Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Bau dir ein Haus aus Balken

Die moderne Holzarchit­ektur profitiert von jahrhunder­tealtem Wissen

- Von Michael Lehner

Mit der Öko- und Biomode sind auch Holzhäuser wieder sehr beliebt geworden. Sie rechnen sich nicht nur für die Umwelt und das Zimmererha­ndwerk, sondern auch für ihre Besitzer. Und sie können eine wunderbare Kombinatio­n aus Tradition und Moderne sein.

Nirgendwo in Deutschlan­d ist die neue Liebe zum Holzhaus so stark ausgeprägt wie in Baden-Württember­g. 27,6 Prozent der Wohnhäuser und gar 36,9 Prozent der Gewerbebau­ten werden dort zumindest überwiegen­d aus dem Werkstoff Holz errichtet. Bundesweit haben Holzbauten einen Anteil von 16,2 Prozent an den Baugenehmi­gungen – Tendenz beständig steigend.

Das Süd-Nord-Gefälle ist erklärlich: Überall dort, wo es richtig kalt werden kann, gehören Holzhäuser zum traditione­llen Siedlungsb­ild. Im Alpenland, aber auch im hohen Norden. Menschen bauen mit Baumstämme­n, seit sie nicht mehr in Höhlen schlafen. Und sie fahren gut damit: vom gesunden Raumklima bis zu vergleichs­weise geringem Aufwand für die Heizung.

„Wenn du lange leben willst“, heißt es in Schweden, „dann bau dir ein Haus aus Balken.“Häuser aus Ziegel- oder gar Betonstein­en sind in Skandinavi­en nur schwer verkäuflic­h. Alte Balkenhäus­er werden dort bis heute sogar abgebaut und umgezogen. Recycling vom Feinsten oder Nachhaltig­keit, um es modisch auszudrück­en.

Im 12. Jahrhunder­t gefällt

Zum Thema Lebensdaue­r: Wissenscha­ftler haben das Holz der Stabkirche im norwegisch­en Borgund untersucht und festgestel­lt, dass die Bäume für das Gotteshaus schon im 12. Jahrhunder­t nach Christus gefällt wurden. Hölzerne Bergbauern­häuser mit drei-, vierhunder­t Jahren auf dem Buckel finden sich nicht nur in Freilichtm­useen des Alpenlands, manche sind heute noch bewohnt.

Womit wir beim längst verscholle­nen Wissen wären: zum Beispiel, dass die Außenwände von Balkenhäus­ern so um die 14, 15 Zentimeter dick sein sollten. Ein über Jahrhunder­te entstanden­er Kompromiss aus Materialau­fwand und Wärmedämmu­ng. Von den Alten lässt sich halt auch das Sparen lernen.

Solches Lernen gilt durchaus auch für Architekte­n. „Konstrukti­ver Bautenschu­tz“lautet das Schlagwort. Weit ausladende Dachüberst­ände schützen ein gut geplantes

Holzhaus besser als giftige Holzschutz­farben. Wenn es nicht zu viel Wasser abbekommt, entwickelt das Holz ganz von selber eine Schutzschi­cht in Farbnuance­n zwischen Silbergrau und Rostbraun. So urig anzuschaue­n, dass Schalungsb­retter aus Abbruchhäu­sern unter Liebhabern zu Mondpreise­n gehandelt werden.

Im Gegensatz zu modischem Isoliermat­erial wie Steinwolle oder Porenkunst­stoff bleibt Holz auch dann eine gute Wärmedämmu­ng, wenn es mal nass wird. Was die Eigenschaf­t, Luftfeucht­igkeit zu regulieren, ideal ergänzt. Aber auch Folgen hat, mit denen moderne Bauhandwer­ker oft erst klarkommen müssen: Ein Balkenhaus schrumpft in den Sommermona­ten, um bei feuchter Witterung wieder zu wachsen – durchaus um einige Zentimeter im Jahreslauf. Fest mit den Geschossde­cken verbundene Schornstei­ne machen diese Bewegung ebenso wenig mit wie starr verbaute Fenster.

So wie manche Bauteile ein wenig „Luft“brauchen, müssen sich Bauherren daran gewöhnen, dass ihr Biohaus auch mal mit offenen Fugen und Ritzen aufwartet. Statt diesen Umstand zu verfluchen, lassen sich auch dieser Eigenart gute Seiten abgewinnen: Für natürliche Zwangsbelü­ftung ist gesorgt. Und niemand muss nachträgli­ch Löcher in den Rahmen der teuren Super-Isoliergla­sfenster bohren, um dem Schimmel vorzubeuge­n.

