Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Energiewende schuld am Insektensterben?
Zum Artikel „Rätselraten ums Insektensterben“(3.11.):
Wie immer gibt es keine einfachen pauschalen Erklärungen für solch ein komplexes Phänomen wie das in den letzten Wochen öffentlich diskutierte Insektensterben. Kein Zweifel besteht, dass die vielfältigen vom Menschen verursachten Umweltveränderungen der Grund dafür sind. Diese Veränderungen haben in den letzten Jahrzehnten in einem nie dagewesenen Ausmaß in vielen Bereichen zugenommen, nicht nur in der Landwirtschaft, die als Ursache in den Fokus gerückt ist. Es ist legitim und wichtig, alle möglichen Ursachen unter die Lupe zu nehmen. Jetzt aber wieder einmal den Wasserkraftwerken den Schwarzen Peter zuzuschieben, erscheint mir entweder naiv oder von gewissen Interessenverbänden gesteuert. Und dies aus meines Erachtens wei gewichtigen Gründen:
1. Die meisten der in Deutschland bestehenden Wasserkraftwerke existieren seit mehr als 100 Jahren, und Wasserkraft zum Betreiben von Mühlen wird seit mindestens 1000 Jahren genutzt. Das Insektensterben und die Verarmung der Fischfauna begannen vor ungefähr 30 Jahren – wo soll hier ein Zusammenhang bestehen?
2. Ein noch wichtigeres Gegenargument ist die Tatsache, dass aus Deutschland bis heute etwa 35 000 Insektenarten bekannt sind, aber nur knapp 2000 Arten mit im Wasser lebenden Stadien (meist das Larvenstadium). Davon lebt höchstens die Hälfte in fließenden Gewässern. Selbst wenn viele dieser verbleibenden 1000 Arten verschwunden wären, käme niemand auf die Idee, bei diesem verschwindend geringen Prozentsatz von einem allgemeinen Insektensterben zu reden. Dieses Phänomen betrifft also in erster Linie die landlebenden Arten, die keine aquatischen Stadien besitzen.
Bei einer Diskussion dieses Themas in einer Tageszeitung hätte ich mir ein bisschen mehr kritische Recherche gewünscht, bevor völlig unhaltbare Schuldzuweisungen erhoben werden. Und eine von manchen Interessenverbänden gesteuerte vordergründige Kampagne zur „Druckentlastung“nützt niemandem, auch nicht den Landwirten, die von den negativen Auswirkungen des Insektensterbens und anderer menschengemachter Umweltveränderungen genauso betroffen sein werden wie die übrigen 98 Prozent der deutschen Bevölkerung. Helmut Schmalfuss, Altheim