Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Kunst der Windmühle

Wie gewinnt man einen Dirigenten-Wettbewerb – In Köln hat sich der Nachwuchs beobachten lassen

- Von Jonas-Erik Schmidt

KÖLN (dpa) - Dirigenten sind so etwas wie die Kunstturne­r der Musik. Wenn die Maestros mit dem Taktstock am Pult stehen, umweht sie die Aura des Genies. Ganze Konzertsäl­e folgen ihren Bewegungen. Musikalisc­h Mittelbega­bte kratzen sich dennoch gelegentli­ch am Hinterkopf. Sind die ganzen Schwünge wirklich nötig? Und was unterschei­det einen guten von einem schlechten Dirigenten? Die Kunst des Dirigieren­s ist eine, die man erklären muss.

Thomas Guggeis gehört zu den guten Dirigenten seiner Generation, so viel lässt sich sagen. Deshalb erklärt sich einiges schon, wenn man ihn nur beobachtet. Mit Hemd und Taktstock steht er in der Kölner Philharmon­ie vor dem WDR Sinfonieor­chester, dessen Mitglieder dürften im Durchschni­tt deutlich älter sein als er. Guggeis, Jahrgang 1993, hält inne. „Die Zweiunddre­ißigstelno­te, jambada-jambada-jambada, die ist zu schnell“, sagt er in höflichem Ton. Er zerlegt das Stück in seine Einzelteil­e. Dann setzt er sie wieder zusammen. Und nun noch mal, bitte.

Nur zwölf Kandidaten

Der Jung-Dirigent ist einer der Kandidaten für den „Deutschen Dirigenten­preis“, um den in Köln jährlich mehrere Nachwuchs-Dirigenten kämpfen. In das Finale schafft er es am Ende leider nicht. Allerdings wurden überhaupt nur zwölf Kandidaten zugelassen, sie kommen aus Deutschlan­d, Armenien, China und anderen Ländern. Wer hier auftritt, hat in jedem Fall Talent. An die Bestplatzi­erten werden 35 000 Euro ausgeschüt­tet. Zudem winken Engagement­s und Assistenze­n bei namhaften deutschen Orchestern und Opernhäuse­rn. Einer der Initiatore­n ist der Deutsche Musikrat.

Der Wettbewerb wirft ein Schlaglich­t auf einen sehr speziellen Beruf. Er ist Kunst, na klar. Aber irgendwie muss es ja bewertungs­fähig sein, sonst könnte eine Jury keinen Sieger küren. Natürlich muss ein Dirigent eine Partitur kennen. Und sonst? Ist es die Technik?

Naja. „Es gibt überhaupt keine Technik beim Dirigieren“, sagt Lothar Zagrosek, Dirigent und JuryChef. Jedenfalls keine im engeren Sinne. Es gebe allerdings schon so etwas wie „Schlagarte­n“. Aber eigentlich sei der Begriff Technik dafür schon zu viel. „Jeder Pianist, jeder Geiger, jeder Sänger braucht wesentlich mehr Technik als ein Dirigent“, sagt er.

Viele Kriterien für einen guten Dirigenten lassen sich nicht wie mit der Gießkanne auf alle gleicherma­ßen anwenden. Sie sind weich. Thema Körperspra­che. „Das ist dann ein ganz individuel­ler Ausdruck, den jeder für sich selbst entwickeln und finden muss“, sagt Zagrosek. „Je nachdem, ob er klein oder groß, dick oder dünn ist. Oder mehr sportlich oder mehr introverti­ert.“

Mit den Augen führen

Das erklärt auch die Extreme. Während die eine Dirigenten-Fraktion wild gestikulie­rend ihre Anzüge durchschwi­tzt, übt sich die andere in Minimalism­us. Beides kann auf seine Art richtig sein. „Man erlebt es sehr oft, dass Dirigenten anfangen als Windmühle und sich dann aber mit höherem Alter immer mehr beruhigen“, berichtet Zagrosek. „Man lernt dann auch, nicht nur die Arme und die Hände einzusetze­n, sondern auch das Gesicht, die Augen. Das ist ganz wichtig, dass man das Orchester mit den Augen führt.“Als Beispiel führt er Richard Strauss an. Der sei in jungen Jahren ein „wilder Schläger“gewesen. Und später total reduziert.

Wilson Ng, Kandidat aus China, erklärt es so: Ein guter Dirigent sei jemand, der eine sehr gute Vorstellun­g vom Klang eines Stückes hat noch bevor er vor ein Orchester tritt. „Der Klang eines Orchesters kann ausdrücken, was ich fühle“, sagt er.

Woran es unter den Beteiligte­n des Dirigenten-Wettbewerb­es überhaupt keine Zweifel gibt: dass man einen Dirigenten braucht. „Es gibt Stücke, da kommt ein Orchester keine drei Takte weit ohne Dirigent“, sagt Jury-Chef Zagrosek.

Das Finalkonze­rt in der Kölner Philharmon­ie hat dann übrigens Hossein Pishkar, ein junger Iraner gewonnen.

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FOTO: DPA Dirigent Thomas Hengelbroc­k – hier vor der Elbphilhar­monie – war vor Jahren auch einmal Preisträge­r beim Dirigenten-Wettbewerb.

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