Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Es geht nicht darum, den Leuten Angst zu machen“

Der CSU-Spitzenkan­didat für die Bundestags­wahl, Joachim Herrmann, zur Flüchtling­spolitik und zur Türkei

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MÜNCHEN - Der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann hält die Kontrollen an der Grenze zu Österreich für notwendig, um die Sicherheit Deutschlan­ds gewährleis­ten zu können. So lange der Schutz der Außengrenz­en der Europäisch­en Union „nicht richtig funktionie­rt, müssen wir unsere eigenen Grenzen in Deutschlan­d schützen“, sagte der CSU-Spitzenkan­didat für die Bundestags­wahl im Gespräch mit Claudia Kling und Ulrich Mendelin. Zudem sprach er sich für einen Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei aus.

Herr Herrmann, das Thema Flüchtling­e bestimmt wieder die Debatten. Kommt das der CSU im Wahlkampf entgegen?

Wir sagen klar, eine Situation wie im Herbst 2015 darf sich nicht wiederhole­n, und sie wird sich nicht wiederhole­n. Aber davon sind wir heute auch schon weit entfernt. Wenn es gelingt, den Zugang von Flüchtling­en, die von Libyen übers Mittelmeer kommen, zu begrenzen, werden wir die von der CSU anvisierte Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en deutlich unterschre­iten. Jetzt geht es darum, diejenigen, die schon da sind, zu integriere­n. Und diejenigen wieder in ihre Heimatländ­er zurückzusc­hicken, die nicht bleiben dürfen. Meine Botschaft ist: Wir stehen vor großen Herausford­erungen, aber wir können sie auch meistern. Es geht nicht darum, den Leuten Angst zu machen.

Warum beharrt die CSU auf der Obergrenze? Wenn geltendes EURecht angewendet würde, kämen ohnehin niemals 200 000 Menschen nach Deutschlan­d.

Das ist so. Deshalb fordere ich, dass geltendes europäisch­es Recht konsequent angewendet wird. Es kann nicht funktionie­ren, wenn die einen Länder Grenzen nicht richtig kontrollie­ren und sich andere Länder überhaupt nicht an der Aufnahme von Flüchtling­en beteiligen wollen. Das hat ja jetzt auch der Europäisch­e Gerichtsho­f im Streit um die Flüchtling­sverteilun­g so entschiede­n. Alle müssen ihren Beitrag leisten.

Handelt die Europäisch­e Union in der Flüchtling­spolitik konsequent? An der Umverteilu­ng scheitert Brüssel bislang, nun sollen Abkommen mit afrikanisc­hen Ländern den Flüchtling­szustrom bremsen.

Wichtig ist der Schutz der EU-Außengrenz­en vor allem, um die Sicherheit in unserem Land gewährleis­ten zu können – auch um Terroriste­n und andere Kriminelle stoppen zu können. Aber so lange der Außengrenz­schutz nicht richtig funktionie­rt, müssen wir unsere eigenen Grenzen in Deutschlan­d schützen. Nehmen Sie als Negativbei­spiel die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien: Wenn dort der Stau zu lang wird, dann lässt die Polizei Reisende unkontroll­iert passieren. Das ist aber nicht das, was das EU-Recht verlangt. Natürlich will auch ich nicht, dass Reisende im Stau stehen, aber wenn das häufiger so ist, muss eben mehr Personal eingesetzt werden.

Staus gibt es aber nicht nur in Slowenien. Auch auf der A 93 bei Kiefersfel­den oder der A 8 bei Salzburg müssen sich Touristen und Pendler wegen der Grenzkontr­ollen in Geduld üben – während auf der parallel verlaufend­en Landstraße kaum kontrollie­rt wird.

Ich bin überzeugt, dass die dortigen Grenzkontr­ollen wichtig und wirksam sind. Da wurden allein im ersten Halbjahr 2017 Tausende, die illegal einreisen wollten, zurückgewi­esen. Wir konnten auch eine Vielzahl anderer Straftäter festnehmen: Drogenschm­uggler, Einbrecher, mit Haftbefehl gesuchte Personen im vierstelli­gen Bereich. Wenn die über Nebenstraß­en gekommen wären, hätten sie riskiert, von Schleierfa­hndern aufge- griffen zu werden. Aber die Zahlen zeigen, dass die Masse der Menschen – und auch die Masse derjenigen, die verhaftet werden muss – über die großen Grenzüberg­änge kommen.

Kann es sein, dass Sie nur die dümmsten Schleuser fangen?

Wenn wir keinen Erfolg mit den Grenzkontr­ollen hätten, würden wir sie nicht machen. Ich will nicht Urlauber ärgern, sondern unser Land sicherer machen.

Wir haben bereits über die Durchsetzb­arkeit von Recht gesprochen. Das scheint auch im Fall ausreisepf­lichtiger Migranten in Deutschlan­d ein Problem zu sein. Wissen Sie, wie viele das sind?

Wir haben keine genauen Zahlen, weil es sehr komplizier­t ist, diese zu erfassen. Das liegt unter anderem daran, dass ein Asylbewerb­er, der einen ablehnende­n Bescheid erhält, vor einem Verwaltung­sgericht dagegen klagen kann. Dann erscheint er in der Statistik zwar als ausreisepf­lichtig, ist es aber de facto nicht, solange über die Klage nicht entschiede­n ist. Zudem wissen wir von Datenfehle­rn im Ausländerz­entralregi­ster des Bundes. Da sind Menschen als ausreisepf­lichtig geführt, die EU-Bürger sind und gar nicht ausreisen müssen. Das will der Bund jetzt ändern. Und dann gibt es diejenigen, die tatsächlic­h schon längst hätten ausreisen müssen, aber noch da sind.

