Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Jazzklassiker mit neuen Facetten
Er auch noch? Nachdem sich bereits Rod Stewart und Bob Dylan in den vergangenen Jahren mehr oder weniger brillant durch das Great American Songbook, die Jazzklassiker des vergangenen Jahrhunderts, gesungen haben, reiht sich nun auch Popsänger Seal in diese Riege ein. Um es vorweg zu nehmen: „Standards“(Foto: pr) lohnt sich dennoch und ist – im Gegensatz zur xten Dylanoder Stewart-Scheibe – schön, spannend sowie kein bisschen überflüssig.
Der in London geborene Brite mit nigerianisch-brasilianischen Wurzeln, dessen erster Hit 1990 der Tanzbodenfüller „Killer“an der Seite des House-DJs Adamski war, musste einen langen Weg voller poppiger Balladen („Kiss From a Rose“), gecoverter Soul-Klassiker sowie eine öffentlichkeitswirksame Ehe mit Heidi Klum hinter sich bringen, um für die zeitlosen Songs der gehobenen Kategorie bereit zu sein. Viele träumen davon, diese Lieder, die zwischen 1930 und 1970 geschrieben wurden, zu den ihren zu machen. Dem 54-Jährigen mit dem vernarbten Gesicht und der samtigen Stimme glückt dies in grandioser Manier.
Ein 65-köpfiges Jazzorchester begleitet ihn bei der Arbeit an seinem „Traum“(Seal). Dabei sind Ausnahmekönner wie Pianist Randy Waldman, der bereits mehrere Grammys sein Eigen nennen kann, oder WestCoast-Legenden wie der mittlerweile 80-jährige Bassist Chuck Berghofer, der einst das Intro zu Nancy Sinatras „These Boots Are Made for Walkin’“beisteuerte. Sie alle unterstützten Seal bei den Aufnahmen im Capitol Studio in Los Angeles.
Doch nicht nur altgediente Routiniers sind am Werk. Die perfekten Arrangements stammen ausnahmslos vom 51-jährigen Chris Walden. Der gebürtige Hamburger, einst Dirigent der RIAS Big Band und mittlerweile seit Jahren in Los Angeles ansässig und erfolgreich, legt der Stimme Seals einen Klangteppich unter, der ebenso soft wie interessant ist. Walden, der bereits für Paul Anka, Barbra Streisand und Michael Bolton gearbeitet hat, zeichnet auch für das Orchester verantwortlich. Und so steigert sich beispielsweise „Luck Be A Lady“, wenn gegen Ende die Streicher einsetzen, zu einem furiosen Opener des Albums. Egal ob „Autumn Leaves“, „I Put A Spell on You“oder „They Can’t Take That Away From Me“– Seal gewinnt den sattsam bekannten Liedern neue Facetten ab. Höhepunkte sind allerdings die Cover-Version von „Anyone Who Knows What Love Is“, das ursprünglich von der Blues-Sängerin Irma Thomas stammt, sowie Cole Porters „Love For Sale“.
Einzig „I’ve Got You Under My Skin“hätte Seal sich sparen sollen. Wenn die ersten Takte dieses Liedes erklingen, erwarten Millionen Menschen rund um den Erdball einfach nur die Stimme von Frank Sinatra. Daran kann auch Henry Olusegun Olumide Adeola Samuel, wie der Mann laut Geburtsurkunde heißt, nichts ändern.