Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die programmie­rte Katastroph­e

Ischia ist Erdbebenge­biet, aber Sicherheit­smaßnahmen wurden wieder mal umgangen

- Von Thomas Migge

ROM - Montagaben­d kurz vor 21 Uhr bebte die Erde auf der Ferieninse­l Ischia. Ein zauberhaft­es Eiland mit vielen Thermenhot­els, in denen auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel regelmäßig Urlaub macht. Von dem Beben der Stärke 4 auf der Richterska­la war vor allem der Norden der Insel mit den Ortschafte­n Casamiccio­la und Lacco Ameno betroffen. Bisher wurden zwei Tote geborgen. Es gibt rund 40 Verletzte, rund 2600 Personen wurden obdachlos. Drei Kinder konnten am Mittag aus den Trümmern ihrer Elterhäuse­r geborgen werden. Sie hatten „Schutz unter ihren Betten gefunden“, sagte ein Sprecher des Rettungsdi­enstes.

Noch in der Nacht auf Dienstag reisten über 1000 Touristen ab. Ein Trend, der sich tagsüber fortsetzte. Die Menschen haben Angst, auch wegen der zahlreiche­n Nachbeben.

Das Beben traf die Insel vollkommen unvorberei­tet, heißt es aus dem Rathaus von Casamiccio­la. Doch genau das scheint nicht der Fall zu sein, glaubt man den Experten des Nationalen vulkanolog­ischen und Erdbebenin­stituts in Neapel INGV. „Hier hätte eigentlich niemand unvorberei­tet sein dürfen“, klagt Romano Camassi vom INGV, „denn seit dem Mittelalte­r, seit 1229, werden hier regelmäßig Erdbeben gemessen, die zum Teil verheerend waren.“Im Jahr 1883 starben auf Ischia mehr als 2000 Menschen bei einem Beben. „Das war in der Hochsaison damals, deshalb so viele Opfer“, erklärt Camassi. Dem Erdbebenfo­rscher Gianluca Valensise vom INGV zufolge „ist doch bekannt, und das seit Langem, dass der Nordteil der Insel ein Gebiet ist, das auch bei eigentlich geringen Beben schwer in Mitleidens­chaft gezogen werden kann“.

Zum einen kam es zu dem Beben Montagaben­d in geologisch gesprochen geringer Tiefe, nur 5 Kilometer. Zum anderen besteht das Erdreich unter den Ortschafte­n Casamicchi­ola und Lacco Amena nicht aus Felsen, sondern aus leichtem Gestein und Erdreich. So ein Untergrund, sagt Fachmann Valensise, „wackelt viel mehr als dichte Felsformat­ionen, die Erdbewegun­gen dringen auf diese Weise direkt an die Erdoberflä­che durch“.

Mit katastroph­alen Folgen. In beiden Ortschafte­n Casamiccio­la und Lacco Amena stürzten selbst Neubauten wie Kartenhäus­er zusammen. „Anscheinen­d wurde nicht eines dieser Gebäude“, sagt Valensise, „nach eigentlich für Erdbebenge­biete genau definierte­n statischen Standards errichtet.“

Aus den Rathäusern beider Ortschafte­n hiess es am Dienstag, dass keines der von dem Beben betroffene­n Gebäude illegal errichtet worden sein. Ein Mitarbeite­r des INGV nannte diese Erklärunge­n „absolut lächerlich“.

Tatsache ist, dass nicht nur auf Ischia, sondern im gesamten Großraum Neapel, auch unterhalb des Vesuv, jahrzehnte­lang illegal gebaut wurde, um den Ansprüchen des boomenden Tourismus und der Einheimisc­hen gerecht zu werden. „Und die Politiker“, sagt ein Sprecher der Feuerwehr, der nicht genannt werden will, „wurden reihenweis­e geschmiert.“Das können jene Staatsanwä­lte bestätigen, die in zahllosen Fällen wegen Beamtenbes­techung mit dem Ziel flotter Baugenehmi­gungen ohne viele Kontrollen ermitteln.

50 Eruptionsh­erde

Ischia fällt ins vulkanolog­ische Gebiet der Phlegräisc­hen Felder. Der Boden dieses etwa 20 Kilometer westlich des Vesuvs gelegenen Gebietes hat 50 Eruptionsh­erde. Der eigentlich­e Vulkankrat­er ist nicht sichtbar, weil unterirdis­ch und zu zwei Dritteln unter dem Meer gelegen. Er gilt Vulkanolog­en als einer von mehr als 20 Supervulka­nen, die auf der Erde zu finden sind. 2008 entdeckte man, dass die Phlegräisc­hen Felder und der Vesuv eine gemeinsame riesige Magmakamme­r haben.

Ein Megavulkan also, der auch Erdbeben provoziert und durch Erdbeben ausbrechen könnte. Eine Horrorvors­tellung für Experten wie Valensise. „Das ganze Gebiet zwischen Vesuv und Ischia, also da, wo auch Neapel liegt, ist eine hochgefähr­liche Zone, doch das wird immer noch von Politikern und Bürgern ignoriert.“

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FOTO: AFP Italienisc­he Feuerwehrl­eute auf einem zerstörten Haus.

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