Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Damit das Sportpferd wieder springt
Eine Stunde...bei Pferdechirurg Dr. Eberhard Mettenleiter in Waldhausen
WALDHAUSEN - Ein chronisch entzündetes Fesselringband – das klingt unangenehm und das ist es auch. Dr. Eberhard Mettenleiter, Fachtierarzt für Pferde, betreut derzeit einen Patienten mit dieser Diagnose in seiner Praxis in Waldhausen. Der Hengst ist ein Sportpferd, das bald wieder ohne Beschwerden traben und springen können soll. Deshalb steht er an diesem Vormittag auf der Operationsliste.
Schmerzen beim Gehen und Laufen hat keiner gern – da unterscheiden sich Mensch und Pferd nicht voneinander. Allerdings haben Menschen kein Fesselringband. Bei Pferden ist es jedoch eine Sehne, die sich durch zu starke Beanspruchung entzünden und dick werden kann.
Bevor der sportliche Hengst an der Reihe ist, findet in der im Juni neu eröffneten Praxis aber erst einmal eine Art Visite statt. Während die stationären Patienten aus ihren Boxen geholt und von Dr. Mettenleiter in Augenschein genommen werden, läuft im Hintergrund leise Popmusik. Ein junger Hengst, der tags zuvor am Gelenk operiert wurde, erhält eine Antibiotika-Spritze, damit sich die Wunde nicht entzündet. Ein weißes Shetland-Pony hat ein geschwollenes Auge. Bevor es von Tierärztin Florena Jung einen neuen Verband bekommt, untersucht Mettenleiter das Auge mit einem medizinischen Gerät.
Doch der kleine Draufgänger wehrt sich, mag einfach nicht stillhalten. Ein „Geradeaus schauen, bitte“wie bei menschlichen Patienten hilft da leider nicht. Mit der Hilfe der tiermedizinischen Fachangestellten Sarah Wienkemper und der Auszubildenden Linda Meyer geht dann aber doch noch alles glatt.
„Meine Lebensversicherung“
„Es ist sehr wichtig, dass sie die Pferde gut festhalten können, sie sind meine Lebensversicherung“, sagt Mettenleiter über seine Mitarbeiterinnen. Schlägt ein Tier etwa im falschen Moment mit dem Bein aus, kann das für den Arzt schlimme Folgen haben.
Dann bittet Mettenleiter seine Kollegin Florena Jung, den Operationssaal (OP) zu kontrollieren und das Narkosegerät zu überprüfen. Es wird Ernst für das Sportpferd. Die Nacht hat es in seiner Box mit einem Maulkorb verbracht. Außen prangt ein Schild mit der Aufschrift „Hungern“. Nüchtern zur Operation – das kennt man auch aus der Humanmedizin.
Noch in der Box bekommt der Hengst ein Betäubungsmittel, um ihn für die anschließende Narkose vorzubereiten. „Wenn man Pferden im wachen Zustand die Narkose gibt, wirkt das nicht so gut“, erklärt Tierärztin Jung. Und siehe da, das Pferd senkt auch schon die Lider, wird müde. Auf dem Weg in die Narkosebox, die sich direkt neben dem OP befindet, torkelt es ein wenig.
Dort angekommen, wird der Hengst mithilfe einer schwenkbaren Wand in eine Ecke des Raumes gedrängt, so dass er nur wenig Bewegunsspielraum hat. Die Innenwände sind dick gepolstert. So ist das Verletzungsrisiko gering, wenn das Tier in den Narkoseschlaf fällt. Nachdem Jung die Narkosespritze gesetzt hat, dauert es nur wenige Minuten, bis der Hengst zusammensackt. Mettenleiter ist zufrieden. „Er hat sich gut hingelegt.“
Was jetzt kommt, sieht martialisch aus, dient aber dazu, das Pferd möglichst schonend auf den OP-Tisch zu bringen. Sarah Wienkemper legt ihm Schlaufen um die Beine, deren Enden in den Haken des Krans gelegt werden. In wenigen Augenblicken wird das Tier angehoben, über den OPTisch geschoben und wieder abgesetzt.
Variable Dosierung
Florena Jung überwacht ab jetzt die Narkose. Über das Narkosegerät strömt dem Hengst Narkosegas in die Lungen. „Ich kann dann je nach dem auch noch eine tiefere Narkose geben“, erklärt sie. Außerdem kontrolliert sie regelmäßig Atmung und Puls des Pferdes. 36 Herzschläge pro Minute zählt sie – alles normal. Das Herz eines Menschen schlägt im Schnitt doppelt so schnell.
Währenddessen sind Wienkemper und Meyer damit beschäftigt, das Tier mit OP-Tüchern abzudecken und das betroffene linke Hinterbein so zu fixieren, dass operiert werden kann. Mit OP-Kittel, Haube, Munschutz und Handschuhen ausgestattet, legt sich Dr. Mettenleiter das OP-Besteck zurecht und beginnt mit der Operation. Über einen kleinen Einschnitt durchtrennt er das Fesselringband. Dadurch entsteht unter der Haut mehr Platz und die Entzündung kann abheilen.
Schon nach einer halben Stunde ist alles vorbei – für Mettenleiter eine Routine-OP. Die Wunde wird genäht und verbunden, Jung entfernt den Narkoseschlauch und es geht noch einmal mit den Beinen nach oben an den Kran.
Die Tierärztin, die tiermedizinische Fachangestellte und die Auszubildende gesellen sich zu dem Hengst in die Narkosebox und warten, bis er aufwacht. „Ein Pferd muss man langsam aufwachen lassen, denn es ist ja ein Fluchttier“, sagt Mettenleiter. Wacht es zu schnell auf, gerät es in Panik und kann sich beim Aufstehen verletzen. Anders als beim Menschen darf eine Operation nicht länger als drei Stunden dauern. Sonst besteht die Gefahr von Durchblutungsstörungen in den Muskeln. Im schlimmsten Fall kann ein Tier dann nie wieder aufstehen.
Der Sporthengst aber hat alles gut überstanden. Nach rund 25 Minuten springen die drei Frauen mit ein paar kurzen Sätzen aus der Box und schließen die Türen. Denn während das Pferd aufsteht, sollte niemand in seiner direkten Nähe sein. Es rumpelt ein paar Sekunden lang, dann ist es still. Der Hengst steht wieder auf seinen vier Beinen.