Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Die Daten für alle besser schützen“
Züricher Forscher belegt: Schattenprofile bei Facebook sind möglich
Wer nicht bei Facebook oder anderen sozialen Netzwerken angemeldet ist, entgeht der Datenkrake? Falsch, sagt Dr. David Garcia von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich: Es reicht, wenn man jemanden kennt, der über eine App den Zugriff auf seine Kontaktdaten erlaubt hat. Diese sogenannten Schattenprofile lassen Rückschlüsse auf sehr private Eigenschaften zu – und könnten für viel Geld verkauft werden. Andrea Pauly hat mit dem Wissenschaftler gesprochen.
Gibt es bereits Schattenprofile oder ist das bisher nur eine theoretische Möglichkeit?
Ich habe noch nie eins gesehen. Ich habe nie gesagt, dass sie definitiv existieren. Ich werfe auch keiner sozialen Plattform vor, dass sie solche Schattenprofile erstellt. Ich sage, dass sie möglich sind. Aber es gibt durchaus Gruppen, die davon absolut überzeugt sind, dass es sie schon gibt. Nach einem Bug berichteten Menschen, dass Facebook ihre Mobilnummer kennt, obwohl sie sie nie mitgeteilt hatten. Ich finde das beunruhigend. Ich wollte wissen: Ist es möglich oder ist das eine irrationale Angst? Und ich habe herausgefunden, dass es möglich ist.
Die Daten sind über die Kontaktliste auf dem Handy an Facebook übertragen worden?
Genau. Wann immer wir eine App herunterladen, fragt der Anbieter nach Zugriffsrechten – und darunter sind sehr oft auch die Kontakte. Viele Leute denken darüber gar nicht nach. Früher war es üblich, dass man alle Freigaben im Paket bestätigen musste, sonst hätte man die App gar nicht nutzen können. Das war vor allem für den Facebook-Messenger so. Jetzt ist das schon ein bisschen besser und man kann auswählen, auf welche Daten man Zugriff gewährt. Viele Leute werden das getan haben, ohne es zu wissen. Facebook wird Daten, die man einmal freiwillig herausgegeben hat, speichern.
Wie haben Sie die Studie umgesetzt?
Ich habe dazu die Plattform Friendster genutzt, die mittlerweile stillgelegt ist. Es war die einzige Plattform, mit der ich meine Hypothese testen konnte. Bei Facebook hätte ich sehr wenige Daten gehabt, die ich wissenschaftlich verwenden könnte. Ich hätte mit Facebook zusammenarbeiten müssen – und es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Unternehmen Interesse an einer solchen Studie hat. Aber es gibt keinen Grund, wa- rum das, was auf Friendster funktioniert, nicht auch auf Facebook zutreffen sollte. Es war praktisch das gleiche: Man hatte ein Profil mit Fotos und Posts, und es gab gemeinsame Freunde. Es ging darum herauszufinden, ob sich über Nutzer Aussagen über deren Kontakte machen lassen, die die Plattform nicht nutzen. Ich habe Friendster als eine Art Körper benutzt, um herauszufinden, was passiert, wenn man hier einen Knopf drückt und da etwas an einem Rädchen dreht. Und das Ergebnis war: Rückschlüsse sind möglich.
Wozu könnten die Schattenprofile genutzt werden?
Für datenbezogene Geschäftsmodelle, die sehr lukrativ sein können. Die Firmen, die sie erstellen, können Daten für gezieltes Marketing, aber auch für politische Kampagnen verkaufen. Der Technologie-Kritiker Tijmen Schep sagt: „Daten sind das neue Öl.“Die Firmen verkaufen sie an jeden, der sie benutzt. Ihm ist egal, woher sie kommen.
Die Studie sagt aus, dass viele Kontakte den gleichen Beziehungsstatus, das gleiche Geschlecht und die gleiche sexuelle Orientierung ha-
ben
– was ausgesprochen sensible und persönliche Daten sind. Bei welchen Nutzern ist dieses Muster am stärksten ausgeprägt?
Ich habe nicht untersucht, ob bestimmte Nutzer besonders wertvoll als Datenlieferanten sind. Aber Rückschlüsse auf die Kontakte sind bei den Minderheiten wahrscheinlicher. So stehen zum Beispiel Homosexuelle öfter mit dem anderen Homosexuellen in Kontakt. Die meisten Heterosexuellen kennen vielleicht ein paar schwule oder lesbische Freunde, aber prozentual viel weniger als Homosexuelle. Menschen haben eine Tendenz, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun. Ich habe auch das Gefühl, dass ich viele Freunde habe, die ganz anders sind als ich. Viele Bekannte heiraten gerade, und ich bin nicht verheiratet. Aber diese persönlichen Empfindungen sind ja der Grund, warum wir das wissenschaftlich untersuchen. Denn persönliche Annahmen können ziemlich falsch sein.
Welche Rolle spielt es, wie viele Kontakte jemand hat oder wie aktiv er die Plattform nutzt?
Das sind Fragen, die wir noch nicht beantworten können. Im Moment versuche ich herauszufinden, wel- che Faktoren die Aussagekraft über die Profile der Nichtnutzer am meisten beeinflussen. Auch der Beruf spielt eine Rolle: Wer solche Plattformen beruflich nutzt, hat andere Nutzungsgewohnheiten und Kontakte als jemand, der rein privat dort unterwegs ist.
Welche Rolle spielt der Datenschutz?
Um den geht es mir: Bisher sind die Regeln so, dass der User und die Website einen Vertrag miteinander schließen. Aber weil klar ist, dass dabei Dritte – wenn auch unabsichtlich – hineingezogen werden, die nichts davon wissen und die sich nicht dagegen wehren können, braucht es andere Gesetze. Das ist nicht nur die Sache einer Person. Wir müssen kollektiver denken. Das muss nicht unbedingt eine staatliche Vorschrift sein. Es würde schon helfen, wenn sich größere Gruppen zusammenfinden und Druck ausüben würden.
Kann ich mich davor schützen, dass meine Daten in die Hände solcher Firmen geraten?
Wer Teil der digitalen Gesellschaft ist und nicht gerade im Regenwald lebt, wird es sehr, sehr schwer haben, sich zu schützen. Es sei denn, man hat weder Telefon noch E-Mail. Darum geht es bei der Forderung: die Daten für alle besser zu schützen.