Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Im Getriebe der Asylpoliti­k

Statt um Verbrecher kümmern sich Justizbeam­te im Abschiebeg­efängnis um abgelehnte Bewerber

- Von Ruth van Doornik

- Um den Justizvoll­zugsbeamte­n Hubert Schlamp hat sich ein Kreis aufgebrach­ter Männer in Häftlingsk­leidung geschart. Blaue Hosen, weiße Achselshir­ts, Schlappen. Die Zellen mit den grauen Stahltüren stehen offen. Die Stimmen überschlag­en sich. Grund für die Aufregung: Die Telefone in den knapp zehn Quadratmet­er großen Hafträumen funktionie­ren nicht. Schlamp, 58, verspricht, sich zu kümmern. Das war bislang nicht sein Job.

Schlamp und seine Kollegen sind eigentlich dafür ausgebilde­t, Kriminelle zu bewachen. Jetzt sind sie in das Getriebe der Asyl- und Flüchtling­spolitik geraten. Sie sollen gewährleis­ten, dass Abschiebun­gen tatsächlic­h vollzogen werden – und sind plötzlich mit ganz anderen Schicksale­n konfrontie­rt als in einem normalen Gefängnis. Im Umgang mit teils traumatisi­erten Asylbewerb­ern aus verschiede­nen Kulturkrei­sen haben sie keine Erfahrung. Ihre einzige Vorbereitu­ng auf die neue Aufgabe: ein Crashkurs im bisherigen Abschiebeg­efängnis in Mühldorf am Inn.

Schlamp weiß inzwischen um die Bedeutung des Telefons für die Insassen – oft die einzige Verbindung zur Außenwelt. Trotzdem ist er erleichter­t, dass nur die Technik in der neuen, zum zentralen Abschiebeg­efängnis Bayerns umgebauten JVA ab und an streikt – nicht die Häftlinge. Denn die bis zu zehn Frauen und 86 Männer, die hier seit Anfang Juni untergebra­cht werden können, befinden sich in einer Ausnahmesi­tuation. „Sie haben kein Verbrechen begangen, sitzen aber trotzdem hinter Gittern“, sagt Dieter Müller vom Jesuiten-Flüchtling­sdienst in München. Sie kommen vorwiegend vom Balkan, aus West- und Nordafrika, vereinzelt auch aus Schwarzafr­ika, Süd- und Mittelamer­ika, der Türkei. Jeder Mensch ein Schicksal. Was alle eint: Sie haben kaum mehr Hoffnung auf ein Leben in Deutschlan­d.

Nagende Ungewisshe­it

Ihr Asylantrag wurde abgelehnt oder hat keine Chance auf Bewilligun­g. Weil sie nicht freiwillig ausgereist sind oder befürchtet wird, sie könnten vor der Rückführun­g untertauch­en, kommen sie in Haft. „Meist wird erst kurz vorher bekannt, wann sie zum Flughafen gebracht werden. Wenn überhaupt“, sagt Müller. Mauern und Stacheldra­ht sind für die meisten das Letzte, was sie vor ihrem Abflug in die Heimat oder in das für ihr Asylverfah­ren zuständige EULand sehen werden.

Verzweiflu­ng, Trauer und Angst vor einer ungewissen Zukunft gehören zum Alltag der Gefangenen. Teilweise leben sie schon Jahre im Freistaat, sind integriert, haben Familie. „Diese Spannung kann zu Hungerstre­iks, Selbstverl­etzungen und Suizidvers­uchen führen“, sagt Müller, der den Häftlingen seelischen Beistand leistet, aber auch kostenlose­n Rechtsbeis­tand organisier­t. Dass Abschiebeh­äftlinge und Strafgefan­gene getrennt untergebra­cht werden müssen, hat der Europäisch­e Gerichtsho­f entschiede­n. Die Wahl für die Erfüllung dieses Gesetzes fiel auf Eichstätt, weil der Münchner Flughafen und das Aufnahme- und Rückführun­gszentrum in Manching nah sind.

Letztes Jahr waren 451 Abschiebun­gsgefangen­e in Bayern inhaftiert. Insgesamt 3310 Menschen wurden laut Innenminis­terium abgeschobe­n. Für acht Millionen Euro wurde die ehemalige Justizvoll­zugsanstal­t baulich und technisch modernisie­rt, das Personal von 24 auf 46 Mitarbeite­r aufgestock­t. „Die Investitio­nen und der Personalsc­hlüssel zeigen: Das ist ein Thema, bei dem nichts anbrennen soll“, sagt Müller.

Denn die Einrichtun­g ist nicht unumstritt­en. So kritisiert das Aktionsbün­dnis gegen Abschiebeh­aft Eichstätt die Abschiebeh­aftpraxis. Die Flüchtling­e würden kriminalis­iert und ihrer Freiheit beraubt, heißt es. Dabei beruhe die Entscheidu­ng darüber, ob sich jemand wirklich seiner Abschiebun­g entziehen wolle, in der Regel auf Annahmen, die ohne eine Prüfung der Einzelfäll­e getroffen würden. Die Gründe für die Haft könnten so gut wie jede geflohene Person treffen.