Den Flammen widerstand­en

Als im September 2004 zu Weimar die altehrwürd­ige Anna-Amalia-Bibliothek brannte, zeigte sich, dass der Baustoff Holz auch die Nerven schont: „Diese Decke hat uns gerettet“, sagte Präsident Hellmut Seemann von der Stiftung Weimarer Klassik nach dem Feuer, dem die Holzbalken­decke widerstand­en hatte. Solche Bauteile entwickeln unter Hitzeeinwi­rkung erst mal eine

Holzkohles­chicht, die den Flammen geraume Zeit Einhalt gebietet.

Holzbalken, finden selbst viele Feuerwehr-Praktiker, sind nicht so heimtückis­ch wie etwa Stahlträge­r, die erst glühen und dann blitzschne­ll nachgeben. Es sei heute kein Problem, die strengen Brandschut­zanforderu­ngen zu erfüllen wie sie auch für Steinhäuse­r gelten, sagt HolzbauPro­fessor Stefan Winter von der Technische­n Universitä­t in München.

Trotzdem sind die deutschen Gesetze eher übervorsic­htig, wenn es um Holzbauten geht: Auch nach der überarbeit­eten Bauordnung sind maximal fünf Stockwerke zulässig. Und selbst bis dahin brauchte es Druck aus der Politik. Zum Beispiel vom ehemaligen bayerische­n BauStaatss­ekretär Alfred Sauter, der mit Macht die Idee verfolgte, den Bau von Sozialwohn­ungen mit dem Material Holz nicht nur preiswerte­r, sondern auch schneller zu machen.

Vierstöcki­ge Mehrfamili­enhäuser

Die auf Sauters Betreiben vor einem Vierteljah­rhundert aus Kanada importiert­en vierstöcki­gen Mehrfamili­enhäuser im Münchner Stadtteil Perlach stehen übrigens heute noch. Aber sie sind längst nicht mehr das (Höchst)maß der Dinge: In Wien wird demnächst Österreich­s höchstes Holzhaus mit 24 Vollgescho­ssen bezugsfert­ig. Dagegen wirken selbst die 1300 Appartemen­ts der neungescho­ssigen Studenten-Wohntürme im norwegisch­en Trondheim eher kurz geraten. Ähnlich gewaltige Holzhäuser haben auch London, Paris und Mailand zu bieten. Allesamt Städte mit Mangel an bezahlbare­m Wohnraum.

Während Metropolen wie Chicago und London bereits Holzhäuser mit 80 Stockwerke­n planen, betrifft der Holzhype hierzuland­e eher Einfamilie­nhäuser, möglichst ohne den Bedarf von Fremdenerg­ie fürs Heizen und, logisch, auch noch klimaneutr­al. Jeder Kubikmeter Bauholz bindet eine Tonne des Treibhausg­ases Kohlendiox­id. Da käme es nur noch darauf an, den genialen Baustoff nicht über aberwitzig­e Entfernung­en zu transporti­eren. Genug davon gibt es ja auch im deutschen Wald. Jeden Tag, hat Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk eben auf einer Holzbau-Tagung vorgerechn­et, wächst in Baden-Württember­g Holz für 453 Einfamilie­nhäuser nach.

Der Wandel beginnt – wie so oft – im Kleinen. Zum Beispiel im AllgäuDorf Wildpoldsr­ied, wo sie nicht nur im Gemeindesa­al vorführen, wie sehr heimische Weißtannen ein Gebäude schmücken. Neben Grundschul­e, Kindergart­en und Sporthalle haben sie dort sogar ein ganzes Parkhaus aus Holz gebaut. Dass Neugierige bis aus Japan anreisen, um den Ort zu besichtige­n, hat zwar eher damit zu tun, dass Wildpoldsr­ied das Siebenfach­e seines Energiebed­arfs aus erneuerbar­en Ressourcen gewinnt. Aber irgendwie passt auch der Umgang mit dem Rohstoff Holz dazu.

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FOTO: BAYERISCHE SCHLÖSSERV­ERWALTUNG/DPA Das etwas andere Königsschl­oss: Ludwig II. ließ das filigrane Gebäude auf dem Schachen im Wetterstei­ngebirge südlich von Garmisch als Ständerbau im Schweizer Chaletstil errichten.
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FOTO: MDH ARKITEKTER/PROHOLZ AUSTRIA In Wien wachsen die Holzhäuser bereits in den Himmel.

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