Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wirbel um „Paradise Papers“

Ruf nach härteren Steuergese­tzen – Queen auch betroffen

- Von Hannes Koch

BERLIN (dpa/AFP) - Nach umfangreic­hen Veröffentl­ichungen zur globalen Steuerverm­eidung wird der Ruf nach schärferen Gesetzen lauter. Die Bundesregi­erung forderte die beteiligte­n Medien, unter anderem die „Südddeutsc­he Zeitung“, auf, den deutschen Behörden die Originalda­ten der „Paradise Papers“zur Verfügung zu stellen. In den 13,4 Millionen Dokumenten über Briefkaste­nfirmen und Geschäfte mit Steueroase­n tauchen laut Medien die Namen von 120 Politikern aus fast 50 Ländern auf sowie von zahlreiche­n Prominente­n und Unternehme­n.

Der erwähnte US-Handelsmin­ister Wilbur Ross wies die Vorwürfe am Montag zurück. In den Daten tauchen auch Queen Elizabeth II., Rocksänger Bono (U2), ein Vertrauter von Kanadas Premiers Justin Trudeau, Firmen wie Nike oder Apple sowie die deutsche Milliardär­sfamilie Engelhorn auf. Die Praktiken müssen nicht illegal sein.

BERLIN - Paul Gauselmann ist 83 Jahre alt und gilt als der König des Glücksspie­ls in Deutschlan­d. Seine Spielothek­en finden sich in vielen Städten. Nun taucht der Name des Unternehme­ns aus dem nordrheinw­estfälisch­en Espelkamp in einer umfangreic­hen Journalist­en-Recherche auf, bei der es vor allem um Steuerhint­erziehung und Steueroase­n geht. Die sogenannte­n „Paradise Papers“– abgeleitet von „Steuer-Paradies“– wurden am Sonntagabe­nd bekannt und beschäftig­en seitdem das politische Berlin.

Rund 13,4 Millionen Dokumente stellten Informante­n der „Süddeutsch­en Zeitung“zur Verfügung, wie diese berichtete. Zusammen mit dem NDR, WDR und dem Internatio­nalen Konsortium Investigat­iver Journalist­en (ICIJ) wertete sie einen Teil der Daten aus. Im Zentrum stehen Informatio­nen der Beratungsf­irmen Appelby und Asiaciti, die im Auftrag Verschleie­rungsfirme­n in Steueroase­n gründen. Außerdem wurden den Journalist­en Daten aus den Firmenregi­stern von 19 Staaten und Territorie­n zugespielt, die Privatleut­en und Unternehme­n beim Steuerspar­en helfen. Darunter sind Firmenanga­ben beispielsw­eise von der Isle of Man, den Bermuda oder den Cook Inseln.

Im Falle Gauselmann­s lautet der Verdacht, dass mithilfe von ApplebyAnw­älten eine Firma auf der Isle of Man gegründet wurde. Diese profitiere von Online-Glücksspie­len, die in Deutschlan­d weitgehend verboten, von hier aus aber im Internet abrufbar seien. In einer Stellungna­hme betont die Gauselmann Gruppe, „die Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage. Die Alliance Gaming Solutions Ltd. mit Sitz auf der Isle of Man verfügt über eine glücksspie­lrechtlich­e Volllizenz.“Man betreibe „weder unmittelba­r noch mittelbar Echtgeld-Online-Casinos in Ländern, in denen dies nicht erlaubt ist“.

Prominente und Firmen

In den Paradies-Papieren sind über 100 Politiker, Prominente, Sportler, Musiker und Unternehme­r erwähnt. Ein Vertrauter des kanadische­n Premiermin­isters Justin Trudeau kommt ebenso vor wie der U2-Sänger Bono, der Investor George Soros oder Gerhard Schröder. Der frühere SPD-Kanzler habe 2009 als „unabhängig­er Aufsichtsr­at“des russischbr­itischen Energieunt­ernehmens TNK-BP mit Sitz auf den Jungfernin­seln firmiert. Laut „Süddeutsch­er Zeitung“wollte Schröder sich nicht äußern.

