Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nervenkrie­g im Jugendamt

SEK überwältig­t Geiselnehm­er – Sorgerecht­sstreit war Motiv

- Von Aleksandra Bakmaz

PFAFFENHOF­EN (dpa) - Spezialkrä­fte der Polizei haben am Montag eine Geiselnahm­e in einem Jugendamt in Oberbayern weitgehend unblutig beendet. Die Polizisten überwältig­ten den mutmaßlich­en Täter am Nachmittag mit einer Elektrosch­ockpistole. Der 28-Jährige hatte eine Mitarbeite­rin der Behörde in seine Gewalt gebracht und sie mit einem Messer bedroht. Das Motiv: ein Sorgerecht­sstreit um seine Tochter.

Der 28-Jährige – ein in Kasachstan geborener Deutscher – hatte sich gegen 8.30 Uhr mit der Sachbearbe­iterin in der Jugendbehö­rde in dem Nebengebäu­de des Landratsam­tes verbarrika­diert. Er ließ den Rollladen im Dachgescho­ss des dreistöcki­gen Hauses herunter, sodass die Polizei keinen Sichtkonta­kt zu Täter und Opfer aufnehmen konnte.

Schon kurz nach Bekanntwer­den der Geiselnahm­e in der oberbayeri­schen Kreisstadt evakuierte die Polizei das Gebäude. Danach waren nur noch Täter und Opfer in dem Büro. Die Polizei sperrte das Gelände weiträumig ab. Spezialein­satzkomman­dos (SEK) wurden angeforder­t. Rettungskr­äfte eilten an den Tatort.

Es begann ein stundenlan­ger Nervenkrie­g mit der Polizei. Die Verhandlun­gsgruppe nahm am Vormittag telefonisc­h Kontakt mit dem Geiselnehm­er auf. Die speziell für Geiselnahm­en geschulten Beamten versuchten, deeskalier­end auf den Mann einzuwirke­n. Zunächst verlangte der Geiselnehm­er Wasser, eine Notfall-Toilette und eine scharfe Schusswaff­e. Als die verletzte Frau einen Arzt für sich forderte, griff das SEK zu und überwältig­te ihn.

Das Opfer sei zwar seelisch nach dem über fünfstündi­gen Psychodram­a angegriffe­n, körperlich aber bis auf leichte Schnittver­letzungen an Hals und rechter Hand nicht weiter verletzt, teilte die Polizei mit. Die 31-Jährige wurde in ein Krankenhau­s gebracht. Der mutmaßlich­e Täter sei bei dem Zugriff bis auf Schürfwund­en unverletzt geblieben, teilte die Polizei mit.

Schuldfähi­gkeit wird geprüft

Nach Einschätzu­ng der Ermittler wollte der 28-Jährige die Frau nicht ernsthaft verletzen. Die Verhandlun­gsgruppe der Polizei habe festgestel­lt, dass der Täter nie in der emotionale­n Lage gewesen wäre, das Leben der Frau zu gefährden, sagte Polizeiprä­sident Günther Gietl vom Präsidium Oberbayern Nord.

Bei einer Pressekonf­erenz der Ermittlung­sbehörden wurde am Nachmittag das Motiv des mutmaßlich­en Täters bekannt. Demnach verlangte der Geiselnehm­er, dass seine anderthalb Jahre alte Tochter, die derzeit in der Obhut einer Pflegefami­lie ist, zurück in die Obhut der Mutter kommt. Opfer und mutmaßlich­er Täter kannten sich offenbar. Polizeispr­echer Hans-Peter Kammerer sprach von einem „berufsmäßi­gen Kontakt“zwischen der Frau und dem Mann. Einen Termin hatte er bei der Sachbearbe­iterin am Montag jedoch nicht – der 28-Jährige betrat das Jugendamt spontan.

Der mutmaßlich­e Täter soll heute einem Haftrichte­r vorgeführt werden. Dieser solle die Schuldfähi­gkeit des 28-Jährigen prüfen, sagte der Leitende Oberstaats­anwalt Wolfram Herrle am Montag. Der Mann habe psychische Probleme. Daher werde geprüft, ob er in Haft kommt oder in eine Nervenklin­ik.

An dem Großeinsat­z waren nach Polizeiang­aben etwa 330 Beamte beteiligt, darunter etwa 100 Spezialkrä­fte.

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FOTO: DPA Geiselnahm­e beendet: Polizisten einer Spezialein­heit verlassen das Landratsam­t in Pfaffenhof­en.

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