Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Hauslandschaften als Meisterwerke
Ausstellung im Rathaus Biberach zeigt Beispiele organischen Bauens von Chen Kuen Lee
BIBERACH - Der aus Taiwan stammende Chen Kuen Lee (1915-2003) hatte in den 1930- und 40er-Jahren in Berlin enge berufliche Beziehungen zu seinen großen Fachkollegen Hugo Häring und Hans Scharoun. Eine Ausstellung zeigt im Biberacher Rathausfoyer Beispiele organischen Bauens des Architekten.
Lee hatte bereits in Deutschland studiert, verbrachte den größten Teil seiner Lebens- und Arbeitszeit auch hier. 1980 hatte er einen Lehrauftrag an der Universität in Taiwan. Er kehrte aber 1996 nach Deutschland zurück, wo er 2003 in einer kleinen Wohnung eines der von ihm gebauten Hochhäuser im Berliner „Märkischen Viertel“völlig verarmt starb.
Lee war ein Wohnungsbauer. Im Rathausfoyer hängen einige wunderschöne Beispiele in Bild und mit Plänen, die seine architektonischen Spezifitäten herausheben. Die gezeigten Häuser stehen vielfach in Hanglage, entwickeln sich organisch aus der Landschaft heraus, die der Architekt in Optik und Funktion in sein Bauen einbezieht. Neben einzeln stehenden kleinen Appartement-Häusern und auch repräsentativen Land-Villen baute er auch große Mietshäuser in Berlin, so im Märkischen Viertel. Mehrfach wird man beim Betrachten der Bilder an das absolute Meisterwerk dieses Architekturgenres erinnert, an Frank Lloyd Wrights vor 80 Jahren erbautes Haus „Falling Water“in den Alleghany Mountains südöstlich von Pittsburgh: Architektur in höchster Vollendung.
In seiner Begrüßung nannte der Biberacher Baubürgermeister Christian Kuhlmann seinen Vorgänger Julius Ogertschnig, Vorsitzender der Hugo-Häring-Gesellschft, den Motor für das Zustandekommen der Ausstellung. Kuhlmann erzählte, wie er vor zehn Jahren in Japan erstmalig diese organische Architektur mit der Verknüpfung von außen liegenden Hofräumen und dem inneren Wohnabschnitten kennenlernte: „Und diesen Baustil sehen wir auch bei Lee.“Und weiter: „Sehen Sie sich im Gegensatz dazu die heutigen zugerammelten Kisten ohne Freiraum an.“Julius Ogertschnig erinnerte in diesem Zusammenhang auch an das Symposium 1982 zum 100. Geburtstag von Hugo Häring, das der anwesende damalige Oberbürgermeister Claus-Wilhelm Hoffmann protegiert und der eine Zusammenfassung davon herausgegeben hatte. Die von Ogertschnig geleitete Hugo-HäringGesellschaft plant 2018 in Biberach eine Scharoun-Ausstellung. Der als Honorarprofessor an der Technischen Universität lehrende Stadtund Landschaftsplaner Michael Koch erläuterte, dass Biberach bereits die vierte Station sei, auf der die Chen-Kuen-Lee-Ausstellung gezeigt werde. Er selbst hatte als Assistent und freier Mitarbeiter bei diesem in Berlin gearbeitet. Er erzählte von der Zusammenarbeit mit Häring und Scharoun.
Funktion vor Form
Chen Kuen Lee, so Koch, hat „lediglich“63 Häuser gebaut; 20 werden in Biberach vorgestellt. Sein Thema war nahezu ausschließlich „Wohnen“. Koch: „Die Form hat sich der Funktion zu unterwerfen.“Nicht „geometrisches“Bauen, das mit den Pyramiden begann, ist bei Lee gefragt. Er baute auch keinen „chinesischen“ Stil mit neckischen Pagoden. Wohnen, Essen, Begegnung, Austausch stand bei ihm immer im funktionalen Vordergrund. Koch nannte als Stichwort „multiperspektivisch“, Lee sprach von der „vierten Dimension.“Er verwirklichte chinesische Bauphilosophie mit Wasserflächen, mit Lichtreflexionen. Der Architekt hat exponierte Dachlandschaften entworfen. In dem Zusammenhang sprach Michael Koch über die wichtige Funktion der Statiker bei der Errichtung von Bauten, nannte explizit den mit Lee freundschaftlich verbundenen Christian Sättele.