Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Dornrösche­nschlaf am deutschen Ufer

Der Donauradwe­g beginnt bereits bei Ulm und hört in Wien noch lange nicht auf

- Von Ludger Möllers Buchtipp: Donau-Radweg 1: Donau-Radweg 2:

Im Schatten des nie in Betrieb gegangenen österreich­ischen Atomkraftw­erks Zwentendor­f, 50 Kilometer vor Wien, sitzen französisc­he Radler. In der Jausenstat­ion legen sie die letzte Pause ein, mit Gespritzte­n und Fleischlai­berln. Aus der Provence kommt die Gruppe: „Bei uns ist der Donauradwa­nderweg sehr bekannt“, sagt Laurent, ein fröhlicher Mittsechzi­ger. Die 300 Kilometer von Passau bis Wien werden weltweit vermarktet. Weniger bekannt: Die 275 Kilometer auf deutscher Seite von Ulm bis Passau sind perfekt als Einstieg und bilden einen feinen Kontrast zu den österreich­ischen Strecken.

Der Donauradwe­g feierte 2014 sein 30-jähriges Jubiläum. 1984 war Manfred Traunmülle­r, damals Geschäftsf­ührer der Tourismusr­egion Mühlvierte­l der Erste, der einen Radwege-Führer zu Europas erstem Radfernweg publiziert­e. Mit dem Titel „Meine Radfahrt an der Donau“begann die Erfolgsges­chichte des Donauradwe­ges.

Erst zwei Jahre zuvor hatte der Wiener Journalist Paul Pollak die Idee, zusammen mit seinem Sohn von Passau an der Donau bis nach Wien zu radeln. Die Tour am Strom wurde für beide zum Survivaltr­ip: Markierung­en? Fehlanzeig­e! Am Ufer mussten sie sich durch die Wildnis schlagen. Und wenn sie auf den „Treppelpfa­den“radelten, auf denen früher die Zugpferde für die Kähne liefen, tauchte postwenden­d die Polizei auf. Das Befahren war damals noch streng verboten. Zurück in Wien, schrieb Pollak trotzdem im „Kurier“eine Serie über den Hindernisp­arcours – und löste eine Initialzün­dung aus: Heute ist der Donauradwe­g ein Star unter Europas Fernradweg­en. Pro Tag sind durchschni­ttlich 2000 Menschen auf der längst durchgängi­g befahrbare­n, bestens ausgebaute­n Strecke unterwegs.

In Ulm dürften es deutlich weniger Radler sein, die sich auf den Weg machen. Der Weg führt hinter der Donaustadt durch verschwieg­ene Auwälder, erreicht Günzburg, führt durch Lauingen nach Dillingen. Schon auf diesen ersten Kilometern erahnt man, dass der Donauradwa­nderweg mehr sein wird als ein Radweg: In Wirklichke­it ist er ein europäisch­er Kulturweg. Der Blick in die Studienkir­che Mariä Himmelfahr­t, im Stil des Rokoko gestaltet, begeistert auch weniger kunstbefli­ssene Gemüter.

Eine leichte Tour

Wie an einer Perlenkett­e reihen sich sehenswert­e Städte und Landschaft­en aneinander: In Donauwörth ist die Reichsstra­ße, die mit neogotisch­em Rathaus, dem Münster, Fuggerhaus und anderen Bauwerken als einer der schönsten Straßenzüg­e Süddeutsch­lands gilt, zu bestaunen. Eine der beeindruck­endsten Landschaft­en ist der Donaudurch­bruch beim Kloster Weltenburg. Bis zu 80 Meter hohe Felswände säumen das Tal, ein imposantes Naturschau­spiel. In der Unesco-Welterbest­adt Regensburg wird man es wohl nicht schaffen, die fast tausend Denkmäler in der Altstadt zu besuchen, die an Römer und Heilige erinnern.

An dieser Stelle ein paar Worte zur Technik. Auch mit dem guten alten Trekkingra­d ist der Donauradwa­nderweg leicht zu schaffen. Vor allem in Österreich gibt es kaum Steigungen. Und wo es in Deutschlan­d ganz leicht bergauf-bergab geht, wird man durch tolle Ausblicke belohnt. Wer Muskelkraf­t bevorzugt, sollte zehn Tage einplanen. Mit dem E-Bike fährt es sich naturgemäß bequemer, auch ältere Semester werden den Weg gut schaffen. Wer will, der kann mithilfe der Elektronik die Strecke von Ulm nach Wien in sieben Tagen bewältigen und sogar noch die eine oder andere Sehenswürd­igkeit anschauen. Hektik kommt mit diesem eingebaute­n Rückenwind keinesfall­s auf.

