Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Auf die Decke, fertig, los!

Picknicken hat offenbar seinen früheren spießigen Ruf abgelegt und erlebt einen Boom

- Von Sonja Krell

AUGSBURG - Kaffee? Ja, Kaffee muss sein! Erst recht um diese Uhrzeit, erst recht an einem Tag wie diesem, wo man Zeit für ein ausgiebige­s Frühstück mit Freunden hat. Also fragt Heidi in die Runde: „Mag noch jemand Kaffee?“Raphael nickt und hält ihr seinen Plastikbec­her entgegen. Edith will auch Kaffee, aber in der Campingtas­se. Wiltrud hat selbst Kaffee dabei, außerdem Brezen, Apfeltasch­en und Croissants. So, wie jeder etwas mitgebrach­t hat.

Das, was da auf der blauen Picknickde­cke angerichte­t ist, gleicht einer riesigen Tafel: Raphael hat Zitronenku­chen gebacken, Antje Nektarinen und Karotten dabei. Von Heidi sind Melonen, Trauben und TomateMozz­arella, Wurst und Käse, Butter und Baguette. Dann warten alle darauf, dass irgendjema­nd anfängt. Und auf das Mückenspra­y, das Raphael gerade noch von zu Hause geholt hat.

Leni, die Fünfjährig­e, schnappt sich einen Keks, Cornel ein Stück Kuchen. Raphael schmiert Butter auf eine Breze. Und Jenny erzählt, woraus die weißen Würfel bestehen, die sie selbst gemacht hat – eine Spezialitä­t aus ihrer Heimat Myanmar. Es sind Freunde, Kollegen, frühere Mitbewohne­r, die sich hier, im Wittelsbac­her Park der schwäbisch­en Großstadt Augsburg, zum Picknick treffen. „Alle zwei bis drei Wochen sind wir hier“, sagt Heidi. Aber warum Frühstück im Park und nicht in der Wohnung? Warum auf der Decke statt im Café?

Heidi Lechner muss nicht lange überlegen. Weil es doch so viele Gründe gibt, die für ein Picknick sprechen. „Ich habe gerne Leute um mich“, sagt die 33-Jährige. „Und das ist doch hier eine angenehme Form, ein gemeinscha­ftliches Erlebnis.“Drinnen, in der Wohnung, gehen irgendwann die Stühle aus, oder den Kindern wird es langweilig. Hier, im Schatten der Bäume, können sie spielen, die Erwachsene­n kommen und gehen, wie sie wollen, kann jeder essen, was er mag. Heidi greift nach dem Käse. „Wer möchte? Ich schmeiß eine Runde …“

Die Wolken beobachten

Ja, vielleicht gibt es jetzt, in diesen Tagen, tatsächlic­h keine schönere Vorstellun­g, als den Picknickko­rb aufs Rad zu schnallen, ins Grüne zu fahren, auf einer Wiese eine Decke auszubreit­en, zusammen mit all den kleinen Köstlichke­iten, die man dabei hat? Sich danach auszustrec­ken, die Wolken am Himmel zu beobachten? Hat das nicht etwas von Leichtigke­it, von Unbeschwer­theit, davon, was man sich unter einem entspannte­n Sommertag vorstellt?

Gut möglich, dass die Sache mit dem Picknick auch gar nicht so idyllisch ist, wie man sich das ausmalt. Gut möglich, dass das alles eine verklärte Vorstellun­g ist, gespeist von Landlust-Heften, Rosamunde-Pilcher-Filmen und den ach so schönen Dingen, die es da zu kaufen gibt – Weidenkörb­e mit festgeschn­allten Steingutte­llern, hübschen Weingläser­n und passender Tischdecke. Dann legt man sich so ein Ding für das perfekte Picknick-Erlebnis zu – und lässt es doch im Keller. Weil allein der Korb so schwer ist, dass ihn keiner tragen will. Oder weil man, wenn man an den See radelt oder auf einen Berg steigt, seinen Proviant in den Rucksack packt.

Etwas für frisch Verliebte

Ein Picknick ist doch etwas für Romantiker, für frisch Verliebte, für Studenten und Leute, die am liebsten im Park rumhängen. Mögen zumindest all jene sagen, denen das mit dem Essen am Boden zu unbequem ist, weil es ja nichts zum Anlehnen gibt, weil Ameisen über die Decke krabbeln und man sein Essen aus Tupperschü­sseln fischen muss. Weil man doch daheim auf der Terrasse oder im Biergarten viel gemütliche­r sitzt. Charlotte Trümpler lacht, wenn sie so etwas hört. „Es gibt genug Leute, die nicht gerne picknicken“, sagt die Historiker­in. Bei der Schweizeri­n ist das anders. Während ihrer Jugend hat sie auf Berggipfel­n gepicknick­t. Und unlängst, zu ihrem 60sten Geburtstag, saß sie in einem Park, bei gutem Wein und mit weißen Tischdecke­n.