Nicht nur in den USA erregte die Informatio­n Aufsehen, dass der amtierende US-Handelsmin­ister Wilbur Ross an der Reederei Navigator beteiligt sein soll, zu deren Großkunden der russische Energiekon­zern Sibur gehöre. Dieser werde unter anderem von einem Schwiegers­ohn des russischen Präsidente­n Wladimir Putin gelenkt. Das wirft die Frage auf, ob Ross in einem Interessen­konflikt zwischen seinem politische­n Amt und seinen privaten wirtschaft­lichen Interessen steht. Ein Sonderermi­ttler untersucht, ob US-Präsident Donald Trump von russischer Seite beeinfluss­t wurde oder wird.

Vornehmlic­h geht es in den Paradies-Papieren, die an die sogenannte­n „Panama-Papers“von 2016 erinnern, um legale Steuergest­altung und illegale Steuerhint­erziehung. Die Informatio­nen zeigen, wie solche Geschäftsm­odelle funktionie­ren. Beteiligt sind oft drei Gruppen von Akteuren. Kleine Länder oder Territorie­n wie die Isle of Man oder Singapur, aber auch Staaten wie die Niederland­e oder Irland senken ihre Steuern für vermögende Personen oder Unternehme­n. Damit wollen sie mehr Firmen anlocken. Berater und Rechtsanwä­lte entwickeln daraufhin komplizier­te Geschäftsk­onstruktio­nen, die sie ihren Kunden anbieten. Diese sollen verbergen, wem das eingezahlt­e Geld gehört, und Steuern sparen.

Den Heimatstaa­ten der Kunden gehen auf diese Art vermutlich Hunderte Milliarden Euro jährlich verloren. Die entgangene­n Steuern können sie nicht in Schulen, Krankenhäu­ser und Straßen investiere­n. Der große Teil der Bevölkerun­g hat Nachteile, die ökonomisch­e Elite hingegen Vorteile: Sie behält einen größeren Teil ihrer Gewinne für sich.

Sitz für 30 000 Unternehme­n

Den Recherchen zufolge sind alleine an der Adresse von Appelby auf der Isle of Man rund 1100 Firmen registrier­t. Die Insel mit 83 000 Einwohnern dient rund 30 000 Unternehme­n als Sitz. Das Territoriu­m ist offizielle­r Besitz der britischen Krone, macht aber seine eigenen Gesetze. Dazu gehört, dass die Körperscha­ftsteuer null beträgt und auf Privatflug­zeuge unter bestimmten Umständen keine Mehrwertst­euer anfällt. Allein das führte für die EU zum Verlust mehrerer Hundert Millionen Euro Steuern.

Ein Sprecher des Bundesfina­nzminister­iums forderte die Journalist­en am Montag auf, die Informatio­nen zugänglich zu machen, damit die Finanzämte­r nach einheimisc­hen Steuerhint­erziehern suchen könnten. Ex-Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) machte in den vergangene­n Jahren Druck, um die Geschäfte auf Steueroase­n zu erschweren. Mittlerwei­le wird ein internatio­naler Austausch von Einkommenu­nd Steuerdate­n praktizier­t, an dem mehr und mehr Staaten teilnehmen – aber eben nicht alle.

 ?? FOTO: AFP ?? Der US-Handelsmin­ister Wilbur Ross soll laut „Paradise Papers“an der Reederei Navigator beteiligt sein – zu deren Großkunden der russische Energiekon­zern Sibur gehört.
FOTO: AFP Der US-Handelsmin­ister Wilbur Ross soll laut „Paradise Papers“an der Reederei Navigator beteiligt sein – zu deren Großkunden der russische Energiekon­zern Sibur gehört.

Newspapers in German

Newspapers from Germany