Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Leben im Rentnerkna­st

Die bundesweit einzige JVA für Ältere befindet sich in Singen – Hier kommt nur hin, wer mit mehr als 62 Jahren noch ins Gefängnis muss

- Von Kathrin Drinkuth

SINGEN (dpa) - Neben Walter – der eigentlich anders heißt – steht eine Tasse Kaffee auf dem Holztisch, vor ihm liegt eine Zeitschrif­t mit Kreuzwortr­ätseln. Er habe es sich gemütlich gemacht, sagt der 82-Jährige. Soweit man es sich eben gemütlich machen kann in einer Gefängnisz­elle. Denn Walter ist Insasse im Gefängnis in Singen, einer Außenstell­e der Justizvoll­zugsanstal­t Konstanz. Dorthin kommen nur Männer, die beim Antritt ihrer Strafe älter als 62 Jahre alt sind und in Baden-Württember­g eine Haft von über 15 Monaten absitzen müssen.

Ein Jahr habe er schon hinter sich gebracht, fünf lägen noch vor ihm, sagt der 82-Jährige, der wegen Raubüberfä­llen verurteilt wurde. Vormittags arbeitet er mit den anderen Insassen im Gefängnisb­etrieb, sie führen einfache Montage- und Verpackung­sarbeiten für Firmen aus. Den Nachmittag kann der Senior frei gestalten – es gibt verschiede­ne Freizeit- und Sportangeb­ote extra für Ältere. Dass die JVA sich auf Senioren spezialisi­ert habe, helfe ihm, sagt er. „Auch wenn ein Gefängnis ein Gefängnis bleibt. Man ist eingesperr­t.“

Aber warum gibt es überhaupt eine JVA für alte Kriminelle? „Im normalen Vollzug würden sie eher an den Rand gedrängt“, sagt der Dienstleit­er der JVA-Außenstell­e, Thomas Maus. In Singen sind daher manche Regeln im Vergleich zu anderen JVAs etwas lockerer: Die Insassen können sich tagsüber frei in dem Gefängnis bewegen. Außerdem dürfen sie pro Monat sechs statt einer Stunde Besuch empfangen. Denn anders als bei jungen Strafgefan­genen gehe es nicht darum, die Insassen in Beruf zu bringen, sagt Maus. „Es ist wichtiger, die sozialen Kontakte zu erhalten, damit nach der Entlassung ein Leben ohne Straftaten gelingt.“

Maus betont aber auch: „Es ist nicht unsere Aufgabe, den Vollzug privilegie­rter oder bequemer zu gestalten.“In Singen gehe es vor allem darum, die Senioren mobil zu halten. So würden die Insassen ständig dazu motiviert, an den Angeboten teilzunehm­en – statt in der Zelle zu sitzen. Neben der Arbeit gibt es beispielsw­eise Bastel- oder Gesangskur­se.

Ältere Gefangene seien eine Zielgruppe mit Besonderhe­iten, was die Unterbring­ung zum Beispiel bei sanitären Anlagen angehe, sagt auch Justizmini­ster Guido Wolf (CDU). „Es macht schon Sinn, ältere Gefangene zusammen in einer solchen Vollzugsan­stalt unterzubri­ngen. Das heißt aber nicht, dass wir in den anderen Anstalten keine älteren Häftlinge mehr hätten.“

Pflege der Gefangenen

Die JVA-Außenstell­e Singen ist nach Angaben des Ministeriu­ms derzeit die einzige mit spezieller Seniorenab­teilung – in Baden-Württember­g und in Deutschlan­d. Bei der geplanten Ausschreib­ung des Architektu­rwettbewer­bs zur Neuerricht­ung der JVA Rottweil sei jedoch auch ein Bereich mit 75 Haftplätze­n vorgesehen, der bei Bedarf durch ältere Gefangene genutzt werden könne, heißt es beim Ministeriu­m.

Derzeit sind in Singen 43 Insassen untergebra­cht. Phasenweis­e gebe es aufgrund der begrenzten Kapazitäte­n auch eine Warteliste, so das Ministeriu­m. Gefangene, die pflegebedü­rftig werden und in Singen nicht mehr versorgt werden können, kommen demnach in das JVA-Krankenhau­s Hohenasper­g.

„Ich habe das subjektive Gefühl, dass schwere Delikte bei älteren Menschen tendenziel­l tatsächlic­h zunehmen“, sagt der Tübinger Gerichtsgu­tachter Peter Winckler. Wenn er in einem Gerichtsve­rfahren ein Gutachten zu einem Angeklagte­n erstelle, gebe es durchaus Unterschie­de, ob es sich um einen jungen oder einen alten Beschuldig­ten handle. „Ich frage auch einen 30-Jährigen, ob bei ihm Krankheite­n vorliegen. Bei jungen Menschen bekomme ich aber eher negative Antworten, während bei den 70-Jährigen fast alle irgendwelc­he Pillen verordnet bekommen haben.“

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FOTO: DPA Deutschlan­ds einziges Seniorenge­fängnis ist in Singen.

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