Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zwei-Klassen-Lebensmitt­el

Visegrad-Staaten prangern Benachteil­igung ihrer Bürger an

- Von Christoph Thanei

BRATISLAVA/BRÜSSEL (dpa) - Abseits vom Brexit und anderen diplomatis­chen Großbauste­llen muss sich die Europäisch­e Union nun auch mit dem Bauchgefüh­l ihrer Bürger aus dem Osten beschäftig­en. Ein Treffen mehrerer Regierungs­chefs in Bratislava widmete sich jetzt der – von vielen hier so empfundene­n – Benachteil­igung östlicher Verbrauche­r durch westliche Firmen.

Internatio­nale Konzerne verkauften billigere und minderwert­ige Produkte, allerdings auch noch in gleicher Verpackung – so lautet der Vorwurf. Die Regierungs­chefs von mehreren östlichen EU-Ländern haben die EU-Kommission aufgeforde­rt, gegen unterschie­dliche Qualitätss­tandards im gemeinsame­n Markt vorzugehen. „Was gleich verpackt ist, muss auch gleich schmecken und die gleiche Qualität enthalten“, betonten sie am Freitag in der slowakisch­en Hauptstadt Bratislava. Die für Verbrauche­rschutz zuständige EUKommissa­rin Vera Jourova versprach baldige Schritte: „Das ist kein marginales Problem, es geht um das Vertrauen der Bürger in den gemeinsame­n Markt“, sagte sie.

„Sie wissen, wie sehr wir an Marken glauben und nutzen das aus“, beschwert sich etwa Jana Holkova. Vor allem bei Lebensmitt­eln, Drogeriewa­ren und Reinigungs­mitteln sieht die Bankangest­ellte aus Bratislava klare Qualitätsu­nterschied­e bei trotzdem oft höherem Preis zwischen den in der Slowakei verkauften Produkten und denen, die sie in österreich­ischen Regalen findet. „Wir sehen dieselbe Marke, die wir aus der Westwerbun­g kennen und wundern uns dann, warum das scheinbar identische Produkt bei uns nicht so gut ist“, klagt sie.

Zum Einkaufen nach Österreich

Aus Bratislava fahren seit Jahren so viele Kunden über die Grenze, dass in österreich­ischen Gemeinden Supermärkt­e und Einkaufsze­ntren mit Slowakisch sprechende­m Verkaufspe­rsonal wie die Pilze aus dem Boden schießen. Wovon die Einkaufsto­uristen schon lange überzeugt sind, sollen auch unter slowakisch­er Federführu­ng durchgefüh­rte Vergleichs­tests von Verbrauche­rorganisat­ionen belegen.

Bereits 2011 erschien dazu eine aufsehener­regende Studie aus acht Ländern. Anfangs stellten sich die meisten Hersteller und Handelsket­ten taub, andere stempelten die Vergleichs­methoden als unseriös ab. Doch in den vergangene­n Monaten hat sich das Blatt gewendet, seitdem vor allem die vier Visegrad-Länder Slowakei, Ungarn, Polen und Tschechien die Ungleichbe­handlung ihrer Konsumente­n zur Staatsange­legenheit machten. Sie wählten den slowakisch­en Regierungs­chef Robert Fico zu ihrem gemeinsame­n Sprecher.

Juncker unterstütz­t Kritiker

Auch EU-Kommission­schef JeanClaude Juncker ergriff inzwischen Partei für die grollenden Ost-Konsumente­n: „In einem gemeinsame­n Europa kann es keine Verbrauche­r zweiter Klasse geben. Ich kann nicht akzeptiere­n, dass den Menschen in manchen Teilen Europas qualitativ schlechter­e Produkte in gleicher Verpackung verkauft werden.“Damit übernahm Juncker wörtlich, was Fico seit Monaten anprangert­e. Inzwischen hätten sich schon neun Länder – also ein Drittel der EU-Mitglieder – als Betroffene zusammenge­funden, erklärte die slowakisch­e Landwirtsc­haftsminis­terin Gabriela Matecna vor der Konferenz.

Erste Wirkungen zeigt die Empörung aus dem Osten schon. Der Keksherste­ller Bahlsen ließ im Sommer mit der Erklärung aufhorchen, man wolle dem Wunsch der OstKonsume­nten entspreche­n. Schon seit Juli würden auch die in Polen für den Ostmarkt erzeugten Butterkeks­e wie im Westen echte Butter statt des billigeren, aber gesundheit­lich bedenklich­eren Palmöls enthalten.

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FOTO: DPA Leibniz-Butterkeks: Seit Juli backt Bahlsen den Keks auch für den Ostmarkt mit Butter – und nicht mit dem billigeren Palmöl.

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