Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Das große Knistern
Ulmer Zelt: Das grandiose Herbert Pixner Projekt reißt musikalische Grenzen ein – Die Alpen sind nur der Startpunkt
- Irgendwann stehen die Leute immer auf, meist kurz vor Schluss, wenn es an die Zugabe geht. Davor saßen sie in der Regel, denn die Auftritte des Herbert Pixner Projekts sind gemeinhin Stuhlkonzerte. Diesmal war es etwas anders – zum Glück. Die Band um den Südtiroler Multiinstrumentalisten tritt am zweiten Abend im Ulmer Zelt auf und sieht sich einer stehenden Menschenmenge gegenüber. Das wirkt offenbar von der ersten Minute an elektrisierend auf das Quartett, das regelrecht Funken versprüht, weil es den ganzen Abend lang „standing ovations“bekommt.
„Das sind wir nicht gewöhnt“, flachst der Bandleader etwas kokett, denn natürlich hinterlassen sie auf ihren Tourneen begeisterte, ausverkaufte Hallen.
Kleine Rückblende ins vergangene Jahr. Da füllte das Herbert Pixner Projekt die Langenauer Stadthalle, nachdem die Vier einige Jahre zuvor noch im kleinen Pfleghof aufgetreten waren. Ein großartiger Abend, doch kein Vergleich zu dieser energischen, spannenden Zelt-Show anno 2017. Eine bestuhlte Mehrzweckhalle schafft halt doch eine gewisse Distanz zu den Musikern auf der Bühne. Die fällt diesmal komplett weg und das schafft eine ganz eigene, prickelnde Spannung zwischen dem Quartett und den Fans. Dabei knistert es schon ordentlich auf der Bühne.
So wichtig die Harfenistin Heidi Pixner und der Bassist Werner Unterlercher für den Gesamtsound auch sind: Das wilde Herz der Gruppe, das sind Herbert Pixner und Gitarrist Manuel Randi. Die Zwei halten mit den Augen ständig Kontakt, blinzeln sich zu, als wollten sie sich gegenseitig anstacheln – ein Wettlauf im Spaß haben. Sie sprudeln über vor Virtuosität. Vor allem Gitarrist Manuel Grandi brennt ein Brillantfeuerwerk auf dem Griffbrett ab. Er kann eigentlich alles: Die Elektrische lässt er mal dunkel jazzen, dann wieder schrill und heftig aufjaulen. Mit seiner Rasanz würde er jede Hardrockband zieren. Dann wieder spielt er drahtigen Gypsy-Jazz im DjangoReinhard-Stil. Wenn er sich dann die Nylonsaiten-Gitarre greift, rattert er flotten Flamenco runter oder zupft beschwingten Bossa Nova oder Tango. Damit ist jedoch nur ansatzweise umrissen, was die Band drauf hat. Sie wirbt zwar damit, „feinste handgemachte Musik aus den Alpen“zu spielen, doch mit Volksweisen aus dem Bergland hält sie sich nur recht kurz auf. Diese Vier sind musikalisch auf der ganzen Welt zuhause – selbst in Afrika: Nach einem furiosen Solotrip zwischen Afro-Pop und Flamenco mündet das Stück „Djanga Sai“in einem wüsten Trommelduett, wobei der Gitarrenkorpus und das Holz der Steirischen Harmonika als Klopfinstrumente malträtiert werden. Und das Publikum ist hin und weg.
Dabei beherrscht die Band besonders auch die leisen Töne, die Klangmalerei, mit der etwa ein Sonnenaufgang in den Bergen ausgemalt wird. Mit flirrenden Tönen beschreibt das Stück „Breaking Bad“den Marsch eines unter der Glutsonne Italiens gestrandeten Autofahrers zur nächsten Tankstelle. Man meint zu hören, wie die Geier schon über dem Bedauernswerten kreisen. Die gestopfte Trompete klingt wie der letzte Hauch vor dem Verschmachten. Großes musikalisches Kopfkino. Das verlangt nach einer Zugabe und einer Zugabe und einer Zugabe – und danach, diese fantastischen Vier bald wieder zu sehen.