Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
90 Minuten mit Knut Kircher
Fußball: Vortrag des langjährigen Bundesliga-Schiedsrichters Knut Kircher in Ehingen
EHINGEN (sz) - Einblicke in das Leben eines Bundesliga-Schiedsrichters hat Knut Kircher Unparteiischen aus der Region bei der letzten Sitzung der Schiedsrichtergruppe Ehingen vor der Winterpause gegeben. Kircher, der aus Altersgründen aufgehört hatte, sprach vor 100 Zuhörern im Adler über die „Freude am Entscheiden“.
EHINGEN - Einblicke in das Leben eines Bundesliga-Schiedsrichters hat Knut Kircher Unparteiischen aus der Region bei der letzten Sitzung der Schiedsrichtergruppe Ehingen vor der Winterpause gegeben. Kircher, der im Mai 2016 aus Altersgründen aufgehört hatte, sprach vor rund 100 Zuhörern im Hotel Adler in Fußballspiellänge über das Thema „Freude am Entscheiden“. Der 48-Jährige gab Tipps, wie man zu schnellen Entscheidungen kommt, sie am besten vermittelt und zum Umgang mit Spielern. Denn, so Kircher, „im Profifußball zu pfeifen, ist gar nicht so anders als in den Amateurklassen“.
Knut Kircher erinnerte an sein erstes Spiel als Schiedsrichter, bei der DJugend 1986 in Tübingen. Erstmals Praxis nach viel Theorie. „Man rennt rum wie Falschgeld“, so Kircher, der einmal Foul rief, statt zu pfeifen, und staunte, „dass keiner angehalten hat“. Er habe als junger Unparteiischer von seinen Beobachtern Kritik erfahren und sie beherzigt. Kircher machte seinen Weg bis in die Bundesliga, in der er fast 250 Spiele leitete. Auch international war er im Einsatz, bei Länderspielen, im Europacup, bei Liga- oder Pokalspielen im Ausland – wie 2004 in Südkorea, wo Kircher einige Erstligaspiele pfiff, oder in Libyen, als es mal brenzlig wurde: Nach einem nicht anerkannten Ausgleichstreffer der Heimelf kam ein Dolch angeflogen und fuhr wenige Meter neben Kirchers Assistenten in den Boden.
Einflussversuche vor Top-Spiel
So gefährlich war es in der Bundesliga nie, doch Versuche, Entscheidungen zu beeinflussen, kamen vor. Als Beispiel führte Kirche rein meister schafts entscheidendes Spiel von Borussia Dortmund gegen Bayern München an: Auf der Anreise tags zuvor im Zug „haben mich Leute auf ein Bier eingeladen, um über das Ergebnis zu sprechen“, und am Spieltag, kurz vor dem Anpfiff, unterstellte ihm BVBBoss Hans-Joachim Watzke subtil eine Nähe zu Bayern München und wollte ihn so vor Pfiffen für Bayern zum Nachdenken bringen. Kircher ließ das alles an sich abprallen und er riet auch den Schiedsrichtern in Ehingen, sich vor Einflussnahme im Umfeld zu lösen und dann auf dem Platz intuitiv zu entscheiden.
Kircher sprach über die Rahmenbedingungen eines BundesligaSchiedsrichters mit Blick auf körperliche Leistung (zwölf bis 14 Kilometer pro Spiel, 168 Herzschläge pro Minute), Fernsehpräsenz (26 Kameras bei einem normalen Spiel) und Lautstärke auf dem Platz (vergleichbar mit dem Start eines Düsenjets in 100 Metern Entfernung). So ließ sich ermessen, unter welchem Stress ein Erstliga-Unparteiischer steht. Ganz vergleichbar mit der Leitung einer Partie in unteren Amateurklassen ist das nicht, doch gefordert sind auch die Schiedsrichter in Bezirks- und Kreisligen – schließlich gelten im Amateurfußball dieselben Fußballregeln wie bei den Profis. Nur um wenige drehe sich alles in einem Spiel, sagte Kircher. „In den Regeln elf, zwölf und 13 steht drin, was Strolche machen dürfen oder nicht.“Da geht es um Abseits, Fouls und unsportliches Betragen sowie um Freistöße.
Große Grauzone
Zwischen 250 und 300 Entscheidungen treffe ein Schiedsrichter pro Spiel, sagte der 48-Jährige. Längst nicht alle sind klar, schwarz oder weiß, rund 50 bis 60 Prozent fielen in den „Graubereich“. Wichtig sei es, schnelle Entscheidungen zu treffen, wobei gerade bei unklaren und strittigen Situationen Bauch- und Fingerspitzengefühl gefragt seien, dazu noch die Fähigkeit, zu antizipieren und Lösungswege gedanklich durchzuspielen, sowie Mut und Selbstsicherheit bei einer Entscheidung – auch wenn eine Situation nicht zweifelsfrei ist, wie bei einem Einwurf, wenn unklar ist, welcher Spieler zuletzt den Ball berührt hat. „Selbstsicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit“beschrieb Kircher salopp das bisweilen erforderliche Verhalten bei unklaren Szenen.
Der frühere Bundesliga-Schiedsrichter riet in Ehingen außerdem dazu, im Umgang mit „22 unterschiedlich emotionalisierten Spielern“die Kommunikation nicht zu vernachlässigen, sich mit Gesten und Worten auszudrücken, ohne sich zu verstellen („Jeder spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“). Ein Unparteiischer sollte sich auch nicht scheuen, einen Spieler zu berühren, wenn es hilft, Situationen zu entschärfen. „Ich weiß, dass das manchen Spieler beruhigt, aber man muss das auch an sich selbst zulassen.“Denn eines sollte kein Schiedsrichter machen, ob Bundes- oder Kreisliga: „Man darf Konflikte nicht hindümpeln lassen und warten.“