Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nie im Leben bonbonbunt

Nine Inch Nails bleiben ihrem düsteren Industrial­rock auf „Add Violence“treu

- Von Daniel Drescher

Ein musikalisc­hes Lebenszeic­hen von Trent Reznor ist immer etwas, das Fans und Kritiker mit Spannung erwarten. Wo die Nine Inch Nails früher schon monatelang vorher mit viralem Marketing Spannung aufbauten, ist die EP „Add Violence“– die zweite in einer Trilogie – nur wenige Tage nach der Ankündigun­g erschienen. Zugänglich­er als die Vorgänger-Songkollek­tion „Not The Actual Events“(2016) wirken die neuen Songs – und wie ein erneuter Beweis dafür, dass der amerikanis­che Klangkünst­ler immer noch den nötigen musikalisc­hen Biss hat.

Kopfkino ist untertrieb­en: Trent Reznor hat mit den Nine Inch Nails schon immer Musik erschaffen, die bestens zur Untermalun­g von bewegten Bildern dient. Und zwar nicht gerade von bonbonbunt­en Romanzen. So traten die Industrial-Giganten vor wenigen Wochen in einer Episode der dritten Staffel der Mysteryser­ie „Twin Peaks“auf. RegieKonfu­sionsmeist­er David Lynch und Trent Reznor kennen sich schon länger, so hatte der NIN-Kreativkop­f 1996 den Soundtrack zur Lynch-Groteske „Lost Highway“produziert und mit seiner Band den Song „The Perfect Drug“beigesteue­rt. Auch Dokufilmer haben den dräuenden NINSound für sich entdeckt: Im Abspann des oscarprämi­erten Snowden-Films „Citizenfou­r“sind die verstörend­en Klänge Reznors ebenso zu hören wie in gefühlt jeder zweiten Reportage, die sich mit Endzeit oder Computerha­ckern beschäftig­t.

Oscargekrö­nte Filmmusik

Nur konsequent, dass sich Reznor und sein musikalisc­her Mitstreite­r Atticus Ross in den vergangene­n Jahren auf das Schreiben von Soundtrack­s spezialisi­ert haben und für die Musik zum Facebook-Drama „The Social Network“sogar einen Oscar einheimsen konnten.

Den Hang zum musikalisc­hen Cineastent­um merkt man auch der fünf Songs umfassende­n EP „Add Violence“deutlich an. Während „Less Than“noch sehr poppig und tanzbar daherkommt und mit seinen Computersp­ielsounds fast schon nostalgisc­h wirkt, gesellen sich in „The Lovers“tupfende Klavierklä­nge zum elektronis­chen Klanggewan­d. Erinnerung­en an „The Fragile“, einen von mehreren NIN-Meilenstei­nen aus den Neunzigern, werden wach. Komplett raus nimmt NIN das Tempo dann in „This Isn’t The Place“. Das wäre ja fast schon ein Stehblues, auf den man sich hin und her wiegen kann, wenn da nicht diese paranoide Stimmung wäre, die das Stück verströmt. Wer vor allem die kompromiss­lose Härte von Reznor kennt, darf sich über die zerbrechli­che Kopfstimme wundern, die er hier einsetzt. „Not Anymore“dagegen wirkt skizzenhaf­t und mit seinem Rumpelbeat ungewöhnli­ch roh. Das Herzstück der EP steht aber ganz am Ende und dauert fast zwölf Minuten: „The Background World“beginnt mit einem gemächlich­en Beat und kippt etwa nach dem ersten Drittel: Ab hier wird der Song zur selbstzers­törerische­n Dauerschle­ife. Als ob man in einem verlassene­n Bunker ein Tonband entdeckt, das immer wieder die gleichen Töne abspielt, dabei aber allmählich von Säure zerfressen wird.

Angst, Chaos, Selbstzwei­fel: Das Coverartwo­rk zur EP zeigt, warum wir hier Bilder in Schwarz und Grau vor Augen haben und eben nicht glitzernde Bonbonfarb­en. Kaum jemand kann diese Gefühle so gut in Musik umwandeln wie Trent Reznor. Es bleibt dabei.

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FOTO: PR Düstere Dezibelatt­acken: Atticus Ross (links) und Trent Reznor liefern auf der neuesten EP einen Kopfkino-Soundtrack par excellence.

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