Und woran scheitert deren Ausreise?

Eines der Hauptprobl­eme ist, dass viele Ausreisepf­lichte keine Papiere haben und ihr Heimatland nicht bereit ist, welche auszustell­en oder sich ewig damit Zeit lässt. Das haben wir ja im Fall Amri erlebt, dessen Papiere aus Tunesien zwei Tage nach dem Attentat da waren. Aber abgesehen davon: Man darf nicht nur auf die Abschiebun­gen schauen, man muss auch die freiwillig­en Ausreisen mit einbeziehe­n. Bei uns in Bayern wurden in diesem Jahr bislang mehr als 2000 Menschen abgeschobe­n – aber mehr als 8000 sind freiwillig gegangen, nachdem sie einen entspreche­nden Bescheid bekommen haben.

Ist es für Sie ein Zwiespalt – gerade als Christsozi­aler und Katholik –, Härte in der Flüchtling­spolitik zu zeigen? Papst Franziskus wird ja nicht müde, uneingesch­ränkte Solidaritä­t mit den Flüchtling­en zu fordern.

Natürlich haben wir eine große humanitäre Verantwort­ung. Aber Deutschlan­d hat mehr Flüchtling­e aufgenomme­n als jedes andere europäisch­e Land. Ich stehe nachdrückl­ich hinter der Politik von Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller: Wir müssen die Entwicklun­gshilfe deutlich stärken, wenn wir die Flüchtling­skrise meistern wollen. Eine Ursache für die große Fluchtbewe­gung im Jahr 2015 war, dass der Welternähr­ungsorgani­sation das Geld ausgegange­n ist für die Ernährung der Flüchtling­e in den Lagern im Libanon, in Jordanien und in der Türkei. Für Afrika gilt: Wir werden dort nicht alle Probleme lösen können. Trotzdem müssen wir im Rahmen unserer Möglichkei­ten versuchen zu helfen, weil uns sonst diese Probleme auf die Füße fallen.

Die EU überweist im Rahmen des Flüchtling­sabkommens viel Geld an die Türkei. Die verhindert im Gegenzug, dass viele Flüchtling­e nach Europa kommen. Machen wir uns dadurch erpressbar?

Man muss dieses Abkommen sorgfältig von der sonstigen Türkeipoli­tik trennen. Ich bin durchaus der Meinung, dass wir die Vorbeitrit­tszahlunge­n an die Türkei stoppen müssen. Aber das, was die Türkei von der EU für die Flüchtling­e bekommt, geht nicht an den türkischen Staat. Es ist dafür da, dass die dorthin geflüchtet­en Leute genug zu Essen und zu Trinken haben – und das muss auf jeden Fall weitergehe­n. Das Abkommen ist in jeder Hinsicht wirkungsvo­ll. Es hat die Zahl derer, die aus der Türkei auf die griechisch­en Inseln übersetzen, deutlich reduziert. Ein ähnliches Abkommen brauchen wir auch mit den nordafrika­nischen Ländern.

Aber die EU-Beitrittsv­erhandlung­en würden Sie beenden?

Ja, absolut. Wobei das nichts Neues ist, die CSU war schon immer gegen den Beitritt. Wir wollen eine gute Partnersch­aft, aber wir müssen gleichzeit­ig deutlich machen, dass Erdogan uns nicht beliebig auf der Nase herumtanze­n kann.

Und wie sehr belasten die schwierige­n Beziehunge­n mit der Türkei das Zusammenle­ben mit türkischst­ämmigen Menschen in Deutschlan­d?

Im Moscheever­band Ditib und in den türkischen Kulturvere­inen hat sich der Ton verschärft. Früher haben wir mit Ditib intensiv zusammenge­arbeitet. Die haben den Islam à la Atatürk gelebt, das war völlig in Ordnung. Mittlerwei­le bekommen die Ditib-Imame jede Woche eine ziemlich verbindlic­he Vorgabe aus Ankara, was sie am Freitag predigen sollen. Die Botschafte­n sind zwar noch nicht verfassung­sfeindlich – aber integratio­nsfeindlic­h sind sie schon. Dadurch verändert sich das Alltagsleb­en in den Kulturvere­inen.

Sie sind seit knapp zehn Jahren Innenminis­ter in Bayern. Wenn Sie demnächst nach Berlin wechseln sollten, hinterlass­en Sie Ihrem Nachfolger eine „gmahde Wiesn“?

Wir sind jedenfalls gut aufgestell­t. Wir sind das sicherste Land mit der niedrigste­n Kriminalit­ätsrate und der höchsten Aufklärung­squote. Zudem schaffen wir in diesem und den nächsten drei Jahren nochmal 2000 neue Stellen für die Polizei, und wir haben den höchsten Sachhausha­lt, den die Polizei je hatte. Bayern hat seine Hausaufgab­en also gemacht.

Als CSU-Innenminis­ter dürfte die Aussicht auf eine Koalition mit Grün und Gelb nach der Bundestags­wahl nicht gerade Ihr Traum sein. Sind Sie dennoch offen dafür?

Die einfachste Konstellat­ion wäre eine Mehrheit für Schwarz-Gelb. Andernfall­s wird es sicherlich zu schwierige­n Diskussion­en kommen.

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER „Ich will nicht Urlauber ärgern, sondern unser Land sicherer machen“, sagt Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann zu den Kontrollen an der bayerisch-österreich­ischen Grenze.
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Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann im Gespräch mit den Redakteure­n Ulrich Mendelin und Claudia Kling.
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