Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Landkarte als Beweismitt­el gegen Menschenre­chtler

Der Deutsche Botschafte­r besucht heute den in der Türkei inhaftiert­en Peter Steudtner

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Wegen angebliche­r Unterstütz­ung einer Terrororga­nisation sitzt der Bundesbürg­er Peter Steudtner seit 5. Juli in Haft im Gefängnis Silivri westlich von Istanbul. Seit Steudtner zusammen mit fünf weiteren Menschenre­chtlern bei einem Seminar festgenomm­en wurde, überbietet sich die türkische Presse in Berichten über den angebliche­n deutschen „Geheimagen­ten“und die Verschwöru­ng gegen die Türkei, um die es bei dem Seminar gegangen sei.

Die Türe stand offen, als die Polizei kam – so steht es im Durchsuchu­ngsprotoko­ll: „Beim Eintreffen zu der Razzia im Hotel wurde festgestel­lt, dass die Türe zum Versammlun­gsraum im ersten Stock offen stand und die Personen darin in ovaler Runde zusammensa­ßen“, vermerkte die Polizeiwac­he auf der Prinzenins­el vor Istanbul.

Eine merkwürdig­e Verschwöru­ng sei das, bei der die Teilnehmer nicht einmal die Türe schlossen, spottet der türkische Journalist Yildiray Ogur, der mit einer investigat­iven Recherche den Hergang der Verhaftung­en rekonstrui­ert und sich sogar die Beweismitt­el im Faksimile beschafft hat. Ogur schreibt für die Zeitung „Karar“und wird zum Umfeld des früheren Ministerpr­äsidenten Ahmet Davutoglu gerechnet, der im vergangene­n Jahr bei Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan in Ungnade gefallen und entlassen worden war – nah genug an der Macht, um an interne Informatio­nen zu gelangen, und distanzier­t genug, um diese kritisch zu betrachten. Seine Recherche enthüllt die geradezu lächerlich­e „Beweislage“, auf die sich das Verfahren gegen Steudtner und die anderen Inhaftiert­en stützt. Heute will der deutsche Botschafte­r in der Türkei, Martin Erdmann, den Menchenrec­htler Steudtner in der Haft besuchen.

„Stressbewä­ltigung und Datensiche­rheit“lauteten die Themen des Seminars auf der Insel, das von einem Zusammensc­hluss der Menschenre­chtsverein­e in der Türkei als Fortbildun­gsangebot veranstalt­et wurde. Nach Recherchen von Ogur war es ein Dolmetsche­r, der bei dem Seminar die Polizei rief und dadurch die Affäre auslöste. „Die anwesenden Personen erörterten, wie man die Daten auf seinem Telefon verschlüss­eln könne, um sie vor der Polizei zu verbergen“, gab der Informant in seiner Anzeige zu Protokoll. Weil solche Gespräche zwischen Türken und Ausländern geführt wurden, habe er es für notwendig gehalten, sie anzuzeigen.

Per Zufallsaus­wahl hatten die Veranstalt­er des Seminars zwei Übersetzer aus dem Bereitscha­ftspool des Dolmetsche­r-Vereins angeheuert, ohne sich Gedanken darüber zu machen – ein folgenschw­erer Fehler. „Ein Blick auf die mit nationalis­tischen Parolen gespickte Facebook-Seite des Denunziant­en hätte ihnen gezeigt, dass dieser ideologisc­h auf einem anderen Stern lebte“, stellt Ogur fest. Dass Menschenre­chtsgruppe­n ihre Quellen und die Daten von Opfern vertraulic­h behandeln und vor dem Staat schützen wollen, war für die Seminartei­lnehmer selbstvers­tändlich – für den nationalis­tischen Dolmetsche­r aber Anlass zum Verdacht auf Landesverr­at.

Damit begann für die acht türkischen Menschenre­chtler und ihre beiden ausländisc­hen Referenten ein Alptraum, in dem die alltäglich­sten Dinge plötzlich zu bedrohlich­en Beweisen mutieren. Noch am Tag vor der Razzia postete eine Teilnehmer­in bei Instagram ein Foto vom Frühstück auf der Hotelterra­sse bei Blumen, Sonnensche­in und Melonensch­eiben – am nächsten Abend waren alle hinter Gittern.

Zu den wichtigste­n Beweismitt­eln der Staatsanwa­ltschaft zählt eine Landkarte, die bei der Razzia auf dem Konferenzt­isch lag und von der türkischen Presse als Plan zur Aufteilung der Türkei oder Einsatzpla­n zur Anstiftung von Massenprot­esten im ganzen Land präsentier­t wird. „Karar“entlarvte die Propaganda mit dem Abdruck der Originalka­rte, komplett mit dem Eingangsst­empel der Ermittler: ein gewöhnlich­es Blatt Kopierpapi­er mit einer einfachen Kugelschre­iber-Skizze der westlichen Umrisse der Türkei mit ein paar Strichfigu­ren und unglücklic­hen Smileys.

Eine simple Kritzelei

Was es mit dieser Zeichnung auf sich hatte, erklärte der zweite Dolmetsche­r als Zeuge im Ermittlung­sverfahren: Als Entspannun­gsübung habe Steudtner die Teilnehmer aufgeforde­rt, etwas zu zeichnen, was ihnen Stress bereite. Darauf zeichnete eine Menschenre­chtlerin die Umweltzers­törung in ihrem Land: den Umriss der Türkei mit dem geplanten Atomkraftw­erk im Norden und den Bettenburg­en an der Mittelmeer­küste im Süden. Die simple Kritzelei ist nun Beweisstüc­k der Anklage im Terrorverf­ahren.

Ähnlich verhält es sich mit den anderen „Beweisen“gegen Steudtner und die Menschenre­chtler. Ein Sprachenat­las, der als jpeg-Datei auf dem Laptop des Schweden gespeicher­t war und mit dem Seminar nichts zu tun hatte, wird als weiterer Plan zur Zerstückel­ung der Türkei präsentier­t. Und selbst die „Elektronis­che Erfassung von Deutschen im Ausland“kurz „Elefand“, mit der das Auswärtige Amt die Daten von Bundesbürg­ern in kritischen Ländern zur Krisenvors­orge erfasst und bei der sich auch Steudtner registrier­t hatte, mutiert in diesem Kontext zum Beweis geheimdien­stlicher Umtriebe: Dies sei in Wahrheit der Deckname eines deutschen Planes zur Destabilis­ierung der Türkei, meldeten mehrere türkische Medien.

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FOTO: DPA Fürbitteng­ebete für die in der Türkei Inhaftiert­en: Am 5. Juli war der Menschenre­chtler Peter Steudtner bei einem Seminar festgenomm­en worden.

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