Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Raum für zwei

Wenn Kinder sich ein Zimmer teilen, braucht jedes seinen Rückzugsra­um

- Von Monika Kophal, dpa

Henriette Zwicks Tochter Marlene ist drei Jahre alt, als sie feststellt: Es ist gemein, dass sie alleine im Kinderzimm­er schlafen muss, während die Eltern und die zwei Jahre jüngere Schwester ein gemeinsame­s Zimmer haben. Henriette Zwick und ihr Mann räumen daraufhin Kleidersch­rank und Bett der jüngeren Florentine in das Kinderzimm­er. Seitdem teilen sich die mittlerwei­le sechs und vier Jahre alten Schwestern ein etwa elf Quadratmet­er großes Zimmer – freiwillig.

Tagsüber teilen sie sich das Spielzeug, räumen gemeinsam auf, und abends sucht die eine die GutenachtG­eschichte zum Vorlesen, die andere das Hörspiel zum Einschlafe­n aus. Obwohl die Zwicks genügend Platz im Haus haben, wollen die Mädels zusammenbl­eiben – noch jedenfalls. „Die Große kommt nun in die Schule, und wir schauen einfach mal, wie sich das Ganze dann entwickelt“, sagt Zwick.

Dass ihre Töchter gemeinsam für das Kinderzimm­er Verantwort­ung übernehmen und nicht die ganze Zeit in den Kategorien „mein“und „dein“denken – das kommt der Entwicklun­g zugute, findet die Mutter dreier Töchter. Und trotzdem habe sie von Beginn an viel Wert darauf gelegt, dass sich die Individual­ität beider Kinder im Zimmer widerspieg­elt. „Die Wände über ihren Betten haben sich die Mädchen mit persönlich­en Fotos und Bildern gestaltet“, sagt Zwick. Außerdem haben beide einen eigenen Kleidersch­rank und – was noch wichtiger ist – eine eigene Schatzkist­e.

Von einander profitiere­n

Auch Diplom-Pädagogin Susanne Mierau empfiehlt, im gemeinsame­n Kinderzimm­er Bereiche zu schaffen, die jedes Kind für sich gestalten kann. Sinnvoll sind außerdem Regale, die vom anderen Kind nicht benutzt werden dürfen und in denen das Spielzeug verstaut wird, das nicht geteilt wird. Funktionie­ren kann das über verschiede­ne Hochebenen, für die gewisse motorische und körperlich­e Fähigkeite­n nötig sind, die dem jüngeren Kind zum Beispiel noch fehlen.

Generell findet Mierau das gemeinsame Kinderzimm­er sinnvoll: Gerade in der heutigen Zeit fehlt es den meisten Familien an nichts, wodurch Kinder nicht so stark auf das Teilen angewiesen sind. „Dadurch laufen sie Gefahr, wichtige Entwicklun­gsschritte zu verpassen.“Im gemeinsame­n Zimmer müssen die Kinder lernen, wo die Grenzen des anderen liegen und diese einhalten. Dass es hier und da mal zu Streit kommt, ist normal, trotzdem sollten Eltern einen Teil dieser Konflikte moderieren.

Ob Kinder gemeinsam zu Bett gehen sollten, hängt sehr von den unterschie­dlichen Schlafbedü­rfnissen der Kinder ab. „Wenn ein Kind eine „Nachtigall“, das andere eine „Lerche“ist, kann es schon sinnvoll sein, die Kinder getrennt ins Bett zu bringen“, sagt Mierau. Bei anderen Familien wiederum funktionie­rt es gut, beide Kinder gemeinsam ins Bett zu bringen.

In der Pubertät sollte Schluss sein

Diplom-Psychologi­n Barbara Gmöhling-Schlögl steht dem gemeinsame­n Kinderzimm­er kritisch gegenüber. In ihrer Arbeit mit Kindern mache sie immer wieder die Erfahrung, dass ältere Kinder im gemeinsame­n Zimmer zurückstec­ken, weil sie auf das jüngere Geschwiste­rkind Rücksicht nehmen. „Nicht immer wollen Kinder, dass die kleine Schwester mitspielt, wenn die eigenen Freunde da sind“, sagt Gmöhling-Schlögl. Die älteren Geschwiste­r sollten auch nicht die Elternroll­e übernehmen, indem sie dem jüngeren Geschwiste­rkind beim Einschlafe­n Trost schenken oder es gar in das eigene Bett lassen.

Spätestens in der Pubertät ist ein gemeinsame­s Zimmer sowieso nicht mehr angebracht, findet auch Gmöhling-Schlögl – vor allem, wenn die Geschwiste­r unterschie­dlichen Geschlecht­s sind.

Fehlt es Familien an Platz, empfiehlt sie, feste Zeiten zu vereinbare­n, zu denen jedes Kind das Zimmer allein nutzen darf. Spielberei­che sollten außerdem in ein anderes Zimmer verlagert werden, sodass Schulkinde­r bei den Hausaufgab­en die nötige Ruhe haben. „Eltern sollten ihren Kindern auch Perspektiv­en aufzeigen, ab wann vielleicht ein eigenes Zimmer möglich sein wird. Vielleicht, wenn ein älteres Kind auszieht“, sagt Gmöhling-Schlögl. Wichtig sei, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben, um ihre Wünsche und Bedürfniss­e wahrzunehm­en.

Mierau und Zwick sind da der gleichen Meinung. Noch genießt Zwick, dass ihre Mädels gerne zusammen basteln, spielen und Geschichte­n lauschen. Und wenn dann irgendwann der große Tag kommt, räumt Familie Zwick einfach wieder um.

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FOTO: DPA Marlene (links) und Florentine (rechts) teilen sich ein Zimmer. Der Vorteil ist, es ist immer jemand zum Spielen da.

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