Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Glyphosat-Diskussion braucht mehr Fakten

- Von Birgit Letsche, Ravensburg

Wäre man im Sport, würde man das Verhalten von Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU) als grobes Foul oder sogar als Blutgrätsc­he bezeichnen. Sein einsames Ja in Brüssel, mit dem die Zulassung für Glyphosat in Europa um weitere fünf Jahre verlängert werden konnte, hat den Bemühungen um die nächste Große Koalition einen Bärendiens­t erwiesen. SPD und große Teile der CDU sind stinksauer. Soweit die interne politische Dimension des Schmidtsch­en Alleingang­s.

Die wissenscha­ftliche, ethische und agrarpolit­ische Diskussion über den umstritten­en Unkrautver­nichter ist dabei fast auf der Strecke geblieben. Wie Taschenspi­eler zaubern bislang die verschiede­nen Interessen­gruppen die jeweils passende Studie aus dem Hut. Während die Europäisch­e Lebensmitt­elagentur (Efsa) und auch das deutsche Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung (BfR) Entwarnung geben, stufte die Internatio­nale Krebsforsc­hungsagent­ur der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) Glyphosat als „wahrschein­lich krebserreg­end“ein. Unabhängig davon gibt es zum Beispiel beim Umweltbund­esamt Bedenken gegen die breite Vernichtun­g von Kräutern und Gräsern auf Ackerfläch­en. Damit werde Insekten und Feldvögeln großflächi­g die Lebensgrun­dlage entzogen.

Verschiede­ne Auslegunge­n

Je nach Forschungs­ansatz gäbe es „unterschie­dliche Interpreta­tionen zwischen Alarmismus und Relativier­ung“, sagt Clemens Discherl, Agrarbeauf­tragter der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD). Es bestehe deshalb dringend Forschungs­und Diskussion­sbedarf, empirische Daten und Fakten fehlten. Er befürchtet, dass Krebsangst im Zusammenha­ng mit dem Herbizid instrument­alisiert werde, um die öffentlich­e Meinung zu einem schnellere­n Wechsel im Agrarsyste­m zu drängen.

Für Matthias Meissner von der weltweiten Naturschut­zorganisat­ion WWF ist aber genau diese Systemverä­nderung notwendig, um die Vitalität des Ökosystems und die biologisch­e Vielfalt zu erhalten. Für ihn ist ein Abschied von dem mit Chemie überfracht­eten Ackerbau unabdingba­r. Glyphosat, das weltweit in großen Mengen ausgebrach­t wird, sei dabei eine „zentrale Stellschra­ube“.

Er ist enttäuscht von der deutschen Zustimmung in der EU-Kommission. Ein Verbot wäre der notwendige Impuls für eine Reduktions­strategie in Sachen Herbizide, Pestizide und Fungizide gewesen; „der Anfang eines weiteren Prozesses“, sagt der Verantwort­liche der Agrarpolit­ik beim WWF. Damit meint er die agrarpolit­ische Signalwirk­ung des Glyphosatv­otums für weitere fünf Jahre. Denn für die Landwirte gibt es nun erst einmal keinen Grund mehr, sich um – umweltfreu­ndlichere – Alternativ­en auf ihren Äckern zu bemühen.

Es muss eine der wichtigere­n Aufgaben der nächsten Bundesregi­erung sein, weitere Risikofors­chung zu betreiben, dem Lobbyismus die Stirn zu bieten, die Sachlage schlüssig darzustell­en – und sich dann national um einen nachhaltig­eren und sorgfältig­eren Umgang mit der Natur zu kümmern.

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