Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wenn ein Buch mehr ist als sein Inhalt
Der wahre Bücherfreund und -sammler sucht den intellektuellen Genuss ebenso wie das haptische Erlebnis
Als in den 1930er-Jahren in Deutschland das preiswerte Taschenbuch den Markt zu erobern begann, war das vielfach als kultureller Fortschritt empfunden worden. Und tatsächlich wurden dadurch Käuferkreise erschlossen, die sich die deutlich teureren gebunden Bücher nicht leisten konnten oder wollten. Auch in der Verbreitung von Hörbuch und EBook mögen viele einen Beitrag zur Bewahrung eines kulturellen Wertes erkennen. Der wahre Bücherfreund und -sammler, der Bibliophile, kann diese Auffassung freilich nicht teilen. Ihn schmerzt es vielmehr, dass durch solche modernen Entwicklungen ein Stück Buchkultur verloren geht.
Das Buch als Gesamtkunstwerk
Für ihn ist das Buch mehr als dessen Inhalt, es ist eine Einheit aus geistiger Leistung von Autor und Lektor, künstlerischer Leistung des Buchgestalters und handwerklichem Können von Setzer, Drucker und Buchbinder sowie – bei älteren Werken – auch von Papiermacher. Das liebevoll gestaltete Buch, auf feinem Papier gedruckt und mit einem noblen Einband versehen, ist für den Bibliophilen ein Gesamtkunstwerk, das ihm zugleich einen intellektuellen Genuss und ein haptisches Erlebnis bietet, wobei nicht immer klar ist, was dabei überwiegt.
Die Erwartungen, die Bücherfreunde an den Zustand eines sammelwürdigen Buches stellen, sind allerdings unterschiedlich. Anders als bei Briefmarkensammlern, die sich einig sind, dass der Zackenrand einer Marke nicht die kleinste Fehlstelle aufweisen darf, gibt es unter Büchersammlern zwei Fraktionen. Die eine legt Wert darauf, dass auch ein altes Buch einen möglichst verlagsfrischen Eindruck macht, und ist allenfalls bei sehr raren Erstausgaben zu kleineren Zugeständnissen an den Erhaltungszustand bereit. Für die andere wird ein Buch mit Besitzervermerken, mit Exlibris oder auch handschriftlichen Anmerkungen des Vorbesitzers erst richtig interessant. Diese Sammler freuen sich, wenn Bücher nicht nur eine Geschichte haben, sondern diese auch erzählen.
Weitgehende Einigkeit herrscht aber unter Büchersammlern, wenn es um die Signatur des Autors geht. Wie sehr ein solches Autograf den Wert eines Buches steigert, hängt von der Popularität des Autors und nicht zuletzt auch davon ab, wie großzügig dieser mit Gefälligkeitssignaturen umgegangen ist.
Von Thomas Mann weiß man, dass er in dieser Beziehung ausgesprochen zurückhaltend war, von Günter Grass ist bekannt, dass er nach jeder Lesung oft eine ganze Stunde und länger seinen Namen in seine Bücher schrieb. Ähnliches gilt für Martin Walser. Enthält ein Buch nicht nur den Namenszug des Autors, sondern zusätzlich auch einige Widmungszeilen, erhöht dies den materiellen und ideellen Wert weiter. Erst recht gilt das, wenn nicht nur der Autor, sondern auch derjenige, dem das Buch gewidmet ist, eine bekannte Persönlichkeit ist, vielleicht sogar ein Schriftstellerkollege des Autors.
Gestalteter Umschlag
Ob bei einem Buch der Schutzumschlag erhalten ist, und wenn ja, in welchem Zustand, ist für Bibliophile von nicht unerheblicher Bedeutung und macht sich auch im Preis auf dem Antiquariatsmarkt deutlich bemerkbar. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Schutzumschlag vom auch zeichnerisch begabten Autor selbst oder von einem anderen prominenten Künstler gestaltet worden ist. Bei der Erstausgabe der „Blechtrommel“von Günter Grass beispielsweise kann der gut erhaltene Schutzumschlag den Antiquariatspreis gut und gerne um 20 bis 30 Prozent in die Höhe treiben.
Ein eigenes Sammelgebiet sind Bücher mit beigefügter Originalgrafik, die oft nur in kleiner, limitierter Auflage erschienen sind. Darauf haben sich vor allem bibliophile Kleinverlage spezialisiert, deren Inhaber meist mehr aus Liebhaberei als aus wirtschaftlichem Interesse ihr Geschäft umtreiben, manchmal bis hart an die Grenze der Selbstausbeutung.
Büchersammler sind häufig Stammkunden in Antiquariaten. Sie schätzen die besondere Atmosphäre, die dort herrscht, und das Gespräch mit dem Antiquar, der ja so gut wie immer seinen Kunden ein Gleichgesinnter ist. Weil es aber immer weniger Antiquariate gibt, vielleicht aber auch aus Bequemlichkeit, ist der Kauf im Internet längst zu einer gern genutzten Alternative geworden.
Auf dem Internet-Marktplatz „Zentrales Verzeichnis antiquarischer Bücher“(ZVAB) bieten etwa 1500 professionelle Antiquariate mehrere Millionen Bücher an. Dort nicht fündig zu werden, ist nahezu ausgeschlossen. Ein Vorteil ist auch, dass sich hier problemlos Preise vergleichen lassen. Aber ein bisschen inkonsequent sind die bibliophilen ZVAB-Nutzer, die E-Books als kulturellen Rückschritt ablehnen, schon, und sie verzichten beim schnellen Kauf im Internet auch auf das besonders befriedigende Erfolgserlebnis, ein vielleicht jahrelang gesuchtes Buch endlich in einem kleinen, etwas verstaubten Antiquariat gefunden zu haben.