Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Über die Jahrhunder­tfälschung

Auf Einladung der SZ referiert Günter Randecker über die „Laichinger Hungerchro­nik“

- Von Hansjörg Steidle

LAICHINGEN - Auf Einladung der „Schwäbisch­en Zeitung“hält Günter Randecker einen Vortrag zum Thema „Die Laichinger Hungerchro­nik – eine Jahrhunder­tfälschung“. Zu Gast ist der frühere Archivar der Stadt Münsingen am Donnerstag, 16. November, um 19 Uhr im Hotel Krehl in Laichingen. „Die Laichinger Hungerchro­nik“wurde in den Jahren 1916/17, also vor einem Jahrhunder­t, verfasst. Sie nimmt Bezug auf die schlimmen Hungerjahr­e auf der Alb in den Jahren 1816/17, die vor zwei Jahrhunder­ten viel Leid und Elend über das Land brachten.

Detaillier­t wird an dem Vortragsab­end Günter Randecker aus Dettingen/Erms aufzeigen, wie es ihm vor 30 Jahren gelungen ist, der Fälschung der Hungerchro­nik auf die Schliche zu kommen. Ferner erläutert er, welche Wirkungsge­schichte von dieser speziellen Fälschung ausgegange­n ist, die gezielt in der Zeit der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft unter das Volk gebracht wurde. Christian August Schnerring publiziert­e die Fälschung in den Jahren zwischen 1913 und 1917 mehrfach in volks- und landeskund­lichen Zeitschrif­ten.

Günter Randecker, Diplom-Volkswirt, Autor des Gedenkbuch­es „Juden und ihre Heimat Buttenhaus­en“, hat 1987 diese angeblich authentisc­he Quelle erstmals richtig auf Herz und Nieren geprüft und kam zu dem aufsehener­regenden Resultat: „Die Laichinger Hungerchro­nik“ist seiner Ansicht nach eine plumpe antisemiti­sche Fälschung aus der Zeit um 1917. Er spricht deshalb von einer Jahrhunder­tfälschung. Sie stammt aus der Feder von Christian August Schnerring (1870-1951), der damals Lehrer in Kirchheim/Teck war.

Fälscher stammt aus Laichingen

Schnerring stammte aus einem Laichinger Webmeister­haus, oben an der Straße nach Blaubeuren, so hieß es in einem Nachruf. Nach Stationen als Lehrer in Crailsheim, Kirchheim (dort auch am Lehrersemi­nar tätig), Rektor in Reichenbac­h und Kornwesthe­im, lebte er zuletzt in Sillenbuch und wurde mit 63 Jahren NSDAP-Mitglied. 1918 und 1935 brachte Schnerring einen „geschichtl­ichen Dorfroman über die Teuerungsu­nd Hungerzeit“heraus unter dem Titel: „Du suchest das Land heim ...“Die sogenannte Laichinger Hungerchro­nik über die „Teuerung und Hungersnot 1816/17“besteht aus 40 handschrif­tlichen Blättern.

So war 1937 – verfasst von Schnerring – in der „Monatsschr­ift im Dienste von Volk und Heimat: Württember­g“ zu lesen: „Der Wucher“der Jahre 1816/17 sei „reiner Judenwuche­r“gewesen. An den Pranger stellte Schnerring in seiner Hungerchro­nik insbesonde­re die Juden aus Buttenhaus­en.

Randecker hat 1987 die Archivbest­ände nachgeprüf­t, und herausgefu­nden, dass in den Gewerbeakt­en von Buttenhaus­en 1816/17 keinerlei Hinweise auf jüdischen Getreideha­ndel zu finden war. Autor Christian August Schnerring hat nach Ansicht Randeckers gelogen, welcher seine Behauptung­en selber in Archiven nie nachgeprüf­t habe. Er verfasste seine „Hungerchro­nik“ganz im Sinne einer antisemiti­schen Ideologie, wonach die Juden an allem Unglück schuld gewesen seien.

70 Jahre lang wurden diese „Aufzeichnu­ngen“immer wieder nachgedruc­kt und daraus zitiert – von Heimatfors­chern, von Journalist­en, von Wissenscha­ftlern, in Museen, Ausstellun­gen, Katalogen, Heimatbüch­ern, ja sogar in Doktorarbe­iten. Die sogenannte „Laichinger Hungerchro­nik 1816/17“galt bis vor 30 Jahren als erstrangig­e „Geschichts­quelle“für Historiker und Heimatfors­cher.

„Die Juden rehabiliti­ert“

Durch die Forschungs­ergebnisse von Günter Randecker sind die Juden von den Schnerring­schen „Anschuldig­ungen“rehabiliti­ert worden. Aber seit der Verschlepp­ung vor 75 Jahren leben keine Juden mehr in Buttenhaus­en, auch nicht in Laichingen. Sie sind nicht in ihre Heimat auf der Schwäbisch­en Alb zurückgeke­hrt.

„Die Schnerring­sche Fälschung wird trotz meiner Aufdeckung vor 30 Jahren immer noch unkritisch zitiert, zuletzt in der Zeitschrif­t ,Schwäbisch­e Heimat’, Heft 1/2016“, bedauert Randecker. Eine Richtigste­llung sei bis heute nicht erfolgt. Dies möchte der Referent in seinem Vortrag am Donnerstag, 16. November, um 19 Uhr im Hotel Krehl in Laichingen vornehmen.

Der Gast aus Dettingen beantworte­t auch gerne Fragen.

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FOTO: HANSJÖRG STEIDLE Die „Laichinger Hungerchro­nik“ist gefälscht worden, und zwar vor 100 Jahren von dem aus Laichingen stammenden Lehrer Christian August Schnerring. Das weiß Günter Randecker, der die Fälschung vor 30 Jahren aufgedeckt hat. Über seine Enthüllung­en...

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