Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Mongolisches Ehrenwort!
Eine Migrationsgeschichte an den Münchner Kammerspielen
MÜNCHEN - Es gibt ein Fotografie, da sitzt die kleine Uisenma auf einem gepackten Rucksack. Es ist das Bild einer Migrationsbiographie, die von Ulan Bator in der Mongolei über ein Ost-Berlin kurz vor dem Mauerfall in die Wirren der deutschen Wiedervereinigung und von dort an die Münchner Hochschule für Film und Fernsehen weist. Inzwischen ist Uisenma Borchu eine preisgekrönte Filmemacherin. An den Münchner Kammerspielen hat sie nun ihr Debüt als Theaterregisseurin gegeben und einen Text zur eigenen Migrationsgeschichte zur Uraufführung gebracht. Mit dabei: ihr Vater, der Maler Borchu Bawaa.
Auf der Bühne stehen vier Projektionsflächen, auf denen Bilder aus dem Leben der Autorin und Regisseurin zu sehen sind. Man bekommt einen Eindruck von der Weite der mongolischen Steppe. Hier, in diesem Gebiet, das einst zur Sowjetunion gehörte, lebt die nomadische Bevölkerung in Jurten und reitet auf Pferden durch die Steppe.
Gesellschaftsbild Deutschlands
Auf einer Leinwand arbeitet derweil Borchu Bawaa an einem großformatigen Gesellschaftsbild Deutschlands. Viele Menschen in Schwarz-RotGold, die wohl gerade den Mauerfall erleben. Im Hintergrund leuchtet eine Sonne in Rotorange, von der man nicht weiß, geht sie unter oder auf.
Der Vater ist ein Künstlerfels in der Brandung und arbeitet unbeirrbar an der Vollendung seines Werks, auch wenn es hinter ihm gerade um sein inniges Verhältnis zur Tochter geht. Das ist irritierend, weil man in so einem Fall Reaktionen des Vaters erwartet, also Anteilnahme, Widerspruch oder ein Lächeln des Wiedererkennens. Es ist aber auch nachvollziehbar, dass da einer so stoisch arbeitet. Schließlich ist der Mann eine Kunst-Performance in einer Uraufführung, mit der sich seine Tochter Uisenma Borchu auf die familiäre Emigrationsgeschichte, sich selbst und die Zeit nach der Ankunft in Deutschland konzentriert.
Blinde Flecken
Es war eine schwierige Situation, damals nach dem Mauerfall. Sie wurde als „Schlitzauge“denunziert, eignete sich ein dickes Fell an und schlug gelegentlich zurück. Wir sehen ein Mädchen, für die der Vater war, was er auch auf der Bühne ist: ein Orientierungspunkt, der der Tochter Halt gibt, auch wenn sie gesteht, sie habe sich „mit denen gekloppt“. Er sagt dann: „Zeig doch mal!“und „Wow, aber du musst aufpassen!“. Aber er macht die Tochter auch darauf aufmerksam, dass sie sich mit ihrer Widersacherin versöhnen solle: „Du musst Freunde machen ... versprichst du’s mir? Mongolisches Ehrenwort!“
Die Leistung der familiären Dokumentation besteht darin, dass der sogenannte Biodeutsche sehr direkt vermittelt bekommt, was er alles ausblendet, wenn er von morgens bis abends von Integration und davon redet, das sei eine Pflichtaufgabe jedes Flüchtlings und jeder Migrantin. Wie, so die Frage, soll ein Mädchen wie die kleine Uisenma damit umgehen, dass sie in einem der Häuser lebt, vor dem ein fremdenfeindlich rassistischer Mob pöbelt und darauf zählen kann, dass die Polizei nicht eingreift? Muss sie das nicht als Aufforderung verstehen, genau das nicht zu tun, was man landläufig „integrieren“nennt? Und was soll man von einer Lehrerin halten, die ein Leben verkörpert, in das die Schülerin aus der Mongolei hineinwachsen will, während dieselbe Lehrerin das Mädchen benachteiligt und kleinmacht?
Uisenma Borchu hat sich durchgesetzt, trotz alledem. Sie ist Künstlerin geworden und gibt der ehemaligen Lehrerin in „Nachts, als die Sonne schien“großen Raum. Die alles andere als pädagogisch wertvolle Paukerin ist der defätistische Gegenpol zum Vater, der die Tochter in allem unterstützt, auch in ihrer poetischen Kreativität.
Die Lehrerin wird von Araba Walton dargestellt. Die Sängerin und Schauspielerin wirkte im Hamburger Musical „König der Löwen“mit und arbeitet für Film und Fernsehen. Bühnenerfahrung scheint ihr zu fehlen. Wie anders wäre zu erklären, dass sie demonstrativ herablassende Pädagogik-Attitüden zur Schau stellt und den Eindruck erweckt, ihr klischeehaftes Spiel sei das Ergebnis eines Unvermögens.
Klassisches Einfühltheater
Lea Johanna Geszti und Christian Löber sind hingegen Schauspielprofis, die als Vater- und Tochter-Double klassisches Einfühltheater anbieten, immer wieder aber aus den Rollen treten und zu Beobachtern werden. Uisenma Borchu selbst steht auf der Bühne. Sie ist eine angenehm unprätentiöse Spielleiterin und quasi die innere Stimme der heranwachsenden Uisenma. Und natürlich ist da auch Borchu Bawaa, der einfach er selbst ist und einen Eindruck davon vermittelt, was die derzeit so viel beschworene Bühnen-Authentizität sein könnte, wäre sie nicht nur eine Fiktion.
Weitere am 12. und 27. 10., 14., 23. und 26.11. www.muenchner-kammerspiele.de Kartentelefon: (089) 233 966 00