Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Angriff aus der Kaffeemaschine
Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte warnt in Ulm vor Gefahren der Digitalisierung
ULM (sz) - Digitale Technologie soll den Alltag erleichtern, sicherer machen und vor Terroristen schützen helfen. Doch sie kann das Leben auch schwermachen: Die smarte Kaffeemaschine wird womöglich zur Angriffswaffe, und die – zur Sicherheit – gesammelten Daten schränken nicht nur die Freiheit, sondern unter Umständen auch die Sicherheit ein. Dieses Paradox stand im Mittelpunkt des Vortrags von Peter Schaar im Stadthaus in Ulm. Der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit referierte und diskutierte beim diesjährigen Forum Technik und Gesellschaft der Regionalgruppe Donau-Iller des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) zum Thema „Trügerische Sicherheit“.
In den 1980er-Jahren „haben wir uns noch gegen die Volkszählung gewehrt“, sagte Professor Manfred Wehrheim von der Hochschule Ulm in seiner Einführung. Heute geben die Menschen über Google, Facebook, Instagram und Amazon ungleich mehr preis über sich. Das Problem ist laut Schaar dabei der Kontrollverlust. Was wo und wozu gespeichert wird, entzieht sich der Kenntnis des Einzelnen. Denn nicht nur derjenige, der die genannten Dienstleistungen nutzt, liefere Informationen. Schaar: Jeder hinterlässt Spuren, oft ohne es zu wissen. Daraus werden mithilfe entsprechender Software Profile erstellt. Da diese mit Wahrscheinlichkeiten rechnet, stimmen weder Persönlichkeitsbilder noch die damit verbundenen Prognosen unbedingt mit der Wirklichkeit überein. Wenn intransparente Algorithmen über die Kreditwürdigkeit eines Menschen entscheiden, ihn im wahrsten Sinne klassifizieren, ist eine „neue Form von Diskriminierung“programmiert, so der Datenschützer.
Kritisch betrachtet er den derzeit laufenden Versuch, mittels automatisierter Video-Überwachung am Berliner Südkreuz Verdächtige aufzuspüren. Schließlich müssten dazu die Bilder von allen erfassten Personen ausgewertet werden, was zur Frage führt: Was geschieht mit diesen Informationen? Noch problematischer werde es, wenn mittels Gesichtserkennungs-Software nicht nur bekannte, sondern auch potenzielle Straftäter ermittelt werden sollen. Das bedeutet letztlich: Der Computer errechnet, wie ein Verbrecher aussieht. Schaar führte in diesem Zusammenhang eine Studie an, der zufolge ein Programm anhand von Fotos die sexuelle Orientierung von Menschen erkennt – mit hoher, aber eben auch nicht hundertprozentiger Sicherheit.
Die Gefahr, dass die Privatsphäre ausspioniert wird, besteht laut Schaar auch im sogenannten „Internet der Dinge“, also wenn etwa Geräte wie Drucker oder Heizungen mit dem weltweiten Netz verbunden sind. Es kann Hackern Tür und Tor öffnen, um beispielsweise über die vom Smartphone aus zu steuernde Kaffeemaschine ins Netz eines Hauses einzudringen. „Die Dimensionen verstehen wir noch nicht“, räumte der Referent ein.
Dennoch ist er davon überzeugt: Technik ist gestaltbar – nach ethischen Normen, welche die Gesellschaft unter Beachtung der Grundund Menschenrechte vorgibt. Letztlich sei es auch die Aufgabe der Wissenschaft herauszufinden, wie negative Folgen von Entscheidungen, die auf Algorithmen basieren, verhindert werden können. „Dazu brauchen wir die aufgeklärte demokratische Gesellschaft“, lautete die Schlussfolgerung von Manfred Wehrheim.