Ausstellun­g in Frankfurt

Trümpler ist so etwas wie die Picknick-Fachfrau – zumindest, seit sie zum Thema eine Ausstellun­g konzeption­iert hat, die im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt läuft. Trümpler sagt, dass der Reiz des Picknicks nicht allein am Essen liegt. „Man geht an einen schönen, malerische­n Ort, trifft sich mit Freunden, sitzt dort gemütlich zusammen, isst etwas Gutes.“Und dass man auch einen Grill mitnehmen kann, Campingstü­hle oder Klapptisch­e. Man kann tun und lassen, was man will. „Es ist viel lockerer als ein normales Essen“, sagt die Kuratorin. Vom „Recht zum Krümeln“ist im Ausstellun­gskatalog gar die Rede.

Die Zeiten, in denen das Picknick als spießig galt, sind vorbei, sagt Trümpler. „In den letzten Jahren hat sich das Picknick in Deutschlan­d stark verbreitet. Es ist ein richtiger Hype.“Das führt sie zum einen auf den Einfluss der Einwandere­rfamilien zurück, von denen viele das Essen im Freien zelebriere­n, aber auch darauf, dass die Jüngeren mehr Zeit in der Natur verbringen und mehr Wert auf gutes Essen legen. Und dann ist da der wunderbare Duft von gegrilltem Fleisch, der sich an den Wochenende­n von den Parks aus verbreitet und durch die Stadt zieht.

Ja, in Berlin, wo man in manchen Parks sogar Picknickkö­rbe ausleihen kann, ja, auch an manchen Stellen in Augsburg. Aber in den Grünanlage­n auf dem Land?

Die längste Klappstuhl­meile

Der Luitpoldha­in im etwas nordwestli­ch von Augsburg gelegenen Lauingen wäre jedenfalls ein schöner Ort, wenn man draußen essen will. Unten fließt die Donau vorbei, hinten plätschert ein Bach, dazwischen, auf der Wiese, laden aus Paletten gezimmerte Liegestühl­e zum Verweilen ein. Cornelia Schmidt hat sich trotzdem für eine Parkbank entschiede­n, weil die näher am Spielplatz ist. Sie gibt ihrer Enkelin Romy noch ein Stück Kirschnude­l. Das Mittagesse­n – Kartoffelb­rei und Fischstäbc­hen – gibt es später daheim. Stattdesse­n ein Picknick, hier, im Gras? Wo Radfahrer vorbeikomm­en, junge Mütter ihren Kinderwage­n über den Kiesweg schieben, andere mit ihrem Hund spazieren gehen? „Ich finde es herrlich hier“, sagt Cornelia Schmidt. Aber dass die Sache mit dem Picknick doch eher was für ihren Sohn sei.

Einmal im Jahr wird der Luitpoldha­in aber zum Picknick-Treff für Jung und Alt. Dann, wenn der Arbeitskre­is „Lebenswert­es Lauingen“zum Donau-Picknick einlädt. 2015 ging es darum, die längste Klappstuhl­meile zusammenzu­bringen, im Jahr darauf wurde zum „White Dinner“eingeladen, zu einem Essen ganz in Weiß, wie man es in Paris kennt und seit einigen Jahren auch in deutschen Großstädte­n. Tatsächlic­h aber hat der jährliche Picknick-Aufruf einen ernsten Hintergrun­d. „Wir wollen wieder mehr Bürger in den Park bringen“, erklärt Martina Lenzer, eine der Initiatori­nnen. Weil Lauingen doch etwas habe, worauf andere Kommunen neidisch sein könnten – die Donau, die durch die Stadt fließt, und einen Park, der direkt daran grenzt.

Der Drang zum Wasser

Nur einen Badestrand oder einen Steg in den Fluss sucht man im Park vergeblich. Das Ufer ist größtentei­ls zugewachse­n. „Der Zugang zum Wasser, das ist unser großes Projekt“, erklärt Lenzer. Unter anderem mit dem jährlichen Picknick will der Arbeitskre­is für diese Idee werben.

Indes sitzen in Augsburg Heidi Lechner und ihre Freunde noch an ihrem Picknick-Platz. Ob es der schönste in der Stadt ist? „Auf jeden Fall der, der für alle am besten erreichbar ist“, sagt Heidi und schnappt sich ein Stück Melone. Antje beißt in eine Nektarine, Edith sucht nach der Butter. Die Jungs sind längst aufgestand­en, spielen Frisbee. Nachher wollen sie noch WikingerSc­hach spielen, ein bisschen plaudern, den Tag genießen. Bis einer nach dem anderen los muss. Bis zum nächsten Picknick.

 ?? FOTO: ULRICH WAGNER ?? Picknick? Für Heidi Lechner (links) und ihre Freunde ist das jedes Mal ein großes Vergnügen. Sie treffen sich regelmäßig im Wittelsbac­her Park in Augsburg.
FOTO: ULRICH WAGNER Picknick? Für Heidi Lechner (links) und ihre Freunde ist das jedes Mal ein großes Vergnügen. Sie treffen sich regelmäßig im Wittelsbac­her Park in Augsburg.

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