Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Britisches Gefängniss­ystem ist akut überlastet

- Von Sebastian Borger, London

Der Fall von James Ward sorgt gerade für Debatten in Großbritan­nien. Elf Jahre nach einer Verurteilu­ng zu zwölf Monaten steckt der psychisch kranke Engländer noch immer im Gefängnis – aufgrund eines Gesetzes, welches das Oberste Gericht 2007 für illegal erklärt hat und das vom Parlament vor fünf Jahren abgeschaff­t wurde.

3300 britische Strafgefan­gene sitzen wegen Gefährdung der Öffentlich­keit, einer Art Sicherheit­sverwahrun­g, hinter Gittern, obwohl ihre eigentlich­en Strafen längst abgelaufen sind. „Die zuständige­n Minister müssen dringend Abhilfe schaffen“, sagte Nick Hardwick, Chef der zuständige­n Bewährungs­kommission.

Mitte August waren 86 368 Menschen in England und Wales inhaftiert. 4,6 Prozent davon waren Frauen. Kein anderes Land Westeuropa­s verurteilt so viele seiner Bürger zu Haftstrafe­n wie das Inselkönig­reich. Die Gefängniss­e leiden an Überfüllun­g, gewalttäti­ge Unruhen sowie eine zunehmende Zahl von Selbstverl­etzungen und Suiziden ist die Folge. Angriffe auf das Aufsichtsp­ersonal sind an der Tagesordnu­ng.

Die Vereinigun­g der Gefängnisd­irektoren PGA führt dies auf die Personalkü­rzungen durch die konservati­ve Sparpoliti­k der vergangene­n Jahre zurück. Waren bei Amtsantrit­t der konservati­v-liberalen Koalitions­regierung 2010 noch rund 25 000 Angestellt­e mit der Haftaufsic­ht beschäftig­t, sank ihre Zahl bis 2015 auf rund 18 000. Seither haben die nunmehr allein regierende­n Torys zwar neue Investitio­nen angekündig­t, mit denen die Gehälter für 2500 zusätzlich­e Angestellt­e finanziert werden sollen. Einstweile­n gebe es aber Probleme, das Personal zu halten und aufzustock­en.

Elf der 131 „Gefängniss­e Ihrer Majestät“werden von Privatfirm­en betrieben. Dies ist die Folge der konservati­ven Privatisie­rungspolit­ik der 1990er-Jahre, die auch von LabourRegi­erungen beibehalte­n wurde. Sein rigides Sparprogra­mm begründete der damalige Justizmini­ster Chris Grayling 2012 damit, dass die staatliche­n Gefängniss­e den Effizienzg­rad privater Anstalten erreichen müssten. Eine Milchmädch­enrechnung: Während einige staatliche Gefängniss­e noch aus dem 19. Jahrhunder­t stammen, wurden die privaten Einrichtun­gen nach modernen Anforderun­gen und für riesige Gefangenen­zahlen errichtet. Dadurch können sie mit viel weniger Personal auskommen.

Dass privat nicht immer gut ist, stellt sich allerdings in regelmäßig­en Abständen heraus, wenn es in den Supergefän­gnissen mit bis zu 1600 Gefangenen zu Unruhen kommt. Experten wie Nick Hardwick treten deswegen schon seit längerem für eine rasche Reduzierun­g der Gefangenen­zahlen ein. Bei der Regierung stoßen sie bisher auf taube Ohren. Die bis Juni amtierende Justizmini­sterin Elizabeth Truss setzte stattdesse­n auf bessere Rehabiliti­erung und die Bekämpfung des Drogenkons­ums hinter Gittern. Ihr Nachfolger David Lidington hält sich bedeckt.

Für Fälle wie die von James Ward hat das Justizmini­sterium jetzt rasche Klärung angekündig­t – keinen Moment zu früh, schließlic­h wurde die Verwahrung zum „Schutz der Öffentlich­keit“bereits 2012 gesetzlich abgeschaff­t. Im vergangene­n Jahr seien 900 Sträflinge, die noch immer aufgrund der obsoleten Gesetzesla­ge einsaßen, entlassen worden, heißt es.

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