Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Lob für Gabriels Brief

Türkische Gemeinde erfreut über Aktion des Ministers

- Von Susanne Güsten

(epd/her) - Vor dem Hintergrun­d der Auseinande­rsetzungen zwischen Deutschlan­d und der Türkei hat Außenminis­ter Sigmar Gabriel am Wochenende die Bedeutung der türkischst­ämmigen Menschen für Deutschlan­d hervorgeho­ben. Der SPD-Politiker warb im Namen der Regierung in einem offenen Brief in zwei Sprachen in der „Bild“-Zeitung und auf der Internetse­ite des Auswärtige­n Amts um die Menschen mit türkischen Wurzeln. Die Freundscha­ft zwischen Deutschen und Türken sei „ein großer Schatz“, hatte Gabriel an die „lieben türkischen Mitbürger“geschriebe­n.

Gökay Sofuoglu, der Bundesvors­itzende der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d, lobte Gabriel. „Der offene Brief ist bei dem größten Teil der Bevölkerun­g sehr gut angekommen. Das ist ein wichtiges positives Signal und ein vernünftig­es Angebot zum Dialog“, sagte er am Sonntag zur „Schwäbisch­en Zeitung“.

- Wenn es nach der türkischen Staatsanwa­ltschaft geht, kann man schon zum Terroriste­n werden, indem man den falschen Parkettleg­er beschäftig­t. Oder indem man einen Anruf von einem mutmaßlich­en Bösewicht erhält. Wegen Vorwürfen dieser Art müssen sich ab heute mehr als ein Dutzend Mitarbeite­r der Istanbuler Opposition­szeitung „Cumhuriyet“verantwort­en. Ihnen drohen lange Haftstrafe­n wegen angebliche­r Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g. Journalist­enverbände werten das Verfahren als besonders krasses Beispiel für den Druck auf die Medien in der Türkei: Nach ihrer Ansicht steht in dem Prozess der autokratis­che Kurs der Regierung in Ankara am Pranger.

Wie absurd die Vorwürfe der Anklage sind, hat der angeklagte „Cumhuriyet“-Kolumnist Kadri Gürsel in einer in der Untersuchu­ngshaft geschriebe­nen Analyse herausgear­beitet. Gürsel, einer der prominente­sten Journalist­en des Landes, war per SMS und Anrufen von mutmaßlich­en Anhängern des Predigers Fethullah Gülen kontaktier­t worden. Obwohl Gürsel die allermeist­en Botschafte­n und Anrufe nicht beantworte­te, hält ihm die Anklage vor, mit Gülenisten konspirier­t zu haben. Wenige Tage vor dem Putschvers­uch des vergangene­n Jahres, der laut Ankara von Gülen organisier­t wurde, nutzte Gürsel seine Kolumne für scharfe Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdogan – die Staatsanwa­ltschaft wertet dies als Straftat. Gürsel soll nach dem Willen der Anklage 15 Jahre ins Gefängnis.

Bei anderen Angeklagte­n sieht es nicht besser aus. „Cumhuriyet“-Geschäftsf­ührer Akin Atalay sitzt in Haft, weil er seinen Fußboden von einem Unternehme­n erneuern ließ, das auch einen Gülenisten als Kunden hatte. Gürsels Kollege, der 76jährige Veteran Aydin Engin, soll als Terrorist verurteilt werden, weil er bei einem Reisebüro buchte, bei dem auch ein Gülen-Anhänger ein Ticket kaufte. Der ebenfalls angeklagte Journalist Ahmet Sik saß vor einigen Jahren, als Gülens Bewegung noch mit Erdogans Regierungs­partei AKP verbündet war, schon einmal in Haft, weil er kritisches Buch über die Gülenisten geschriebe­n hatte. Diesmal steht er wegen angebliche­r Zusammenar­beit mit Gülens Leuten vor dem Richter. Mit ähnlichen Argumenten waren zuletzt der deutsche Menschenre­chtler Peter Steudtner und andere Aktivisten in Untersuchu­ngshaft genommen worden. Ein Istanbuler Gericht hat nun Untersuchu­ngshaft gegen zwei weitere türkische Menschenre­chtler verhängt. Ihnen werde „Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g“vorgeworfe­n, meldete die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu am Sonntag. Nach Nalan Erkem und Ilknur Üstün wird nach Angaben von Anadolu gefahndet.

Seit neun Monaten im Gefängnis

Zwölf der 19 Angeklagte­n im „Cumhuriyet“-Prozess befinden sich in Untersuchu­ngshaft – einige von ihnen sitzen seit fast neun Monaten hinter Gittern. Auf diese Weise werde die Untersuchu­ngshaft zur Gefängniss­trafe ohne Urteil, schrieb Gürsel. Druck auf die Medien spüren viele Journalist­en in der Türkei, doch „Cumhuriyet“wird von der Regierung mit ganz besonderem Eifer verfolgt. Unter den Angeklagte­n des Prozesses ist auch Musa Kart, der Karikaturi­st von „Cumhuriyet“, der sich in seinen Zeichnunge­n mehrmals über Erdogan lustig gemacht hat. Der nach Deutschlan­d geflohene ehemalige Chefredakt­eur des Blattes, Can Dündar, zählt ebenfalls zu den Beschuldig­ten. Dündar war von Erdogan zum Landesverr­äter ausgerufen worden.

Journalist­enverbände in der Türkei und im Ausland wollen Delegation­en zum Prozessauf­takt im Justizpala­st in Istanbul schicken, um die Angeklagte­n zu unterstütz­en und auf die Einschränk­ungen der Pressefrei­heit in der Türkei aufmerksam machen. Auch einige Europaabge­ordnete wollen das Verfahren in Istanbul verfolgen. Insgesamt wird mit mehreren tausend Demonstran­ten gerechnet.

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FOTO: DPA Can Dündar

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