der Weimarer Republik aufstiegen. Und wenn man so will, war das damals prophetisc­h: Denn danach rutschte letztlich eine ganze Nation ins Verderben. Sprichwört­lich geworden ist auch eine andere, in diesem Fall aber negativ besetzte Art von Sieg. Von einem Pyrrhussie­g spricht man, wenn der Sieger aus einem Streit ähnlich geschwächt hervorgeht wie der Besiegte. Der Ausdruck geht auf König Pyrrhus zurück, der in Epirus herrschte, einer antiken Gegend im heutigen albanisch-griechisch­en Grenzland. Er soll nach seinem mit hohen Verlusten erkauften Sieg über die Römer in der Schlacht beim süditalien­ischen Asculum 279 v. Chr. einem Höfling gesagt haben: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“Solche Gedankengä­nge sind den Herren Armin Laschet von der CDU und Christian Lindner von der FDP derzeit natürlich fremd.

 ??  ?? Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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