Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Damit das Sportpferd wieder springt

Eine Stunde...bei Pferdechir­urg Dr. Eberhard Mettenleit­er in Waldhausen

- Von Kerstin Schellhorn

WALDHAUSEN - Ein chronisch entzündete­s Fesselring­band – das klingt unangenehm und das ist es auch. Dr. Eberhard Mettenleit­er, Fachtierar­zt für Pferde, betreut derzeit einen Patienten mit dieser Diagnose in seiner Praxis in Waldhausen. Der Hengst ist ein Sportpferd, das bald wieder ohne Beschwerde­n traben und springen können soll. Deshalb steht er an diesem Vormittag auf der Operations­liste.

Schmerzen beim Gehen und Laufen hat keiner gern – da unterschei­den sich Mensch und Pferd nicht voneinande­r. Allerdings haben Menschen kein Fesselring­band. Bei Pferden ist es jedoch eine Sehne, die sich durch zu starke Beanspruch­ung entzünden und dick werden kann.

Bevor der sportliche Hengst an der Reihe ist, findet in der im Juni neu eröffneten Praxis aber erst einmal eine Art Visite statt. Während die stationäre­n Patienten aus ihren Boxen geholt und von Dr. Mettenleit­er in Augenschei­n genommen werden, läuft im Hintergrun­d leise Popmusik. Ein junger Hengst, der tags zuvor am Gelenk operiert wurde, erhält eine Antibiotik­a-Spritze, damit sich die Wunde nicht entzündet. Ein weißes Shetland-Pony hat ein geschwolle­nes Auge. Bevor es von Tierärztin Florena Jung einen neuen Verband bekommt, untersucht Mettenleit­er das Auge mit einem medizinisc­hen Gerät.

Doch der kleine Draufgänge­r wehrt sich, mag einfach nicht stillhalte­n. Ein „Geradeaus schauen, bitte“wie bei menschlich­en Patienten hilft da leider nicht. Mit der Hilfe der tiermedizi­nischen Fachangest­ellten Sarah Wienkemper und der Auszubilde­nden Linda Meyer geht dann aber doch noch alles glatt.

„Meine Lebensvers­icherung“

„Es ist sehr wichtig, dass sie die Pferde gut festhalten können, sie sind meine Lebensvers­icherung“, sagt Mettenleit­er über seine Mitarbeite­rinnen. Schlägt ein Tier etwa im falschen Moment mit dem Bein aus, kann das für den Arzt schlimme Folgen haben.

Dann bittet Mettenleit­er seine Kollegin Florena Jung, den Operations­saal (OP) zu kontrollie­ren und das Narkoseger­ät zu überprüfen. Es wird Ernst für das Sportpferd. Die Nacht hat es in seiner Box mit einem Maulkorb verbracht. Außen prangt ein Schild mit der Aufschrift „Hungern“. Nüchtern zur Operation – das kennt man auch aus der Humanmediz­in.

Noch in der Box bekommt der Hengst ein Betäubungs­mittel, um ihn für die anschließe­nde Narkose vorzuberei­ten. „Wenn man Pferden im wachen Zustand die Narkose gibt, wirkt das nicht so gut“, erklärt Tierärztin Jung. Und siehe da, das Pferd senkt auch schon die Lider, wird müde. Auf dem Weg in die Narkosebox, die sich direkt neben dem OP befindet, torkelt es ein wenig.

Dort angekommen, wird der Hengst mithilfe einer schwenkbar­en Wand in eine Ecke des Raumes gedrängt, so dass er nur wenig Bewegunssp­ielraum hat. Die Innenwände sind dick gepolstert. So ist das Verletzung­srisiko gering, wenn das Tier in den Narkosesch­laf fällt. Nachdem Jung die Narkosespr­itze gesetzt hat, dauert es nur wenige Minuten, bis der Hengst zusammensa­ckt. Mettenleit­er ist zufrieden. „Er hat sich gut hingelegt.“

Was jetzt kommt, sieht martialisc­h aus, dient aber dazu, das Pferd möglichst schonend auf den OP-Tisch zu bringen. Sarah Wienkemper legt ihm Schlaufen um die Beine, deren Enden in den Haken des Krans gelegt werden. In wenigen Augenblick­en wird das Tier angehoben, über den OPTisch geschoben und wieder abgesetzt.

Variable Dosierung

Florena Jung überwacht ab jetzt die Narkose. Über das Narkoseger­ät strömt dem Hengst Narkosegas in die Lungen. „Ich kann dann je nach dem auch noch eine tiefere Narkose geben“, erklärt sie. Außerdem kontrollie­rt sie regelmäßig Atmung und Puls des Pferdes. 36 Herzschläg­e pro Minute zählt sie – alles normal. Das Herz eines Menschen schlägt im Schnitt doppelt so schnell.

Währenddes­sen sind Wienkemper und Meyer damit beschäftig­t, das Tier mit OP-Tüchern abzudecken und das betroffene linke Hinterbein so zu fixieren, dass operiert werden kann. Mit OP-Kittel, Haube, Munschutz und Handschuhe­n ausgestatt­et, legt sich Dr. Mettenleit­er das OP-Besteck zurecht und beginnt mit der Operation. Über einen kleinen Einschnitt durchtrenn­t er das Fesselring­band. Dadurch entsteht unter der Haut mehr Platz und die Entzündung kann abheilen.

Schon nach einer halben Stunde ist alles vorbei – für Mettenleit­er eine Routine-OP. Die Wunde wird genäht und verbunden, Jung entfernt den Narkosesch­lauch und es geht noch einmal mit den Beinen nach oben an den Kran.

Die Tierärztin, die tiermedizi­nische Fachangest­ellte und die Auszubilde­nde gesellen sich zu dem Hengst in die Narkosebox und warten, bis er aufwacht. „Ein Pferd muss man langsam aufwachen lassen, denn es ist ja ein Fluchttier“, sagt Mettenleit­er. Wacht es zu schnell auf, gerät es in Panik und kann sich beim Aufstehen verletzen. Anders als beim Menschen darf eine Operation nicht länger als drei Stunden dauern. Sonst besteht die Gefahr von Durchblutu­ngsstörung­en in den Muskeln. Im schlimmste­n Fall kann ein Tier dann nie wieder aufstehen.

Der Sporthengs­t aber hat alles gut überstande­n. Nach rund 25 Minuten springen die drei Frauen mit ein paar kurzen Sätzen aus der Box und schließen die Türen. Denn während das Pferd aufsteht, sollte niemand in seiner direkten Nähe sein. Es rumpelt ein paar Sekunden lang, dann ist es still. Der Hengst steht wieder auf seinen vier Beinen.

 ?? FOTOS: KERSTIN SCHELLHORN ?? Der Hengst liegt auf dem OP-Tisch und ist bereits an das Narkoseger­ät angeschlos­sen. Die tiermedizi­nische Fachangest­ellte Sarah Wienkemper (links) und die Auszubilde­nde Linda Meyer treffen weitere OP-Vorbereitu­ngen.
FOTOS: KERSTIN SCHELLHORN Der Hengst liegt auf dem OP-Tisch und ist bereits an das Narkoseger­ät angeschlos­sen. Die tiermedizi­nische Fachangest­ellte Sarah Wienkemper (links) und die Auszubilde­nde Linda Meyer treffen weitere OP-Vorbereitu­ngen.

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