Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Nie im Leben bonbonbunt
Nine Inch Nails bleiben ihrem düsteren Industrialrock auf „Add Violence“treu
Ein musikalisches Lebenszeichen von Trent Reznor ist immer etwas, das Fans und Kritiker mit Spannung erwarten. Wo die Nine Inch Nails früher schon monatelang vorher mit viralem Marketing Spannung aufbauten, ist die EP „Add Violence“– die zweite in einer Trilogie – nur wenige Tage nach der Ankündigung erschienen. Zugänglicher als die Vorgänger-Songkollektion „Not The Actual Events“(2016) wirken die neuen Songs – und wie ein erneuter Beweis dafür, dass der amerikanische Klangkünstler immer noch den nötigen musikalischen Biss hat.
Kopfkino ist untertrieben: Trent Reznor hat mit den Nine Inch Nails schon immer Musik erschaffen, die bestens zur Untermalung von bewegten Bildern dient. Und zwar nicht gerade von bonbonbunten Romanzen. So traten die Industrial-Giganten vor wenigen Wochen in einer Episode der dritten Staffel der Mysteryserie „Twin Peaks“auf. RegieKonfusionsmeister David Lynch und Trent Reznor kennen sich schon länger, so hatte der NIN-Kreativkopf 1996 den Soundtrack zur Lynch-Groteske „Lost Highway“produziert und mit seiner Band den Song „The Perfect Drug“beigesteuert. Auch Dokufilmer haben den dräuenden NINSound für sich entdeckt: Im Abspann des oscarprämierten Snowden-Films „Citizenfour“sind die verstörenden Klänge Reznors ebenso zu hören wie in gefühlt jeder zweiten Reportage, die sich mit Endzeit oder Computerhackern beschäftigt.
Oscargekrönte Filmmusik
Nur konsequent, dass sich Reznor und sein musikalischer Mitstreiter Atticus Ross in den vergangenen Jahren auf das Schreiben von Soundtracks spezialisiert haben und für die Musik zum Facebook-Drama „The Social Network“sogar einen Oscar einheimsen konnten.
Den Hang zum musikalischen Cineastentum merkt man auch der fünf Songs umfassenden EP „Add Violence“deutlich an. Während „Less Than“noch sehr poppig und tanzbar daherkommt und mit seinen Computerspielsounds fast schon nostalgisch wirkt, gesellen sich in „The Lovers“tupfende Klavierklänge zum elektronischen Klanggewand. Erinnerungen an „The Fragile“, einen von mehreren NIN-Meilensteinen aus den Neunzigern, werden wach. Komplett raus nimmt NIN das Tempo dann in „This Isn’t The Place“. Das wäre ja fast schon ein Stehblues, auf den man sich hin und her wiegen kann, wenn da nicht diese paranoide Stimmung wäre, die das Stück verströmt. Wer vor allem die kompromisslose Härte von Reznor kennt, darf sich über die zerbrechliche Kopfstimme wundern, die er hier einsetzt. „Not Anymore“dagegen wirkt skizzenhaft und mit seinem Rumpelbeat ungewöhnlich roh. Das Herzstück der EP steht aber ganz am Ende und dauert fast zwölf Minuten: „The Background World“beginnt mit einem gemächlichen Beat und kippt etwa nach dem ersten Drittel: Ab hier wird der Song zur selbstzerstörerischen Dauerschleife. Als ob man in einem verlassenen Bunker ein Tonband entdeckt, das immer wieder die gleichen Töne abspielt, dabei aber allmählich von Säure zerfressen wird.
Angst, Chaos, Selbstzweifel: Das Coverartwork zur EP zeigt, warum wir hier Bilder in Schwarz und Grau vor Augen haben und eben nicht glitzernde Bonbonfarben. Kaum jemand kann diese Gefühle so gut in Musik umwandeln wie Trent Reznor. Es bleibt dabei.