Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Druck in der SPD auf Chef Schulz wächst
Vize Stegner gegen Neuwahlen – FDP dementiert neuerliche Gesprächsbereitschaft
BERLIN - Vor seinem heutigen Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat SPD-Chef Martin Schulz eine konstruktive Rolle seiner Partei bei der Suche nach einer stabilen Regierung zugesichert. „Die SPD ist sich vollständig ihrer Verantwortung in der momentan schwierigen Lage bewusst“, sagte Schulz am Mittwoch. Er sei sich sicher, dass man in den kommenden Tagen und Wochen „eine gute Lösung für unser Land finden“wird. Die Aussagen lassen offen, ob er nun doch wieder Gespräche über eine Neuauflage der Großen Koalition in Betracht zieht.
Vor allem aus der Bundestagsfraktion wird Schulz vorgehalten, sich am Montag nach dem Abbruch der Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen zu schnell auf die Option Neuwahlen ausgerichtet zu haben. „Die SPD will natürlich keine Neuwahlen“, sagte Parteivize Ralf Stegner am Mittwoch. Ähnlich äußerte sich Thorsten Schäfer- Gümbel im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Es werden verschiedene Optionen erwogen.“Dazu zählt er auch die Tolerierung einer Minderheitsregierung.
FDP-Chef Christian Lindner trat Darstellungen entgegen, dass erneute Verhandlungen über ein JamaikaBündnis möglich wären. „Eine Wiederaufnahme der Gespräche schließe ich aus“, sagte er bei „Spiegel Online“. Zuvor war durch Aussagen von Generalsekretärin Nicola Beer und Vize Wolfgang Kubicki der Eindruck entstanden, dass solche Gespräche zum jetzigen Zeitpunkt nicht kategorisch ausgeschlossen seien.
BERLIN/STUTTGART - Die ablehnende Haltung gegen eine Große Koalition in der SPD bröckelt. Immer mehr SPD-Politiker stellten sich am Mittwoch gegen das klare Nein von Parteichef Martin Schulz. Mit ihm will heute Bundespräsident FrankWalter Steinmeier über die Möglichkeiten einer Regierungsbildung nach dem Jamaika-Aus sprechen.
„Die SPD darf sich keinen Gesprächen über die Bildung einer Koalition verweigern“, sagte die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt der Zeitung „Die Welt“. Die „angebliche Angst“der SPD vor der Großen Koalition sei ein „Mythos“. Mit Selbstbewusstsein müsse man „nicht ängstlich“in Gespräche mit der Bundeskanzlerin gehen, sollte diese darum bitten. „Die Leute interessiert doch nicht das Seelenleben der SPD, die Leute wollen jetzt, dass wir was für das Land tun“, sagte einer aus dem Parteivorstand am Mittwoch hinter vorgehaltener Hand.
Schulz gab sich am Mittwoch plötzlich staatsmännisch. „Die SPD ist sich vollständig ihrer Verantwortung in der momentan schwierigen Lage bewusst“, sagte er und lobte die Gesprächsinitiative des Bundespräsidenten. „Ich bin sicher, dass wir in den kommenden Tagen und Wochen eine gute Lösung für unser Land finden werden.“Den Eindruck, er stelle die Festigung seiner Machtposition bei den Genossen vor das Wohl das Landes, will der Parteichef schnell vom Tisch wischen.
Eine gute Lösung für das Land: Neuwahlen, auf die die SPD-Spitze noch am Montag gesetzt hatte, fallen offenbar nicht mehr darunter. „Neuwahlen wären ein Armutszeugnis“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner. So sieht es auch die Mehrheit der Bundestagsfraktion. Dort war es schon am Montagabend zur Rebellion gekommen, von den „Seeheimern“um Johannes Kahrs bis in den linken Flügel war die Empörung über Schulz‘ Festlegung auf ein Nein zur Großen Koalition groß. Die Rebellion „hat die Geschäftsgrundlage verändert“, sagte einer aus dem Führungszirkel. Auch die Tolerierung einer Merkel-Minderheitsregierung – zwischenzeitlich von Fraktionschefin Andrea Nahles ins Gespräch gebracht – wird nicht mehr ernsthaft als gute Lösung betrachtet. Das war „eine Phantom-Debatte“, so die Meinung einer Spitzengenossin, denn dann könne das wichtigste Land der EU nicht stabil regiert werden.
Das Nein zur Großen Koalition ist nicht zu halten – diese Auffassung macht sich zunehmend breit. Schulz’ Kalkül, mit der Absage an die bei der Basis lange verhasste Große Koalition auf dem Parteitag in zwei Wochen zu punkten und so seine Wiederwahl als Parteichef zu sichern, ist jedenfalls ins Wanken geraten.
SPD-Landeschefin Leni Breymaier hält eine Große Koalition nach wie vor für schwierig, schließt Gespräche darüber aber nicht aus. „Ich habe es für wahrscheinlich gehalten, dass das klappen wird mit Jamaika. Daher schließe ich in diesen Tagen nichts mehr aus“, sagte sie. Noch am Samstag schien für Breymaier alles klar. „Es war ganz richtig, dass sich Schulz früh für die Opposition ausgesprochen hat“, sagte sie beim Landesparteitag in Donaueschingen. „Das hat uns qualvolle Tage erspart.“Doch genau die sind nun angebrochen.
Die SPD-Funktionäre im Südwesten sind uneins in der Frage, was ihre Partei nun tun soll. Nur Neuwahlen scheinen aber alle zu scheuen. „Bevor es zu Neuwahlen kommt, muss man alle anderen Optionen ernsthaft prüfen“, sagte der SPD-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, Andreas Stoch. „Man muss den Menschen sagen, warum man mit CDU/ CSU nicht koalieren kann. Das muss man inhaltlich begründen.“Sonst werde es schwierig, auch bei möglichen Neuwahlen. Denn dann könnte die SPD den Anschein erwecken, keine Machtoption zu haben.
Für Gerster ist nun alles anders
Mit einer – auch von der SPD in Sachfragen gestützten – Minderheitsregierung liebäugelt indes der SPD-Landtagsabgeordnete Sascha Binder. „Eine Minderheitsregierung könnte Vertrauen zurückgewinnen und mehr Transparenz politischer Entscheidungen erreichen“, meint er.
Für den Bundestagsabgeordneten Martin Gerster aus Biberach ist seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen alles anders. Auch er war gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition. „Was ich möchte, ist, dass es Gespräche gibt, auch von der SPDSpitze mit anderen Parteien, um auszuloten: Wie kann es weitergehen, um Neuwahlen zu verhindern“, sagt er. Er habe innerhalb von 48 Stunden so viele Rückmeldungen von Bürgern bekommen wie selten zuvor. „Viele haben mir gesagt oder geschrieben, dass sie zuvor gesagt haben: Nie mehr GroKo. Und jetzt sagen sie doch: Macht doch noch mal eine Große Koalition.“Dutzende seiner Abgeordnetenkollegen im Bundestag sehen das laut Gerster genauso. „Vielleicht hilft auch ein Wechsel im Kanzleramt, vielleicht kann man auch darüber reden“, regt er an.
Die Jusos Baden-Württemberg fordern indes einen Mitgliederentscheid über den Eintritt in Sondierungen mit der Union. Der Juso-Vorsitzende Leon Hahn aus Friedrichshafen zeigt sich aber überzeugt: „Ein Einstieg in die Große Koalition bleibt der falsche Weg.“