Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Hagelabweh­r aus dem Flugzeug

Pilot Georg Vogl „impft“in 2000 Metern Höhe Gewitterwo­lken mit Silberjodi­d

- Von Paul Winterer

VOGTAREUTH (dpa) - Es ist ein heißer Sommertag, viele Menschen sind beim Baden oder sitzen in der Eisdiele. Georg Vogl aber sitzt auf der Terrasse seines Hauses nahe Rosenheim und beobachtet das Wetter. Daten von meteorolog­ischen Diensten liefern ihm präzise Vorhersage­n aufs Smartphone. Vor allem interessie­rt den 59-Jährigen, wo am bayerische­n Alpenrand sich ein Gewitter zusammenbr­aut. Im Landkreis Weilheim-Schongau sieht es am Nachmittag ganz danach aus.

Um 16.30 Uhr steigt Vogl ins Auto und fährt zum nahegelege­nen Flugplatz Vogtareuth. Im Hangar stehen zwei einsatzber­eite Flugzeuge. Nach wenigen Minuten heben er und ein Kollege mit beiden zweimotori­gen Maschinen ab – Hagelabweh­r ist angesagt. Mit Silberjodi­d, eine Verbindung aus Silber und Jod, bekämpfen sie die Eiskörner, die immensen Schaden anrichten können.

„Wir erreichen jede Ecke unseres Einsatzgeb­ietes in sieben bis acht Minuten“, erläutert Vogl. Die Hagelflieg­er sind für Stadt und Landkreis Rosenheim, die Landkreise Miesbach und Traunstein sowie an die 20 österreich­ischen grenznahen Gemeinden rund um Kufstein im Einsatz – eine Fläche von zusammen 4800 Quadratkil­ometern. Vogl ist Chef der Naturschut­zbehörde am Landratsam­t Rosenheim. Als gelernter Berufspilo­t leitet er das siebenköpf­ige Team der Hagelflieg­er. Hagelabweh­r aus der Luft gibt es auch in Österreich und der Schweiz.

Viele kleine Hagelkörne­r

An den Tragfläche­n der beiden je 420 PS starken Propellerm­aschinen hängen zwei Generatore­n mit je 20 Litern in Aceton gelöstem Silberjodi­d, die in einer Gewitterze­lle gezündet werden. Der Stoff besitzt eine dem Eis sehr ähnliche kristallin­e Struktur. „Jedes Gramm erzeugt Milliarden von Eiskeimen“, sagt Vogl. Das Silberjodi­d „impft“die Gewitterwo­lke mit den Eiskeimen. Statt großer Eiskristal­le bilden sich viele kleine, anstelle dicker Hagelkörne­r kommen am Boden allenfalls Graupelsch­auer oder gar nur Regen an.

„Wenn ich sehe, wo in einem Gewitter eine impfwürdig­e Stelle ist, suche ich den Aufwind“, schildert der erfahrene Pilot. Das geschieht in etwa 2000 Metern Höhe. „Der Aufwind zieht mich regelrecht hinein, wo ich das Silberjodi­d loswerden will.“Die durchschni­ttliche Dauer eines Hagelabweh­rfluges liegt bei eineinvier­tel Stunden.

Im Gewitter werden die beiden Flugzeuge gehörig durchgerüt­telt. „Es ist turbulent, manchmal sehr turbulent“, sagt Vogl. „Aber unsere Maschinen sind sehr gutmütig.“Die Sicherheit der Piloten hat immer Vorrang vor der Verhinderu­ng eines Hagelschau­ers. „Man muss schauen, was man treibt, muss wissen, in welches Tal man noch hineinflie­gen kann.“Wenn es zu gefährlich wird, kehren Vogl und seine Kollegen um. Angst kennt der Vater dreier erwachsene­r Kinder nicht, nur Respekt vor der Gefahr. „Meine Familie lebt seit Jahrzehnte­n damit.“

Die beiden bis zu 300 Stundenkil­ometer schnellen Flugzeuge sind über 30 Jahre alt und gehören dem Landkreis Rosenheim. „Andere Landkreise haben Dienstwage­n, wir haben Dienstflug­zeuge“, schmunzelt Vogl. Regelmäßig fliegt er die Maschinen zur Wartung nach Stuttgart. Unterhalt, Treibstoff und Silberjodi­d kosten jährlich 230 000 Euro.

In der Zeit zwischen 20. April und Ende September sind immer zwei Piloten einsatzber­eit. Einer von ihnen ist Timo Nickl. Der einstige Lufthansa-Pilot fliegt seit 23 Jahren nebenberuf­lich für die Hagelabweh­r. „Die Sache ist es wert“, sagt der 52-Jährige. „Wenn es mir nicht gefallen würde, wäre ich nicht dabei.“

Der Klimawande­l bewirkt, dass die Gewitterhä­ufigkeit zunimmt. Immer präziser werdende Wettervorh­ersagen führen aber dazu, dass trotz steigender Einsatzzah­len die Flugzeuge weniger lang in der Luft sind. Um die Wetterdate­n weiter zu verfeinern und damit die Hagelabweh­r zu verbessern, arbeiten Vogl und sein Team mit der Hochschule Rosenheim zusammen. Eines haben sie dabei noch nicht ändern können: „Mich mögen die Gewitter nicht“, sagt Vogl. „Wenn ich im Dienstplan stehe, ist das Wetter meistens schön.“

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FOTO: DPA Der Hagelflieg­er Georg Vogl bereitet sein Arbeitsflu­gzeug auf den nächsten Einsatz vor.

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