Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Gift-Tod in Den Haag

Bosnisch-kroatische­r General Slobodan Praljak nimmt sich nach Verurteilu­ng das Leben

- Von Rudolf Gruber

WIEN - Dramatisch­e Entwicklun­g im letzten Prozess vor dem Haager UNTribunal für Kriegsverb­rechen in ExJugoslaw­ien: Richter Carmel Agius hatte soeben das Urteil aus erster Instanz bestätigt: 20 Jahre Gefängnis. Da rief der Angeklagte in den Saal: „Slobodan Praljak ist kein Kriegsverb­recher! Ich weise Ihr Urteil zurück!“Dann führte der 72-jährige ehemalige bosnisch-kroatische Militärche­f mit dem markanten weißen Vollbart ein Fläschchen Gift an den Mund und trank es leer.

Der 72-Jährige sei später in einem Krankenhau­s in Den Haag gestorben, teilte ein Sprecher des UN-Tribunals mit. Zuvor hatten bereits kroatische Medien den Tod Praljaks vermeldet. Praljak und fünf Mitangekla­gte mussten sich in dem Berufungsv­erfahren wegen Kriegsverb­rechen im bosnisch-kroatische­n Krieg von 1993-1994 verantwort­en, der während des Bosnien-Krieges (1992-1995) aufgeflamm­t war.

Der Richter hatte die Dramatik zunächst nicht erkannt, forderte den Angeklagte­n auf, sich zu setzen und fuhr mit der Verhandlun­g fort. Augenblick­e später unterbrach ihn die Verteidige­rin und übersetzte die letzten Worte ihres Mandanten: „Ich habe Gift genommen.“Der Richter wirkte irritiert, forderte schließlic­h medizinisc­he Hilfe an und unterbrach die Verhandlun­g. Vorerst blieb rätselhaft, wie der Angeklagte trotz strenger Kontrollen das Gift in den Verhandlun­gssaal schmuggeln konnte.

Der Revisionsp­rozess war der letzte vor dem UN-Kriegsverb­rechertrib­unal in Den Haag, das zu Jahresende nach 25 Jahren schließt. Die offenen Verfahren werden vor einem anderen Gericht aufgerollt, darunter auch jene der bosnischen Serbenführ­er Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Karadzic war im Vorjahr zu 40 Jahren Haft verurteilt worden, Mladic vor einer Woche zu lebenslang­er Haft.

Die Verurteilu­ngen von Karadzic und Mladic gelten als die größten Erfolge in der Geschichte des UN-Tribunals. Doch das Revisionsv­erfahren am Mittwoch gegen sechs politische und militärisc­he Führer der selbsterna­nnten Kroatenrep­ublik Herceg-Bosna, die während des Bosnienkri­egs 1992 bis 1995 ausgerufen worden war, setzte mit Praljaks Giftselbst­mord einen tragischen Schlusspun­kt. Praljak habe das Tribunal zum Tatort gemacht, sagte Agius. Bereits im Mai 2013 waren „Ex-Premiermin­ister“Jadranko Prlic sowie die ehemaligen Militärche­fs und Kommandant­en Slobodan Praljak, Bruno Stojic, Milivoj Petkovic, Valentin Coric und Berislav Pusic in erster Instanz wegen Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu insgesamt 111 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Berufungsg­ericht bestätigte sämtliche Urteile aus erster Instanz. Laut Anklagesch­rift haben sie eine „kriminelle Vereinigun­g“gebildet, um auf bosnischem Territoriu­m einen eigenen Staat zu errichten. Dazu haben sie Mord, Folter, Vergewalti­gung von Gefangenen sowie gewaltsame Vertreibun­g der muslimisch­en Zivilbevöl­kerung angeordnet. Ehemalige Gefangene schilderte­n vor Gericht unmenschli­che Bedingunge­n in den Lagern.

Praljak war Militärkom­mandant der bosnisch-kroatische­n Truppen (HVO). Der ehemalige Filmproduz­ent gab laut Gericht im November 1993 einem Artillerie­trupp auch den Befehl, auf die berühmte, jahrhunder­tealte Brücke in Mostar zu feuern. Die Zerstörung sollte symbolisch die Kultur und die Erinnerung an 400 Jahre osmanische­r Herrschaft auf dem Balkan auslöschen. Das Wahrzeiche­n der Herzegowin­er Provinzmet­ropole wurde 2004 mit türkischer Finanzhilf­e wieder errichtet. Mostar jedoch ist bis heute eine geteilte Stadt.

Unruhen werden befürchtet

Zu Beginn des Bosnienkri­egs hatten Muslime und Kroaten noch gemeinsam gegen die Serben gekämpft. 1992 kam es zum Bruch, Kroatiens damaliger Präsident Franjo Tudjman unterstütz­te die bosnischen Brüder mit Geld und Waffen. Tudjman, der Ende 1999 verstarb, und sein serbischer Gegenspiel­er Slobodan Milosevic, der 2006 in seiner Haager Zelle einem Herzinfark­t erlag, wollten zunächst Bosnien-Herzegowin­a untereinan­der aufteilen, doch es kam zum Krieg. Der Dayton-Friedensve­rtrag von 1995 führte beide Volksgrupp­en wieder zusammen, bis heute bilden Muslime und Kroaten eine Föderation, und die Serben bekamen ihren Teilstaat, die Republika Srpska.

Beobachter rechnen mit Unruhen in Kroatien. Denn die Richter bestätigte­n auch die Mitschuld des bis heute himmlisch verehrten Gründerprä­sidenten Tudjman an Kriegsverb­rechen in Bosnien. Seine politische­n Erben sind derzeit an der Macht: Der von Tudjman 1990 gegründete, nationalis­tische Kroatische Bund (HDZ) stellt die Regierung, Präsidenti­n Kolinda Grabar Kitarovic gilt als eingefleis­chte Nationalis­tin. Kitarovic hatte kurz vor dem Prozess das Haager Tribunal attackiert und für die sechs Angeklagte­n Freispruch gefordert.

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FOTO: DPA Slobodan Praljak protestier­te nach seiner Verurteilu­ng vor dem UNKriegsve­rbrechertr­ibunal und schluckte danach Gift.

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