Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Höhenerlebnisse der besonderen Art
Lechweg, Folge 5: Von Stanzach nach Rieden geht es meist direkt am Fluss entlang
Beim Aufwachen in aller Frühe hören wir ihn sofort wieder: den Lech, der gleich hinterm Haus vorbeifließt. Und aus den Unterlagen wissen wir: Heute werden wir den Fluss näher kennenlernen, führt doch die 15 Kilometer lange Wanderung von Stanzach bis Rieden größtenteils direkt an seinem Ufer entlang. Die Vorfreude ist groß, denn aus den Reiseunterlagen wird auch ersichtlich, dass heute die flachste Etappe der gesamten Tour ansteht. Läppische 80 Höhenmeter! Da kann uns auch die angesagte schwüle Sommerhitze von 30 Grad nichts anhaben! Doch Ramona Sprenger, Produktmanagerin des Lechwegs und eigentlich eine nette junge Frau, hat gleich zu Beginn eine Schikane eingebaut. Sie empfiehlt unbedingt den Abstecher zum Baichlstein, um von dort oben die tolle Aussicht auf den sogenannten Lechzopf zu genießen. Na ja, so ganz ohne Höhenmeter scheint’s für Lechweg-Wanderer wohl doch nicht zu gehen. Dass uns an diesem Tag noch ein Höhenerlebnis ganz anderer Art bevorsteht, verdrängen wir erst einmal.
Lohnender Aufstieg
So früh am Morgen ist die Temperatur noch erträglich und deshalb der knapp einstündige Aufstieg zum 1164 Meter hohen Gipfel des Baichlsteins ganz gut zu schaffen. Von hier oben – und nur von hier oben! – bietet sich ein sagenhaftes Bild. Das Flussbett hat tatsächlich die Form eines geflochtenen Zopfes angenommen. Dieser entstand, weil einst Buhnen zur Uferbefestigung weit in den Lech gebaut wurden und der Fluss so in gleichmäßigen Abständen eingeschnürt wurde. Zwischen diesen Buhnen und den Kiesbänken sucht sich das Wasser nun seinen Weg. Ein triumphierendes Lächeln zeigt sich auf Ramonas Gesicht. Es scheint ihr auch gar nichts auszumachen, dass ihre kecken, blonden Zöpfchen mit diesem gewaltigen Anblick keineswegs konkurrieren können.
Wieder im Tal begleitet sie uns auf dem überwiegend geschotterten Weg, der kilometerlang durch die charakteristische Wildflusslandschaft und stets am Ufer entlang führt. Mittlerweile brennt die Sonne gnadenlos vom Himmel, die Hitze wird von den breiten, hellen Kiesbänken zu allem Überfluss auch noch reflektiert. Wie gerne würden wir jetzt durch einen schattigen Bergwald wandern, sogar wenn wir dafür bergauf gehen müssten! Doch der Lechweg führt nun einmal gnadenlos und schnurstracks am sonnigen Ufer entlang.
Den Kühen scheint die Hitze nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil! Sie kommen herunter zum Fluss und verharren scheinbar reglos stundenlang auf den Kiesbänken. „Wir wissen auch nicht, warum sie das tun. Aber bei schönem Wetter sind wirklich jeden Tag Hunderte von Kühen hier“, erklärt Ramona. Ein bisschen erinnert die Szenerie an die afrikanische Steppe, in der sich Wasserbüffel und Gnus in flimmernder Hitze am Wasserloch treffen.
Auch Ramona scheint die Hitze wenig auszumachen. Sie plaudert munter drauflos, erzählt, dass sie auf einem Bergbauernhof ganz in der Nähe groß geworden ist und heute zusammen mit ihrem Freund selbst eine solche Landwirtschaft hoch oben im Gebirge umtreibt. „Derzeit helfe ich bei gutem Wetter jedes Wochenende beim Mähen und Heuen mit. Nicht immer einfach, denn unsere Hänge sind ganz schön steil“, erzählt sie. Aber als Kind der Berge, das zusammen mit der Schwester täglich einen langen, beschwerlichen Schulweg gehen musste, mache ihr das nicht viel aus. Und wir stöhnen schon während dieser Flach-Etappe, nur weil heute ausnahmsweise Sommer ist!
Dank Ramonas interessanten Erzählungen vergeht die Zeit recht schnell und wir erreichen Weissenbach, wo der Lechweg heute zum ersten Mal fort vom Fluss durch Wiesen und rund um den Ort führt. Von hier ist es nur noch ein kurzes Stück bis Rieden. Dort steht in der Dorfmitte nicht nur ein schönes Kirchlein, mindestens genauso beeindruckend sind die prächtigen Landsitze und Jagdhäuser, die das Ortsbild prägen. „Tja, hier in der Gegend hat sich so mancher Promi und Wirtschaftsboss sein Feriendomizil geschaffen“, erzählt Ramona.
Ruhe vor dem Sturm
Vor allem die Jagd spiele in der Region eine große Rolle. Fast schon beiläufig erwähnt sie, dass auch sie einen Jagdschein besitzt und ab und zu mit dem Gewehr loszieht. Wir machen uns mit ihr jetzt auf die Jagd nach der Sibirischen Azurjungfer. Dies ist eine sehr seltene Libellenart, die am Riedener See herumschwirrt. Der kurze Abstecher zu diesem kleinen Naturparadies bedeutet einen nur 400 Meter langen zusätzlichen Fußmarsch. Der ruhige, kleine See selbst ist der ideale Ort, um uns zu sammeln und mental vorzubereiten auf die größte Herausforderung, die uns entlang des Lechwegs erwartet.
Da steht sie beziehungsweise hängt sie: die Highline 179! Es ist die längste Fußgängerhängebrücke der Welt, gebaut im sogenannten Tibetstil. 406 Meter lang verbindet sie in 114 Metern Höhe die Ruine Ehrenberg mit dem gegenüberliegenden Fort Claudia. Darunter liegt ein tiefes Tal, in dem auf der Bundesstraße 179 der Verkehr Richtung Fernpass rollt. Ramona zückt Freikarten. Normalerweise kostet das Ticket für die Hängebrücke acht Euro. „Dafür kann man aber auch mehrmals hin- und hergehen“, bemerkt Ramona. Na, besten Dank auch! Ich bin zwar sparsame Schwäbin, aber im Gegensatz zu meinen Begleitern nicht todesmutig. Doch gutes Zureden hilft, und schließlich wage ich mich auf das wackelige, lange Ding. Auf den angepriesenen „Blick mit dem Kick“nach unten verzichte ich allerdings. Stattdessen halte ich mich verkrampft am seitlichen Handlauf fest, starre stur geradeaus und beobachte fassungslos eine junge Familie, deren zwei kleine Kinder wild vorausrennen. Einmal rüber, einmal zurück, ein Beweisfoto, jede Menge Adrenalin – und gut ist für heute. Da laufe ich doch lieber den Lechweg zehnmal rauf und runter.