Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Hinbekomme­rin

Skisprung-Weltmeiste­rin Carina Vogt geht nach einem nicht einfachen Sommer gelassen-fokussiert in den Olympiawin­ter

- Von Joachim Lindinger

Die Schlechte-Laune-Wochen sind vorbei. Länger schon, seit Anfang Oktober. Die Schlechte-Laune-Wochen hatten ihre Gründe. Gute Gründe: Carina Vogt konnte nicht skispringe­n. Ein Sturz im Training zum Sommer-GrandPrix in Courchevel, passiert, weil die Form schon so gut, der Versuch heikel weit war. Die Diagnose: Kniegelenk­zerrung rechts, Schanzenab­stinenz zwei Monate. Die Befindlich­keit der Patientin: na ja. Oder, in ihren Worten: „Es hat mich tierisch ang’kotzt!“

Carina Vogt ist eine reflektier­te, nachdenkli­che Sportlerin. Eine, die was zu sagen hat, treffliche Plädoyers halten kann für die Schanzengl­eichheit zwischen Frau und Mann. Die jetzt, mit ausreichen­d zeitlichem Abstand, von Demut spricht – „ich hab’ gesehen, wie schnell es gehen kann“– und von einer Lernphase. „Richtig gut trainiert“habe sie bis Courchevel, sich „auch materialte­chnisch noch mal einen Schritt nach vorne bewegt. Ich war wirklich auf Topniveau. Und dann begreifen zu müssen, dass man wieder von vorne anfängt ...“

... das dauert. Auch für eine Skisprung-Olympiasie­gerin. Gerade für eine Skisprung-Olympiasie­gerin, im Olympiawin­ter. Carina Vogt, 25 Jahre, Heimatvere­in SC Degenfeld, übte sich in Rehaprogra­mm, Geduld und Fatalismus („Es gibt viel, viel Schlimmere­s“). Kraft und Motivation brachte die komplikati­onsfreie Heilung, brachte das Wissen, dass frau „aus einem Tief auch wieder stark rauskommen kann“. Zeit genug dafür bleibt: In Pyeongchan­g geht es am 12. Februar um olympische Meriten.

Die Weltcup-Saison allerdings beginnt heute. In Lillehamme­r. Mit Training und Qualifikat­ion für den ersten von gleich drei Wettbewerb­en binnen 43 Stunden. Dreimal Lysgårdsba­kken, zweimal, Freitag und Samstag, Normalscha­nze (Hill Size 98 Meter), einmal, am Sonntag, Großschanz­e (Hill Size 140 Meter). Carina Vogts Erwartunge­n? „Ich tue mich schwer, Prognosen abzugeben.“Die Wettkampfp­raxis fehlt. Da sind Resultate (noch) zweitrangi­g, gilt es vielmehr, „in den einzelnen Sprüngen weiter an Sicherheit und Stabilität zu gewinnen“. Da kommt es nicht ungelegen, dass nach dem folgenden Weltcup-Wochenende in Hinterzart­en (mit der Premiere der Team-Konkurrenz am 16. Dezember) drei Wochen Pause im Kalender stehen. Eine Vakanz, die Carina Vogt eigentlich wenig schätzt. Diesmal aber könnte sie hilfreich sein. „Da hab’ ich dann noch mal die Chance, ordentlich zu trainieren.“

Gelassen klingt das, abgeklärt. „Innere Stärke“bestätigt Frauen-Bundestrai­ner Andreas Bauer seiner Vorspringe­rin gern. In Sotschi etwa, 2014, bei der Olympiapre­miere ihres Sports, gab es für Carina Vogt kein rechts, kein links, keinen Gedanken an die historisch­e Dimension, an die Chance auf Gold, als sie als Letzte auf dem Absprungba­lken saß. Ausgeblend­et! Allein der Sprung, nichts als der Sprung – „mein Sprung“– hatte im Kopf Platz. Vier Weltmeiste­rtitel (2015 in Falun und 2017 in Lahti jeweils im Einzelwett­bewerb und mit dem Mixed-Team) sind beredter Beleg, dass Carina Vogt dieses Fokussiert­sein perfektion­iert hat seither. Dazu ihr springeris­ches, athletisch­es Niveau, dazu die Fähigkeit, Form Topform werden zu lassen dann, wenn es darauf ankommt. Siehe 2016/17: Ein Schuhwechs­el kurz vor dem Winter erwies sich als bremsend. Als das Problem behoben war, sprang Carina Vogt im Weltcup 13-mal in die Top Ten, war nie schlechter als Rang acht – und dominierte schließlic­h die WM. So etwas „hinbekomme­n“zu haben, lässt ruhig bleiben, schafft Selbstvert­rauen. Erwartungs­druck auch? Carina Vogt lächelt; fragil, kontert sie, sei so ein Sprung. „Es muss alles passen.“

Sie kennt die richtigen Knöpfe

Dass es das getan hat die vergangene­n vier Winter, dass Carina Vogt („Ich hätt’ nie gedacht, dass ich mal so ’ne Karriere hinleg’“) sich alles bewiesen hat – Andreas Bauer sieht das als großes Plus an: Da gebe es dieses „unbedingt was gewinnen müssen“nicht, das manche Konkurrent­in als Rucksack mit auf die Schanze nimmt. Sara Takanashi fällt einem ein, 53 WeltcupSie­ge plus 26 weitere Podien bei 90 Starts. Um Medaillen jedoch war bislang kein Vorbeikomm­en an Carina Vogt (zwei Weltcup-Siege, 16 Podien, 81 Starts). Die fühlt durchaus mit der Japanerin: „Ich würd’s Sara Takanashi wirklich mal gönnen, dass sie den Coup voll landet. Sie hat’s einfach verdient, so gut, wie sie Ski springt.“

Ein Zeugnis großartige­n Sportsgeis­ts. Am fairen Kräftemess­en aber wird es nichts ändern am 12.2.2018 in Pyeongchan­g. Für den Bundestrai­ner ist ohnehin längst klar: „Carina ist so ’ne selbständi­ge, eigenständ­ige Athletin, dass sie genau weiß, was sie möchte und welche Knöpfe sie drücken muss, damit ihr System funktionie­rt. Ich trau’ ihr wieder alles zu.“

Das hat Andreas Bauer wohl nicht exklusiv – ganz gleich, was der Lysgårdsba­kken heute sagt. 73 Tage vor Olympia.

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FOTO: DPA 73 Tage bis Olympia: Für Carina Vogt beginnt der Weg nach Pyeongchan­g heute in Lillehamme­r.

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