Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Moskaus neues Großmanöver gibt Rätsel auf
Militärübung „Sapad 2017“startet in Weißrussland mit einer bescheidenen Zahl von 12 700 Soldaten – Polen besorgt wegen Truppenkonzentration
MOSKAU/WARSCHAU - Kurz vor dem Start des großen russisch-weißrussischen Manövers „Sapad 2017“geben sich westliche Experten besorgt. Sie zweifeln die vom russischen Außenministerium angegebenen Teilnehmerzahlen an. Das Szenario der am heutigen Donnerstag startenden Militärübung sieht einen Gegenschlag der Truppen beider Staaten gegen Separatisten vor, die einen Teil Weißrusslands besetzt haben.
Die Szenerie des Kriegsspiels könnte aus der Ostukraine stammen, mit dem Unterschied, dass bei „Sapad 2017“die Nato-Länder Litauen und Polen einen „hybriden Krieg“gegen Weißrussland beginnen und einen Teil der Bevölkerung aufwiegeln. Mithilfe dieser Separatisten rufen sie auf dem weißrussischen Staatsgebiet die Republik „Wiejsznoria“aus. Weißrussland ruft den treuen Bündnisgenossen Russland zu Hilfe, der dann blitzschnell die Angreifer besiegt und wieder die alte Ordnung herstellt. Im Manöver heißt Polen „Lubenia“und Litauen „Wesbaria“.
Für Verwunderung unter westlichen Sicherheitsexperten sorgt die von Moskau offiziell angegebene Zahl der Manöver-Teilnehmer. Mit gerade mal 12 700 Soldaten (7200 Weißrussen und 5500 Russen) fällt sie überraschend niedrig aus. 2016 hatte Russlands Verteidigungsminister noch eine „strategische Antwort“auf das Nato-Manöver „Anakonda-16“in Polen mit 31 000 Soldaten angekündigt.
Es gibt aber Zweifel daran, ob die Zahlen richtig sind. Denn auch in anderen russischen Gebieten sind Übungen vorgesehen. Sie wurden jedoch offiziell als Parallelveranstaltungen deklariert. Würden mehr als 13 000 Militärs an einer Übung teilnehmen, müsste Moskau nach dem Wiener Dokument über vertrauensbildende Maßnahmen von 2011 ausländische Beobachter über einen längeren Zeitraum zulassen.
Will Moskau vielleicht etwas verbergen? Das mutmaßt zumindest der Militärexperte Alexander Golts. Seit Jahren würden immer neue Einheiten geschaffen, die Anzahl der Soldaten bleibe aber konstant, sagt der Russe. Das könne nur bedeuten, „dass die neuen Divisionen unvollständig und noch nicht verteidigungsfähig sind. Das möchte man vor ausländischen Beobachtern vielleicht verbergen.“
Frederick Hodges, Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, warnte unterdessen vor einem „trojanischen Pferd“. Was als Verteidigungsmaßnahme deklariert wurde, könnte eine Vorübung sein, um später das Baltikum und Polen zu besetzen, so der General. Die Nervosität ist nicht grundlos: 2014 nutzte Russland ein Manöver an der Westgrenze, um die Einnahme der ukrainischen Halbinsel Krim vorzubereiten. 2008 bot eine Großübung im Kaukasus das Vorspiel für den Überfall auf Georgien.
Gerüchte kursieren diesmal, Moskau könne nach dem Manöver in Weißrussland Truppen und Waffen für den Notfall zurücklassen. Dennoch reagierten die baltischen Staaten bislang ruhig. Mehr Sorgen macht man sich in Polen. Der polnische Sicherheitsexperte Marek Swierczynski wies im Nachrichtenmagazin „Polityka“darauf hin, dass sich die Zahl der russischen Soldaten an der russischen Grenze zur Ukraine und an der weißrussischen Grenze zu Polen und Litauen von 2015 bis heute auf dauerhaft 300 000 erhöht habe.
Solange es einen Telefonkontakt mit Moskau gebe, drohe von „Sapad 2017“keine Gefahr, schrieb Swierczynski. Wenn in Moskau aber niemand mehr den Hörer abnehme, müsste man Alarmstufe Rot ausrufen.