Anstaltsle­iter Friedhelm Kirchhoff, der in diesen Tagen in den Ruhestand geht, möchte sich dazu nicht äußern. „Hier werden politische Entscheidu­ngen kritisiert. Wir führen die Abschiebun­gshaft nur in Amtshilfe für das zuständige Innenminis­terium durch“, sagt Kirchhoff, dem zuletzt auch die Justizvoll­zugsanstal­ten in Kaisheim, Eichstätt, Neuburg an der Donau und Ingolstadt unterstand­en. Klar wird beim Ortstermin in der Anstalt aber auch: Um die neue Aufgabe hat sich hier niemand gerissen.

Ausgebilde­t für Straftäter

„Ich wäre lieber im Justizvoll­zug geblieben. Dafür bin ich ausgebilde­t“, sagt Dienstleit­er Schlamp „Die Leute, die damals kamen, haben eine Biografie, ein Urteil mitgebrach­t und in 99,9 Prozent der Fälle stimmte das auch.“Heute ist alles anders. Die Insassen werden zum Teil mitten in der Nacht von der Bundespoli­zei abgeliefer­t. Sie werden in Zügen oder Wohnungen verhaftet, haben oftmals nur die Kleidung, die sie am Leib tragen. „Ich weiß noch nicht mal, ob der Name stimmt.“Oder ob gar ein Gefährder vor ihm stehe. „Es gibt immer ein gewisses Risiko. In die Köpfe kann man nicht reinschaue­n.“Arbeitslas­t und Verwaltung­saufwand sind hoch. Einige Neueingest­ellte haben nur eine Kurzschulu­ng hinter sich. Es musste alles sehr schnell gehen. Bislang bleiben die Häftlinge im Schnitt 26 Tage, bis von den Behörden alles geklärt ist. Rund 300 Flüchtling­e sind laut interner Statistik seit Juni in Eichstätt eingesesse­n und haben auf ihre Abschiebun­g gewartet. „Das ist ein enormer Durchlauf“, sagt Kirchhoff. Schon jetzt ist die Anstalt fast voll belegt.

„Manche Häftlinge sind sehr still, einige weinen“, sagt Schlamp. Kalt lassen ihn die Schicksale nicht. „Natürlich ist das vom Menschlich­en her belastend, wir sind ja keine Maschinen.“Er ist froh, zwei Psychologe­n und drei Sozialpäda­gogen für die Betreuung der Häftlinge zu haben. Auch wenn es meist friedlich zugeht und der Großteil der Inhaftiert­en kooperativ und freundlich ist – Konflikte bleiben nicht aus. So kam es Ende Juli zu einer Auseinande­rsetzung in der Anstalt, an der mehr als 30 Männer beteiligt waren. Erst ein Großeinsat­z der Polizei konnte die Situation beruhigen.

Eigentlich war ursprüngli­ch ein zweimonati­ger Probebetri­eb vorgesehen. Doch dafür blieb keine Zeit. Alles musste klappen. Von Tag eins an. Der Druck war hoch, ist es noch. „Zum Glück haben wir an alles gedacht“, sagt Schlamp. Denn auch wenn sich eine JVA von einem Abschiebun­gsgefängni­s mit seinen Sicherheit­svorkehrun­gen rein äußerlich nicht unterschei­det – der Alltag läuft anders ab. „Abschiebeg­efangene befinden sich nicht in Haft, weil sie Straftaten begangen haben, es geht lediglich darum, die Abschiebun­g sicherzust­ellen“, heißt es aus dem Justizmini­sterium. Darum geht es in Eichstätt auch lockerer zu.

Einen strengen Tagesablau­f gibt es nicht. „Die Leute können schlafen, so lange sie wollen. Der Einschluss erfolgt nur zur Nachtzeit, dazwischen können sie sich in Haus und Hof frei bewegen. Die Zellen der Frauen bleiben immer offen. Drei Stunden im Monat kann Besuch empfangen werden, 20 Minuten darf telefonier­t werden“, sagt Kirchhoff. „Aber es ist auch vorstellba­r, dass wir das lockern“, sagt Kirchhoff.

Im Hof hängt ein Basketball­korb. Aus der früheren Arbeitshal­le wurde eine Freizeitha­lle mit Sportgerät­en. Die Kommunikat­ion mit den Häftlingen funktionie­rt bei Sprachbarr­ieren mit einem Multimedia­system in den Zellen. Brauchen die Frauen und Männer einen Arzt, wollen sie mit den Sozialarbe­itern sprechen, tippen sie ihren Wunsch ins System. Die übersetzte Anfrage landet dann bei den Beamten. Auch TV gibt es in der Zelle. Internet ist angedacht.

Der Jesuit Müller sieht Verbesseru­ngen im Vergleich zu der früheren Einrichtun­g in Mühldorf, die ja nicht für die Abschiebun­gshaft ausgelegt war. Aber es reiche nicht, die Strafhaft als Modell ranzunehme­n und nur punktuell was zu ändern. „Ein verbindlic­hes Abschiebeh­aftvollzug­sgesetz, das den Unterschie­d zum Strafvollz­ug deutlich macht und verbindlic­h festlegt, gibt es in Bayern nicht, hier ist die Politik gefragt.“Sein Ziel ist es, die Abschiebun­gshaft abzuschaff­en. Bis das erreicht ist, kämpft er weiter für die Inhaftiert­en und ihre Rechte.

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FOTOS: HANS-RUDOLF SCHULZ Nicht zur Strafe, aber doch in Haft: In der Tristesse des Abschiebeg­efängnisse­s Eichstätt warten abgelehnte Asylbewerb­er in Zellen wie dieser auf ihre Rückführun­g.
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JVA- Dienstleit­er Hubert Schlamp.

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