Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Anja Hirschel bleibt den Piraten treu

Ulmerin ist Spitzenkan­didatin – Optimismus trotz Sinkflug - Blick auf Kommunalwa­hlen 2019

- Von Ludger Möllers

ULM - Bei der Oberbürger­meisterwah­l 2015 erzielte sie einen Achtungser­folg mit fünf Prozent der abgegebene­n Stimmen, jetzt tritt sie als bundesweit aktive Spitzenkan­didatin und Direktkand­idatin im Wahlkreis Ulm/ Alb-Donau der Piratenpar­tei an: Die Ulmerin Anja Hirschel hat trotz des Sinkfluges ihrer Partei den Optimismus nicht verloren, in der Politik gestalten zu können.

Die 34-Jährige, die ihr Geld im ITSupport eines japanische­n Konzerns verdient, galt vor zwei Jahren, als es in Ulm um die Nachfolge von LangzeitOB Ivo Gönner ging, als positive NeuEntdeck­ung. Sie wusste durch Kompetenz und Charme zu überzeugen.

Als Piraten-Politikeri­n vertritt sie Datenschut­z, informatio­nelle Selbstbest­immung und Open Data. Auch ihre Einlassung­en zu Umwelt- und Tierschutz sind bestens begründet. „Stirbt die Biene, stirbt der Mensch“, zitiert die Hobby-Imkerin frei nach Albert Einstein.

Andere Parteien wollen Hirschel für sich gewinnen

Nach der OB-Wahl, die der heutige Amtsinhabe­r Gunter Czisch klar für sich entscheide­n konnte, wurde es ruhig um Anja Hirschel. Doch die Ulmer Parteienla­ndschaft war auf die Newcomerin aufmerksam geworden. Regelmäßig erhalte sie Anfragen der politische­n Konkurrenz, sich dort einzubring­en, sagt Hirschel. Ob SPD, CDU, Freie Wähler oder Grüne Hirschel abwerben wollen, will sie nicht verraten. „Die Frau ist einfach in der falschen Partei“, kommentier­t ein kundiger Beobachter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Recherchen unserer Zeitung ergeben: Alle politische­n Richtungen in Ulm würden Hirschel gerne für sich gewinnen: Für die Kommunalwa­hlen 2019 werden jetzt erste Gedankensp­iele zur Zusammense­tzung der Listen angestellt.

„Keine andere Partei hätte mir die Freiheit für meine Ideen gelassen“, begründet Hirschel, warum sie sich bei den Piraten und nicht bei der Konkurrenz engagiert, „ich genieße das volle Vertrauen der Partei.“Sie wolle den Wahltag, den 24. September, abwarten und dann, auch im Hinblick auf die Kommunalwa­hlen 2019, weitersehe­n.

Gemeinsam mit Sebastian Alscher aus Hessen und René Pickhardt aus Rheinland-Pfalz zählt Hirschel derzeit zum Spitzentri­o der Piraten und ist bundesweit unterwegs. „Piraten. Freu’ Dich aufs Neuland“ist die Wahlkampag­ne zur Bundestags­wahl der Piraten überschrie­ben und stellt Bildung, Generation­engerechti­gkeit, Infrastruk­turausbau und den Schutz der Privatsphä­re in den Vordergrun­d.

Anja Hirschel, Spitzenkan­didatin der Piraten zur Bundestags­wahl, fasst die Fragen der Zeit, auf die Piraten bei der Bundestags­wahl Antworten liefern, zusammen: „Wie lösen wir nachhaltig das Problem der zunehmende­n Altersarmu­t? Wie viel unserer Freiheit wollen wir für die Angst vor Terrorismu­s opfern? Wie kann Deutschlan­d Schritt halten mit den Entwicklun­gen in der Digitalisi­erung? Und wie wollen wir unsere Kinder besser fördern und auf die Anforderun­gen von morgen vorbereite­n?“

Dass die einst als politische Newcomer gefeierten Piraten in den Bundestag einziehen, ist nach den neuesten Umfragen so gut wie ausgeschlo­ssen. Unter „Sonstige“werden die Piraten geführt, die sich im Mai nach einem schlechten Ergebnis bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen aus ihrem letzten Landtag verabschie­den mussten. Damit ist die Partei in keinem Bundesland mehr im Parlament vertreten. Zuvor hatten sie sich aus dem Landtag in Schleswig-Holstein verabschie­det.

Die Piratenpar­tei hatte einst einen rapiden Aufstieg: In Berlin schaffte sie 2011 zum bundesweit ersten Mal den Sprung in ein Landesparl­ament. Es folgte 2012 der Einzug in drei weitere Landtage: Saarland, SchleswigH­olstein und NordrheinW­estfalen.

„Die Piraten waren eine Episode“, sagte der Düsseldorf­er Politologe Ulrich von Alemann im Mai. „Manche sagen, eine sympathisc­he – andere sagen, eine skurrile und bizarre Episode, aber sie werden sicher nicht mehr in die Parlamente kommen.“Die erst 2006 gegründete Partei habe es nicht geschafft, ihre Ansprache über ihre Kernthemen IT und Digitales hinaus zu verbreiter­n.

Der Schub für die Themen Internet, Digitalisi­erung, Transparen­z und Mitmachkul­tur, der von den Piraten auf andere Parteien wirkte und alle zwang, Politik auch ins Netz und die sozialen Medien zu verlagern, konnte den Abwärtsstr­udel nicht bremsen. Die Mitglieder­zahl der Piratenpar­tei sank von über 34 000 im Jahr 2012 auf aktuell unter 12000.

Anja Hirschel setzt darauf, dass die Piraten verloren gegangenes Vertrauen wieder aufbauen und beweisen können, „dass wir keine Nerds sind“. Dies werde der Wähler honorieren: Wenn nicht bei der Bundestags­wahl, dann bei der Kommunalwa­hl 2019 in Ulm.

 ?? FOTO: MÖ ?? Fünf Prozent der Stimmen erhielt Anja Hirschel bei der Wahl zum Ulmer Oberbürger­meister im Jahr 2015. Nun geht sie mit reichlich Optimismus als Spitzenkan­didatin in die Bundestags­wahl.
FOTO: MÖ Fünf Prozent der Stimmen erhielt Anja Hirschel bei der Wahl zum Ulmer Oberbürger­meister im Jahr 2015. Nun geht sie mit reichlich Optimismus als Spitzenkan­didatin in die Bundestags­wahl.
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