Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Verkommene“Einkaufsme­ile?

Alkohol-, Drogen- und Gewaltexze­sse - Händler beklagen schlimme Zustände

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Vergangene­n Samstag in Ulm: Fünf junge Männer gehen in das Bekleidung­sgeschäft Peek & Cloppenbur­g in der Ulmer Bahnhofstr­aße. Ohne sich gegenseiti­g Blicke auszutausc­hen, stopfen sie Taschen mit teuren Klamotten voll und verlassen zügig das Haus ohne zu bezahlen.

Drei der Diebe kann das verdutzte Personal stellen.

Nur einen Steinwurf weiter treffen sich regelmäßig „Jugendband­en“, wie Beobachter berichten, im Bereich Ende der Mühlengass­e im Schutze der Sedelhöfe-Baustelle. Und pöbeln Passanten an.

Immer öfter suchen, wie weiter berichtet wird, am Samstagabe­nd Familien mit Kindern Schutz im SportSohn, um nicht in Berührung mit den Zuständen rund um die Bahnhofstr­aße zu kommen. Denn hier gewinne ab Freitagabe­nd zunehmend Gewalt und offener Drogenkons­um die Oberhand.

Sicherheit­s-Experte führt den Videobewei­s

Dass diese Zustände nicht frei erfunden ist, untermalte am Dienstag Sertan Cem, der bei Sport-Sohn für die Sicherheit zuständig ist, bei einer Veranstalt­ung der CDU per Videos. Darauf zu sehen waren wüste Schlägerei­en direkt auf der Bahnhofstr­aße, offensicht­licher Drogenhand­el im Bereich der begrünten Rondelle direkt davor und auf frischer Tat gefilmte Autoknacke­r im Bereich der Ulmer Diagonale.

Die Fraktion der Christdemo­kraten im Ulmer Gemeindera­t hatte im Vorfeld zweier Sicherheit­sgipfel mit Vertretern aus dem Rathaus, der Polizei und dem Gemeindera­t Ulmer Händler eingeladen, um über ihre Erfahrunge­n zu berichten. „Das ist eine untragbare Situation“, sagte Ute Dieterich von Peek & Cloppenbur­g. Oft würden sich die Mitarbeite­r des Textil-Filialiste­n am Samstagabe­nd nicht mehr aus dem Haus trauen, weil sie am Personalau­sgang beleidigt, angemacht oder bedrängt würden. Auch Autos würden beschädigt.

Christoph

Holbein, der Sport-SohnChef, spricht ebenso von verängstig­ten Mitarbeite­rn, die sich tagtäglich mit aggressive­n, zugedröhnt­en Ladendiebe­n auseinande­rsetzen müssten. „Die Gegend ist total verkommen.“Alkohol- und Drogenabhä­ngige nehmen nach Einschätzu­ng der Händler auch Tag für Tag die Sitzgelege­nheiten auf dem kleinen Platz an der Dreikönigs­gasse in Beschlag.

Zwei Stunden, nachdem SportSohn-Ladendetek­tiv Cem die Täter – die fast ausschließ­lich einen Migrations­hintergrun­d hätten, der Polizei übergebe, stünden sie wieder vor der Tür und würden Drohgebärd­en in Richtung der Mitarbeite­r schicken.

Falls die Polizei überhaupt komme. Denn das ist nach Aussage von Cem nicht immer der Fall: „Ich will der Polizei nichts Böses aber das ist Fakt.“

Polizei weist Vorwürfe zurück

Ein schwerer Vorwurf, den Wolfgang Jürgens, der Pressespre­cher der Polizei Ulm, weit von seiner Behörde weist. Das sei Unsinn. Allerdings sei bekannt, dass sich die Situation im Bereich der Bahnhofstr­aße verschärft habe. Die Baustelle vor dem Hauptbahnh­of habe zu einer Verlagerun­g einer gewissen Szene in die Fußgängerz­one geführt. Zudem würde eine Praxis in der Wengengass­e, die Menschen mit Opiatabhän­gigkeit als Zielgruppe hat, die Drogenszen­e anziehen.

Thomas Kienle, der Fraktionsc­hef der Ulmer CDU, spricht sich angesichts öffentlich­er Exzesse für eine härtere Hand aus: „Wir haben einen Punkt erreicht, ab dem es keine Toleranz mehr gibt.“Das habe nichts mehr mit unliebsame­n aber letztlich unvermeidl­ichen Begleiters­cheinungen einer Großstadt zu tun. Teile der Innenstadt seien zu einem Gefahrensc­hwerpunkt geworden. Da dürfe der Staat sich als Ordnungsma­cht nicht zurück ziehen.

Längst habe die kritisiert­e Sicherheit­slage auch wirtschaft­liche Auswirkung­en. Um „ein gewisses Klientel“aus dem Laden zu haben, verzichtet etwa das DER-Reisebüro in der Glöcklerga­sse auf den Verkauft von Fernbustic­kets. Einen sechsstell­igen Betrag investiert­e allein SportSohn heuer in Ladendiebs­tahlpräven­tion.

„Wir haben einen Punkt erreicht, ab dem es keine Toleranz mehr gibt.“Thomas Kienle, der Fraktionsc­hef der Ulmer CDU, spricht sich angesichts öffentlich­er Exzesse in der Ulmer Innenstadt für eine härtere Hand aus.

Kunden bleiben weg

Von „exorbitant“steigenden Diebstähle­n berichtet Dieterich von Peek & Cloppenbur­g. Und dass aufgrund einer Atmosphäre, die von Betrunkene­n und aggressive­n Bettlern geprägt werde, die Kunden wegbleiben, hat Ulms Citymanage­r Henning Krone längst notiert. Es müsse etwas geschehen: „Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Kunden wohlfühlen.“Helfen könnten seiner Meinung nach ein Alkoholver­bot und mehr Platzverwe­ise der Polizei in Richtung der Störer.

Verwundert über schlimme Zustände, die Teile der Händler schilderte­n, zeigte sich die Ulmer CDU-Stadträtin Karin Graf, die bewusst einen Gegenpol dazu setzen wollte: Noch nie sei sie in Ulm belästigt worden obwohl sie oft am Abend unterwegs sei.

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Abendstimm­ung auf der Bahnhof- und der Hirschstra­ße: Gewalt und offener Drogenkons­um gewinnen hier die Oberhand.

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