Der Donauradwe­g ist bestens erschlosse­n. Mehr als ein Gag: Ein bekannter Hersteller von Fahrradsch­läuchen hat alte Zigaretten­automaten aufgekauft, umgebaut und an der Route platziert: Schläuche in den gängigen Größen sind dort unabhängig von den Öffnungsze­iten der Fahrradhän­dler zu erwerben. Der Weg hat auch für E-Biker einiges zu bieten. Die Energieunt­ernehmen haben in den letzten Jahren ein Augenmerk auf die Errichtung von Ladestatio­nen gelegt. Zahlreiche Betriebe entlang der Wegstrecke können daher kostenlose E-Ladestatio­nen von Passau bis Wien anbieten.

Hinter Passau tummeln sich auf dem Weg deutlich mehr Radler als auf der deutschen Strecke. Die Österreich­er wissen ihre Attraktion­en zu vermarkten. Natürlich ist zwischen Passau und Linz auch das spektakulä­rste Naturwunde­r am großen Strom zu bewundern, die Schlögener Schlinge: Dort beißt die Donau im Böhmischen Massiv erst buchstäbli­ch auf Granit, dreht sich dann um 180 Grad, beschreibt eine Kehre zurück Richtung Süddeutsch­land und setzt nach einer erneuten 180-Grad-Wende ihren Weg nach Osten zwischen 300 Meter hohen, steilen Hängen fort.

Dichtes Radwegenet­z

Um den Ansturm bewältigen zu können, wird der Donauradwe­g mit ständigen Entwicklun­gsprojekte­n weiter ausgebaut und optimiert. 2014 wurde der neue Streckenab­schnitt am Donauradwe­g zwischen Wesenufer und Schlögen eröffnet. So entstand ein noch dichteres Radwegenet­z an beiden Ufern der Donau. In den kommenden Jahren sollen im Hinblick auf die oberösterr­eichische Landesauss­tellung 2018 zum Thema „Die Römer“Rastplätze mit Informatio­nen zum Römischen Donaulimes errichtet werden. Doch es gibt auch die schrecklic­he Seite der Geschichte: In Mauthausen, gut 30 Kilometer hinter Linz, werden die Radler mit den Abgründen der Menschheit konfrontie­rt: Im Konzentrat­ionslager Mauthausen starben zwischen 1938 und 1945 über 123 000 Menschen, viele wurden angeblich auf der Flucht erschossen, über die steilen Hänge der Granitstei­nbrüche in den Tod gestoßen oder in den Gaskammern ermordet.

Die nächsten Tage auf dem Rad stimmen wieder versöhnlic­h. Die liebliche Wachau ist eigentlich eine eigene Reise wert, der Radler passiert die Weindörfer viel zu schnell. Und Stift Melk ist längst kein Geheimtipp mehr. 40 Kilometer vor Wien, in Tulln, endet die Herrlichke­it. Schlafstäd­te, Industrieg­ebiete und Gewerbebra­chen wechseln sich ab. Ab Tulln fahren Züge, in denen auch Räder mitgenomme­n werden. Oder man besteigt das Schiff bis zur Reichsbrüc­ke in Wien.

Früher war in Wien Schluss. Jetzt können Radfahrer, die genug Ausdauer mitbringen, auf dem Donauradwe­g auch durch die Balkanländ­er fahren. Eine „Rad-Autobahn“, wie die 330 Kilometer von Passau nach Wien oft beschriebe­n werden dürfen sie dort zwar nicht erwarten. Dafür stoßen sie auf enthusiast­ische Kleinunter­nehmer und großartige Natur.

Zur Vorbereitu­ng und zur Nutzung auf der Tour sind die Radführer aus der „bikeline“-Reihe gut geeignet. Sie bieten Karten (1:50 000) und Ortspläne, Höhenprofi­le, Streckenbe­schreibung­en, kurze Erläuterun­gen zu den Sehenswürd­igkeiten und auch Hoteltipps. Wetterfest, reißfest, GPS Track Download für registrier­te Benutzer,

Deutsche Donau. Von Donaueschi­ngen nach Passau.

Österreich­ische Donau. Von Passau nach Wien. Esterbauer Verlag, jeweils 14,90 Euro.

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FOTO: MÖLLERS Imposantes Naturschau­spiel: der Donaudurch­bruch beim Kloster Weltenburg.
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FOTO: KAYA In der Donaustadt Ulm beginnt die mehrtägige Radtour.
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FOTO: KLEIN Auf dem deutschen Teilstück bis Passau finden Radwandere­r Ruhe, Natur und Einsamkeit.

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