Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Prozess gegen Mesale Tolu beginnt heute in Istanbul
Linken-Politikerin Heike Hänsel beobachtet Verfahren - Justizminister Guido Wolf appelliert an Türkei
ISTANBUL/ULM (dpa/lsw) - Mehr als fünf Monate nach ihrer Festnahme beginnt am heutigen Mittwoch der Prozess gegen die in der Türkei inhaftierte gebürtige Ulmerin Mesale Tolu. Die 33-Jährige Journalistin und Übersetzerin gehört zu einer Gruppe von 18 Angeklagten, denen Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen wird. Nach Angaben von Tolus Anwältin Kader Tonc drohen ihrer Mandantin in dem Verfahren vor dem Gericht in Silivri westlich von Istanbul bis zu 20 Jahre Haft. Die Bundesregierung fordert die Freilassung Tolus und von mindestens zehn weiteren Deutschen, die in der Türkei derzeit aus politischen Gründen inhaftiert sind.
Namentlich bekannt von diesen insgesamt mindestens elf Bundesbürgern sind Tolu, der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel und der Menschenrechtler Peter Steudtner. Tolu arbeitete als Journalistin und Übersetzerin für die linke Nachrichtenagentur Etha. Sie wurde in Ulm geboren und besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft.
Tolu war am 30. April festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Wohnung stürmten. Ihr Ehemann Suat Corlu war bereits zuvor ebenfalls unter Terrorverdacht inhaftiert worden. Er gehört nicht zu den 18 Angeklagten dieses Prozesses. Mesale Tolu hat ihren zweijährigen Sohn bei sich im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy.
Die stellvertretende Vorsitzende der Linke-Fraktion im Bundestag, Heike Hänsel, kündigte am Dienstag an, an dem Prozess gegen Tolu als Beobachterin teilzunehmen. „Mesale Tolu – genauso wie Deniz Yücel, Peter Steudtner sowie zahlreiche weitere willkürlich Verhaftete – ist nichts anderes als eine Geisel von Präsident Recep Tayyip Erdogan“, sagte Hänsel. „Sie alle werden als Faustpfand für die politischen Forderungen Ankaras festgehalten. Deshalb
ist kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten.“
Die Anwältin Tolus glaubt nicht an ein faires Verfahren gegen ihre Mandantin. „Man möchte sich an der politischen Opposition und der Presse mit den zu fällenden Urteilen rächen”, sagte Kader Tonc gegenüber der in Berlin erscheinenden Tageszeitung „neues deutschland“. Bereits die Verhaftung Tolus sei „rechtlich nicht legitim gewesen und wurde aus politischen Gründen durchgeführt”, weswegen auch eine Entlassung aus der Haft keine rechtliche, sondern eine politische Entscheidung wäre. Für einen fairen Prozess müssten die Richter an die juristischen Bestimmungen gebunden sein, sagt Tonc. „Doch das sind sie nicht.”
Die Anwältin kritisiert, dass der Prozess von Anfang an rechtlich nicht legitim und fair sei: „Die Presseund Meinungsfreiheit werden durch diesen Prozess kriminalisiert. Die Umstände, unter denen unsere Mandantin in Untersuchungshaft genommen wurde, widersprechen rechtsstaatlichen Maximen. Schon jetzt wurden in diesem Verfahren viele Rechtsverletzungen begangen.”
Vorwürfe mit
„wenig erkennbarer Substanz“
Auch Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) fordert vor dem Prozessauftakt gegen die gebürtige Ulmerin Mesale Tolu in der Türkei ein faires Verfahren. „Wir werden das Verhältnis der Türkei zu rechtsstaatlichen Grundsätzen auch und gerade an diesem Prozess gegen die deutsche Staatsangehörige Mesale Tolu messen“, sagte Wolf.
Soweit er es beurteilen könne, hätten die Vorwürfe „wenig erkennbare Substanz“. Wolf: „Ich kann daher nur an die Türkei appellieren, hier keinen politischen Prozess zu inszenieren und rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze zu beachten. Denn ohne eine freie und kritische Presse kann keine Demokratie funktionieren.“