Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ein Tag zum Staunen, Lachen und Jubeln
Premiere von „Kultur auf der Straße“lockt tausende Besucher nach Neu-Ulm zu Akrobaten, Clowns und Musikern
NEU-ULM - „Who’ll stop the rain“– wer wird den Regen stoppen – singt Eberhard Hohl, der mit seiner Gitarre auf dem Johannesplatz steht. Kein Regen, im Gegenteil: Die Sonne scheint, einige Paare tanzen und applaudieren zu den alten Songs von The Who, Creedence Clearwater Revival und Simon and Garfunkel, die der in Pfaffenhofen lebende Musiker zum Besten gibt. Und nicht nur er findet ein dankbares und fröhliches Publikum: Die Idee Mareike Kuchs, im Rathaus für Kultur zuständig, die Innenstadt Neu-Ulms einen ganzen Tag lang mit Straßenmusik, mit Akrobaten, mit Comedy, mit Clowns und Jongleuren zu beleben, ging voll auf: Tausende Besucher kamen. NeuUlm, oft als die unscheinbare kleine Schwester Ulms beschimpft, entdeckt immer mehr seine liebenswerten Seiten und entwickelt mit kostenfreien Aktionen wie „Neu-Ulm spielt“und dem neuen Straßenkulturfestival Attraktivität, die die Menschen auf die Straßen bringt.
„Kultur auf der Straße“gelang als Straßenkulturfestival für wirklich alle – Familien mit jüngeren Kindern hatten ihren Spaß ebenso wie Paare und Senioren, und zum Staunen gab es reichlich. 45 Künstler und Gruppen unterschiedlichster Schwerpunkte wechselten am Samstag ab elf Uhr immer wieder ihre Standorte am Rathausplatz, am Johannesplatz, am Petrusplatz, in der Ludwigstraße, am Heiner-Metzger-Platz und vor der VR-Bank, sodass es für die flanierenden Neugierigen nie langweilig wurde – zumal Streetfood auch die knurrenden Mägen derjenigen beruhigte, die mehrere Stunden lang kamen, um zuzusehen und zuzuhören.
Manche Akteure waren dauernd von dichten Menschentrauben umstanden: Zwar hing das Publikumsinteresse auch ein wenig vom günstigen Standort ab, vor allem aber von der spontanen Begeisterung fürs Gesehene und Gehörte. Zu denen, die am allermeisten Publikum um sich versammeln und halten konnten, gehörte das Artistik-Duo Elabö – Mitja Averhoff und seine Partnerin Anne Holdik, die mit ihrer Bewegungstheater-Show „Schachmatt“2015 beim Bühnenkunstwettbewerb im spanischen Granada den ersten Preis gewonnen hatten. Averhoff sitzt als einsamer Mann am Tisch, ein Schachbrett vor sich. Doch die Spielfiguren erwachen zum Leben, vollführen ihre eigenen Züge, und so sehr sich Mitja Averhoff bemüht, die Oberhand zu behalten – Holdik, klein und ungemein beweglich, sitzt der Schalk im Nacken, und wie ein Kobold entflitzt sie jeder Kontrolle und jeder führenden Hand. Dabei zeigen beide Akteure Körperbeherrschung, die ihr Publikum zum Staunen und zum spontanen Applaus bringt.
Für viel Begeisterung sorgte in der Ludwigstraße und am Rathausplatz auch das argentische Straßentheater Cia Intrépidos, das von der Jury zum Sieger des ersten Neu-Ulmer „Kultur auf der Straße“-Festivals gekürt wurde: Das Konzept von Martin Cruz de Ona und Ayelén Tejedor ist – ähnlich wie bei Elabö – ein Mix aus Akrobatik und Tanz, um Geschichten zu erzählen, wobei bei Cia Intrépidos noch die Musik hinzukommt. Einfach erstaunlich, wie sich Tejedor verbiegt und dabei immer noch ein Lächeln im Gesicht hat.
Mit seiner Hutjonglage nimmt sich der Kanadier Steve Stergiadis alias „Devil in Disguise“mit hintergründigem Humor selbst auf die Schippe: Er gibt das Teufelchen, das gerne ein Engelchen wäre, und bezieht das Publikum in die MitmachSpiele ein. Und Stergiadis hatte dadurch immerhin genügende Hüte für die Hutgage – denn die Künstler lebten von den Spenden des Publikums. Zu bewundern waren Lokal-Matadore wie „Die Choristen“, ein junges Ulmer Ensemble, entstanden aus ehemaligen St. Georgs-Chorknaben, und Weitgereiste wie der brasilianische Feuer-Jongleur Rafael Sorryso, der auf Nervenkitzel setzte.
Den leiseren Gänsehaut-Effekt gab es unter den Bäumen am Johannesplatz: Zu Moody Blues „Nights in White Satin“legte Eberhard Hohl derart Samt in seine Stimme, dass man ihm glaubte, dass er mit jenem Song in den späten 60ern in Osnabrück und Dänemark Mädels becircte. Seine erste Gitarre bekam er 1961, erzählt der 71-Jährige.
Applaus für den OB bei der Frage nach Neuauflage
Am frühen Abend – das Festival endete schon gegen 19 Uhr – sah man viele zufriedene Gesichter, bei den Besuchern, aber auch bei den Künstlern. Vor allem bei denen, die einen Preis abräumten. Hinter den Argentiniern Cie Intrépidos (1000 Euro Preisgeld) landeten der Spanier Maurangas (500 Euro), der die Zuschauer unter anderem mit Feuertricks seines Spielzeughundes fesselte, und die Ulmer Breakdancer von Underground Movement (250 Euro), die in der Ludwigstraße schnelle Drehungen und waghalsige Sprünge vorführten. Die bayerische Volksmusik-Truppe „KäseKrainer“, gewann – für manche vielleicht etwas überraschend – den Publikumspreis (333 Euro).
Alle Preisträger bekamen bei der Abschlussveranstaltung am Rathaus viel Beifall. Noch größer war aber der Applaus, als Oberbürgermeister Gerold Noerenberg fragte, ob es im 2018 eine Neuauflage des Festivals geben soll.